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Kirche

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Sonntag in Nettlebed

Endlich wieder „Sir“

Eine Predigt in der Dorfkirche

Am folgenden Morgen zog ich reine Wäsche an, die ich bei mir trug, und putzte mich, so gut ich konnte, heraus, und als ich nun herunter kam, wies man mich nicht, wie den Abend vorher, in die Küche, sondern in das Parlour oder Fremdenzimmer, unten an der Erde; auch hieß ich wieder Sir, da ich den Abend vorher nur Master tituliert wurde, mit welcher letztern Benennung man eigentlich nur Bauern und ganz gemeine Leute anredet.

Es war Sonntag, und alles im Hause hatte sich schon festlich angeputzt. Es fing mir an in diesem Dorfe außerordentlich zu gefallen, und ich nahm mir vor, diesen Morgen dem Gottesdienste mit beizuwohnen. Zu dem Ende lieh ich mir von meinem Wirt dem Herrn Illing, dies war sein Name, der mir auffiel, weil er auch in Deutschland sehr gebräuchlich ist, ein Prayerboock (Gebetbuch), worin ich beim Frühstück für mich blätterte, und verschiednes von der Englischen Liturgie darin las. Auffallend war es mir, daß den Priestern alle Worte vorgeschrieben sind, deren sie sich bedienen müssen, wenn sie einen Kranken besuchen, wo sie z. B. anheben müssen: Peace dwell in this House! (Friede sei mit diesem Hause) u. s. w.

Daß ein solches Buch aber Gebetbuch und nicht Gesangbuch heißt, rührt daher, weil bei dem Englischen Gottesdienst von der Gemeine eigentlich nicht gesungen, sondern nur gebetet wird. Demohngeachtet aber sind auch in diesem Gebetbuche die Psalmen in Englische Verse übersetzt mit befindlich.

Das Gebetbuch, was mir mein Wirt liehe, war ein rechtes Familienstück, denn aller seiner Kinder Geburts- und Namenstage, und auch der Tag seiner Hochzeit waren sorgfältig darin verzeichnet. Um desto mehr Wert hatte auch dies Buch in meinen Augen.

Um halb zehn Uhr fing erst der Gottesdienst an. Grade unserm Hause gegenüber standen die Knaben des Dorfs, alle blühend und schön, und sehr nett und sauber angezogen, ihr rundabgeschnittnes Haar nach Englischer Art gekämmt, mit offner freier Brust, und die weißen Kragen an ihren Hemden von beiden Seiten übergeschlagen. Sie schienen sich hier beim Eingange des Dorfs versammlet zu haben, um den Pfarrer zu erwarten.

Ich ging ein wenig vor das Dorf hinaus spazieren, wo ich von fern einige Männer aus einem andern Dorfe kommen sahe, die dem hiesigen Gottesdienste beiwohnen wollten.

Endlich kam der Pfarrer geritten. Die Knaben zogen ihre Hüte vor ihm ab, und bückten sich tief vor ihm. Er war ein Mann von schon etwas ältlichem Ansehn, und trug sein eignes Haar rund frisiert, oder vielmehr, wie es sich von selber in Locken rollte.

Es ward geläutet, und ich ging, mein Gebetbuch unterm Arm, mit der Gemeine zur Kirche; wo mir der Clerk oder Küster sehr höflich dicht vor der Kanzel einen Platz anwies.

Die Auszierung der Kirche war sehr simpel. Gerade über dem Altar, waren auf zwei Tafeln mit großen Buchstaben die zehn Gebote verzeichnet, welche doch immer ein sehr kurzer und nachdrücklicher Inbegriff einer Sittenlehre für das Volk sind.

Unter der Kanzel dicht am Aufgange derselben war ein Pult, worin der Prediger, vor der Predigt, stand, und eine sehr lange Liturgie ablas, worauf der Küster jedesmal antwortete, indes die ganze Gemeine leise mit einstimmte. Wenn z. B. der Priester sagte: God have Mercy upon us! so antwortete der Küster und die Gemeine: and forgive us all our Sins! oder der Priester las ein Gebet, und die ganze Gemeine sagte Amen dazu.

Dies ist für den Prediger sehr beschwerlich, der nicht nur, so lange er predigt, sondern während des ganzen Gottesdienstes beständig reden muß. Aber das Mitbeten der ganzen Gemeine hat etwas sehr Feierliches und Rührendes.

Ein Paar Soldaten, die neben mir saßen, und vermutlich in London gewesen waren, schienen schon starke Geister sein zu wollen, denn sie beteten nicht laut mit.

Nachdem nun eine Weile gebetet war, merkte ich auf dem Chore einige Bewegungen, der Clerk war sehr geschäftig, und man schien sich zu irgend etwas Feierlichem zu rüsten, auch erblickte ich verschiedne musikalische Instrumente, als der Prediger mit Lesen inne hielt, und der Clerk vom Chor herunter sagte: Laßt uns zur Ehre Gottes singen, den sieben und vierzigsten Psalm, der sich anhebt, awake, our Hearts, awake with joy!

Und wie rührend und herzerhebend war es, als nun auf einmal in dieser kleinen ländlichen Kirche eine Instrumental- und Vokalmusik erschallte, welche von keinen gedungenen Tonkünstlern, sondern von den glücklichen Bewohnern dieses Dorfes selbst, als ein fröhliches Opfer zur Ehre ihres Gottes dargebracht wurde.

Dieser Gesang wechselte nun noch einigemal mit dem Gebet ab, und die Melodie der Psalmen hatte einen so raschen und freudigen, und doch dabei erhabnen Gang, der das Herz unaufhaltsam zur Andacht mit sich fortriß, und mich oft bis zu Tränen rührte.

Der Prediger trat nun auf und hielt eine kurze Rede über den Text: Es werden nicht alle, die zu mir Herr! Herr! sagen ins Himmelreich kommen, u. s. w. Er handelte in ziemlich allgemeinen Ausdrücken und Predigerterminologien von der Notwendigkeit, des Herrn Willen zu tun, sagte aber weiter eben nichts besonders Zweckmäßiges. Die Predigt dauerte keine halbe Stunde.

Dieser Prediger hatte eben kein freundliches, einnehmendes Wesen, und schien auch den Bauern etwas stolz mit einem vornehmen Kopfnicken zu danken, wenn sie ihn grüßten.