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Westlich von London

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Von Richmond nach Oxford

Ein Fußmarsch voller Einsichten

Wenig Spaß beim Eaton College

Windsor, den 13ten Juni.*

Jetzt, lieber Freund, da ich von hier an Sie schreibe, habe ich schon so manches Ungemach als Fußgänger erfahren, dass ich beinahe unschlüssig bin, ob ich meine Reise so fortsetzen soll oder nicht.

Ein Fußgänger scheint hier ein Wundertier zu sein, das von jedermann, der ihm begegnet, angestaunt, bedauert, in Verdacht gehalten und geflohen wird, wenigstens ist es mir auf meinem Wege von Richmond bis Windsor so gegangen.

Mein Wirt in Richmond konnte sich gestern Morgen schon nicht genug verwundern, dass ich es wagen wollte, bis Oxford und noch weiter zu Fuß zu gehen. Doch gab er mir seinen Sohn, einen kleinen Knaben mit, der mich auf den Weg nach Windsor bringen mußte.

Zuerst ging ich einen sehr angenehmen Fußsteig längst dem Ufer der Themse hinauf, wo dicht neben mir zur rechten Seite des Königs Garten lag. Am jenseitigen Ufer der Themse lag Isleworth, ein Flecken, der sich aber durch einige Landhäuser und Gärten vortrefflich ausnahm. Hier mußte ich mich in einem Kahn übersetzen lassen, um auf Oxfordroad, oder die Straße nach Oxford zu kommen, welche zugleich nach Windsor führt.

Als ich über die Themse war, kam ich an ein Haus, wo ich einen Mann, der vor der Tür stand, fragte, ob ich auf dem rechten Wege nach Oxford sei? Yes, but you want a Carriage, to bring you there, (ja, aber ihr braucht ein Fuhrwerk, um euch hinzubringen) sagte er: als ich ihm antwortete, ich würde zu Fuße hingehen, sahe er mich bedeutend an, schüttelte den Kopf, und ging ins Haus hinein.

Ich war nun auf Oxfordroad, einem sehr breiten und schönen Wege, wo mir viele Fuhrwerke und Postkutschen begegneten, die denn doch zuweilen, wegen der Hitze einen etwas beschwerlichen Staub verursachten. Die schönen grünen Hecken, welche die Landstraßen in England einzäunen, tragen sehr viel zur Annehmlichkeit derselben bei, welches auch hier der Fall war, und wenn ich müde war, setzte ich mich zuweilen in den Schatten einer solchen Hecke und las im Milton. Allein es ward mir bald beschwerlich, dass mich die Vorbeireitenden und Fahrenden immer mit einer solchen Verwunderung angafften, und solche bedeutende Mienen machten, als ob sie mich für einen Verrückten hielten, so sonderbar mußte es ihnen vorkommen, einen Menschen an der öffentlichen Landstraße sitzen, und in einem Buche lesen zu sehen. Ich sah mich daher genötigt, wenn ich mich ausruhen und lesen wollte, mir irgendwo ein einsames Plätzchen auf einem Seitenwege von der Heerstraße aufzusuchen. –

Ging ich wieder, so rief mir jeder vorbeifahrende Kutscher zu, ob ich nicht auf der Outside der Postkutsche mitfahren wolle; wenn mir nur ein Bauer zu Pferde begegnete, so sagte er mitleidsvoll, warm walking Sir! (Es ist sehr warm zu gehen, mein Herr) und wenn ich durch ein Dorf kam bezeigte jedes alte Weib, ihr Bedauren, durch ein God almighty!

Bis Hounslow war der Weg sehr angenehm. Nachher ward er etwas schlechter, und ging über eine Heide, die sich ziemlich weit erstreckte, auf welcher ich aber doch hin und wieder Schafe weiden sahe.

Als ich etwas müde geworden war, fand ich auf einmal zu meiner Verwunderung mitten in der Heide einen Baum, der ganz einsam da stand, und einen Schatten, wie eine Laube um sich her verbreitete: unten war rund um den Stamm eine Bank zum Sitzen angebracht. Ich ruhte in dem Schatten dieses Baumes aus, las eine Weile im Milton, und schrieb in meine Schreibtafel, dass ich dieses Baums, der den müden Wanderer so wohltätig in seinen wirtbaren Schatten aufgenommen habe, gedenken wolle, welches ich nun getan habe.

Die Englischen kleinen Meilen sind vortrefflich zu gehen; man freut sich doch, so oft man eine Meile, in so kurzer Zeit zurückgelegt hat, ob es gleich nur eine Täuschung ist. Wenn ich einen ordentlichen Schritt gehe, lege ich in zwei Stunden sechs Englische Meilen zurück; und man kann auch beinahe so viel auf eine deutsche Meile rechnen, wenn man insbesondre die Güte der Wege mit in Anschlag bringt. Nun verursacht es einem aber eine angenehme Täuschung, wenn man sieht, dass man in ein Paar Stunden zwölf Meilen gegangen ist.

Ich mochte ohngefähr siebzehn Meilen von London sein, als ich an einen Gasthof kam, wo ich für ein wenig Wasser und Wein einen halben Schilling bezahlen mußte. Ein Engländer, der neben dem Wirt saß, erkannte mich für einen Deutschen, der folglich aus dem Vaterlande seiner Königin sei, die er mit vielen Lobsprüchen rühmte, und hinzusetzte, eine solche Königin habe England noch nicht gehabt, und werde auch nicht leicht eine solche wieder bekommen.

Es fing nun an heiß zu werden. Ich fand zur linken Seite nicht weit von der Heerstraße einen klaren Bach, und nachdem ich mich darin gebadet hatte, setzte ich meinen Weg weiter fort.

Die Heide hatte sich verloren, und es eröffnete sich wieder eine paradiesische Gegend vor mir bis nach Slough, das zwanzig und eine halbe Meile von London, auf dem Wege nach Oxford, liegt, und wovon zur linken Seite eine Straße nach Windsor geht, dessen hohes weißes Kastell man schon in der Ferne sieht.

Ich hielt mich hier nicht auf, sondern ging gleich rechter Hand, in einer sehr angenehmen Heerstraße, zwischen Wiesen und grünen Hecken, nach Windsor zu, wo ich denn um Mittag ankam.

Es ist einem Fremden sehr auffallend, wenn man durch die Englischen Städte kömmt, und nichts von dem bemerkt, wodurch sich die Städte in Deutschland von den Dörfern unterscheiden, weder Mauren noch Tore, noch sonst etwas dergleichen. Keinen laurenden Visitator, keine drohende Schildwache wird man gewahr; sondern frei und ungehindert geht man durch Flecken und Städte, wie durch die große offne Natur.

Dicht vor Windsor liegt Eaton College, eine berühmte öffentliche Erziehungsanstalt oder Gymnasium, deren es, wie ich schon bemerkt habe, in England nur wenige gibt. Es lag mir zur linken Seite, und zur Rechten, gerade gegenüber war ein Gasthof, in welchen ich einkehrte.

Jetzt mußte gerade eine Erholungsstunde für die jungen Leute sein, welche auf dem Hofe vor dem Kollegio, der mit einer niedrigen Mauer umgeben war, in großer Menge auf und nieder gingen.

Sehr auffallend, war mir ihre Tracht, denn sie trugen alle, vom größten bis zum kleinsten, schwarze Mäntel oder Chorröcke, wodurch sie die Ärme stecken konnten, über ihre farbigten Kleider, nebst einem viereckigten mit Samt überzognen Hut, wie bei uns an manchen Orten die Prediger tragen.

Sie beschäftigten sich auf allerlei Art mit Unterreden, Spazierengehen, und einige hatten auch ihre Bücher in der Hand und lasen. Doch ich mußte mich bald ihren Augen entziehen, so staunten sie mich an, da ich ganz bestäubt mit meinem Stabe gewandert kam.

Als ich nun in den Gasthof trat, und zu Essen forderte, prophezeite mir das Angesicht des Aufwärters sogleich eine sehr unfreundliche Aufnahme. Man gab mir alles mit Murren und Verachtung, wie einem Bettler, und ließ mich es doch wie einen Gentleman bezahlen. Ich glaube, es war dem Kerl nicht gelegen, dass er mir, als einem so erbärmlichen Menschen, der zu Fuße ginge, aufwarten sollte. Ich war müde und forderte ein Zimmer zum schlafen, und man wies mich in eines, das einem Gefängnis für Missetäter ziemlich ähnlich sahe. Ich forderte auf die Nacht ein besseres Zimmer, und bekam zur Antwort, dass man gar nicht gesonnen sei, mich die Nacht zu beherbergen, weil keine Gelegenheit dazu wäre, ich möchte nur nach Slough wieder zurückgehen, da würde ich wohl ein Nachtlager bekommen.