Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Überlandfahrten

Body: 

Keine Green Buses

Verschiedene Räuberarten

Ein bißchen Rassismus gegenüber hoffährtigen Juden

Richmond, den 21sten Juni*.

Gestern Nachmittag bin ich denn zum erstenmale in einer sogenannten Stage oder Postkutsche gefahren. Diese Kutschen sind sehr elegant, inwendig ausgeschlagen, und zweisitzig, für sechs Personen eingerichtet, die sich denn freilich, wenn die Zahl voll ist, etwas einschränken müssen.

Bei dem weißen Hirsch, wo die Kutsche abfuhr, stieg zuerst nur eine etwas ältliche Dame mit hinein; so wie wir aber weiter fuhren, ward sie ganz und gar, größtenteils, mit Frauenzimmern, und nur noch einer Mannsperson, besetzt. Die Gespräche der Frauenzimmer unter einander, die sich teils kannten, waren ziemlich fade und langweilig. ich zog meinen Wegweiser heraus, und sahe nach, welchen Weg wir fuhren.

Ehe man weiß wie man aus London gekommen ist, ist man schon in Hammersmith, Kensington, u. s. w., weil die einzelnen Häuser von London an beiden Seiten noch immer fortdauren, wenn die Stadt schon aufgehört hat; es ist beinahe so, als wenn man von Berlin nach Schöneberg fährt, obgleich in Ansehung der Aussicht, Häuser, und Straßen, ein himmelweiter Unterschied ist.

Es war ein schöner Tag, und die herrlichsten Aussichten von beiden Seiten, auf denen das Auge gern länger verweilt hätte, wenn unser Wagen nicht so neidisch vorbeigerollt wäre. Etwas sonderbar sah es mir aus, als ich einige Meilen von London, ein prächtiges weißes Haus in der Ferne, und an der Heerstraße wo wir fuhren, einen Handweiser erblickte, worauf die Worte standen; jenes große weiße Haus in der Ferne ist eine Boardingschool!

Der Mann, welcher mit im Wagen saß, zeigte uns die Landhäuser der Lords und Großen, vor welchen wir vorbeifuhren, und unterhielt uns mit allerlei Geschichten von Räubereien, die in dieser Gegend an Reisenden verübt worden waren, so dass dem Frauenzimmer anfing, etwas bange zu werden. Drauf fing er an, die Ehre der Englischen Straßenräuber gegen die französischen zu retten: diese raubten doch nur, sagte er, aber jene mordeten zugleich.

Demohngeachtet gibt es in England eine Art Spitzbuben, welche ebenfalls morden, und das zwar oft um eine Kleinigkeit, die sie dem Ermordeten abnehmen. Diese heißen Footpads, und sind freilich die allerniedrigste Klasse von den Englischen Spitzbuben, unter denen eine gewisse Rangordnung herrscht.

Die vornehmste Klasse sind die Pickpockets oder Beutelschneider, die man allenthalben oft in den besten Gesellschaften findet, welche gemeiniglich sehr fein und sauber gekleidet sind, so dass man sie für Leute von Stande hält, welches sie denn auch zuweilen wirklich sein mögen, indem sie durch unzählige Ausschweifungen in Dürftigkeit geraten, und endlich sich genötigt finden, zu diesem Mittel ihre Zuflucht zu nehmen.

Nach ihnen kommen die Highwaymen, oder Straßenräuber, die zu Pferde sitzen, und oft mit einer Pistole, die nicht geladen ist, die Reisenden in Schrecken setzen, um ihrer Börsen habhaft zu werden, welche aber auch zuweilen großmütig einen Teil ihres Raubes wieder zurückgeben, und nicht leicht eine Mordtat begehen.

Dann kommt die dritte, und niedrigste aber auch schändlichste Klasse der Footpads, welche zu Fuße sind, und oft um ein Paar Schillinge willen, arme Leute, die ihnen in den Weg kommen, jämmerlich ermorden, wovon in den Englischen Zeitungen fast täglich traurige Beispiele zu lesen sind. Wahrscheinlich morden sie deswegen, weil sie nicht, so wie die Highwaymen mit ihren Pferden, die Flucht nehmen können, und man ihnen also leichter nachsetzen, und ihrer habhaft werden kann, wenn der Beraubte sie angeben sollte.

Doch wieder auf unsre Postkutsche zu kommen, muß ich erinnern, dass es noch eine sonderbare Art nicht in, sondern auf derselben zu fahren gibt. Es sitzen nehmlich Personen von niedrigem Stande, oder die nicht viel bezahlen können, anstatt inwendig, oben auf der Kutsche, ohne dass ein Geländer oder Sitze oben angebracht wären, sondern sie sitzen ganz frei, und lassen die Beine herunterhängen.

Dies nennt man on the Outside (auf der Außenseite) fahren, wofür nur halb so viel bezahlt wird, als wenn man on the Inside (inwendig in der Kutsche) fährt. Wir hatten also sechs Passagier über unsern Köpfen, welche oft beim Auf- und Absteigen ein erschütterndes Geräusch über uns verursachten. Wer sich auf dieser Außenseite der Kutsche gehörig im Gleichgewicht erhalten kann, der sitzt da recht gut, und fährt im Sommer bei heitern Tagen, wegen der freien Aussicht, fast angenehmer, als inwendig, nur taugt die Gesellschaft gemeiniglich nicht viel, und der Staub ist ebenfalls beschwerlicher, als inwendig, wo man doch die Fenster nach Belieben zumachen kann.

Zu Kensington, wo wir anhielten, wollte ein Jude gern mitfahren, da aber inwendig kein Platz mehr war, so wollte er nicht an der Outside fahren, welches ihm mein Reisegefährte in der Kutsche sehr übel nahm, und sich gar nicht darüber zufrieden geben konnte, dass ein Jude sich schäme an der Outside zu sitzen, da er doch nichts weiter, als ein Jude wäre. Dieses Vorurteil und Verachtung gegen die Juden habe ich überhaupt hier in England weit häufiger, als bei uns bemerkt.

Von den prächtigen Landhäusern und Lustschlössern, vor welchen wir nun vorbeifuhren, konnte ich, aus den Fenstern unsrer Kutsche immer nur stückweise und abgebrochen einen Prospekt haben, welches mich wünschen ließ, bald aus diesem rollenden Kerker befreit zu sein.

Gegen Abend kamen wir denn auch in Richmond an. In London hatte ich vor meiner Abfahrt einen Schilling bezahlt, hier auch einen, und also von London bis Richmond nicht mehr als zwei Schilling.

Sobald ich in einem Gasthofe abgetreten war, und ein Abendessen bestellt hatte, ging ich sogleich aus, um die Stadt und die Gegend umher zu besehen.

Die Stadt sieht schon weit ländlicher, angenehmer und heitrer aus, wie London, und die Häuser scheinen auch nicht so sehr vom Kohlendampf geschwärzt zu sein. Auch kam mir es hier schon weit geselliger und wirtbarer vor. Die Leute saßen auf Bänken vor den Türen ihrer Häuser, um der kühlen Abendluft zu genießen. Auf einem schönen grünen Rasenplatze mitten in der Stadt ergötzte sich eine große Anzahl Knaben und auch erwachsene junge Leute mit Ballspielen. Auf den Straßen herrschte gegen das Geräusch von London eine angenehme ländliche Stille; und man atmete hier eine reinere und freiere Luft ein.

Nun ging ich aus der Stadt, über eine Brücke, die über die Themse geht, und wo man allemal einen Penny bezahlen muß, so oft man hinüber und herüber geht. Die Brücke war sehr hoch und bogenförmig gebaut, und von ihr stieg ich sogleich in ein reizendes Tal, am Ufer der Themse, hinunter.

Es war Abend, die Sonne schoß ihre letzten Strahlen das Tal hinunter. Aber diesen Abend und dieses Tal werde ich nie vergessen! Dies war in seiner Art der reinste Anblick der schönen Natur, den ich in meinem Leben gehabt habe. Was ich dabei empfand, wird kein Federstrich schildern können.