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Londoner Plätze und Luxusleben

Schon der Anblick der vielen Inschriften unterhält, welche an den Häusern mit vollkommen schön gezogenen goldenen Buchstaben glänzen. Welche Mengen Bedürfnisse, die der genügsame Deutsche kaum kennt! Besonders fällt es auf, dass die königliche Familie so viele Kaufleute und Handwerker beschäftigt. Aber jeder derselben, bei dem einmal zufällig für ein Mitglied des königlichen Hauses gekauft wird, jeder Schuster oder Schneider, der einmal so glücklich war, für einen Prinzen einen Stich zu tun, hat das Recht, sich auf der Inschrift seines Hauses dessen zu rühmen und die Gunst des Augenblicks für dauernd auszugeben. So prangt denn auch der Name eines mit allerhand Arkanen Handelnden auf der Inschrift seines Hauses am Strand mit dem prächtigen Titel: Bugdestroyer to Her Majesty, the Queen, Wanzentilger Ihrer Majestät der Königin. Gewiß ein Titel, der noch auf keiner Hofliste gefunden ward!

Wunderbar abstechend ist der Kontrast, wenn man aus dem Gewühl der City in den anderen Teil der Stadt tritt. Hier deutet alles auf bequemes, ruhiges Genießen; kein rauschender Erwerb, kein Gedränge der arbeitenden Menge. Alles hat Zeit, alles scheint einzig bedacht, diese auf das angenehmste hinzubringen.

Die Magazine und Läden bieten dar, was nur der raffinierteste Luxus verlangt, weit teurer als in der City, aber auch schöner, moderner, eleganter. Der Schuhmacher in der City verkauft zum Beispiel seine Waren im Laden, hübsch aufgeputzt, und nimmt in seiner an denselben stoßenden, reinlich möblierten Stube das Maß, wenn´s verlangt wird; in Bond Street aber wird man in ein elegantes, mit Diwan, köstlichen Lampen und seidenen Gardinen geschmücktes Boudoir zu diesem Zweck geführt, und schwerlich würde der Artist einen Fuß berühren, der nicht aus einer Equipage gestiegen wäre. Dafür kostet aber auch sein Kunstwerk zwei Guineen. Nach diesem Maßstabe geht alles.

Nichts ist schöner als die großen Plätze in diesem Teile von London; zwar umgeben sie keine Paläste, denn deren gibt´s ohnehin hier wenige, aber schöne große Häuser, alles solid und prächtig. Dazu die hübschen Boskette in der Mitte der Plätze, zu welchen jeder Bewohner der umliegenden Häuser für eine Guinee einen Schlüssel haben kann.

Glänzende Equipagen rollen, Mohren, bunte Livreen, geputzte Herren und Damen beleben die Trottoirs, ohne Gedränge, ohne Lärm. Der Fremde aber, dem es darum zu tun ist, das englische Volk kennen zu lernen, kehrt bald gern zurück aus diesem vornehmen Quartiere, wo es wie überall in der großen Welt zugeht, und sucht das neue, sonst nirgends gesehene Leben der eigentlichen Stadt London auf.

Bettler*

Vom eigentlichen Bettler wird man in Londons Straßen wenig gewahr, dennoch wissen die Armen auf mannigfaltige Weise die Wohltätigkeit anzuregen. So sahen wir oft zwei Matrosen: einem fehlte ein Bein, dem anderen ein Arm; aufeinander gestützt schwankten sie durch die Straßen, indem sie mit lauter Stimme nach einer wilden, klagenden Melodie eine Art Ballade sangen, welche die Geschichte ihrer Leiden enthielt. Mitleidig weilte John Bull bei ihrem Klageliede und belohnte es gern mit einigen Pence.

An den Kreuzwegen, wo man, um in eine andere Straße zu gelangen, die Trottoirs verlassen und über den Fahrweg gehen muß, stehen immer Leute, die geschäftig einen reinlichen Fußpfad kehren, der freilich alle Augenblicke durch darüber rollende Wagen wieder zerstört wird. Bescheiden wagen sie wohl zuweilen die Frage: ob man nicht einige einzelne Pfennige führe? Und auch ohne diese gibt man ihnen gern.

An wenigen betretenen Plätzen, besonders im ruhigen Teile der Stadt, sieht man oft Männer, die mit Kreide auf den breiten Quadersteinen der Trottoirs wunderschöne kolossale Buchstaben malen, Namen, Sentenzen, Sprüche aus der Bibel. Der Vorübergehende steht still, bewundert ihre Kunst und belohnt sie unaufgefordert mit einer kleinen Gabe. Unbegreiflich war es uns immer, wie Leute, die eine so schöne Hand schreiben, so tief in Armut versinken können. Auf dem festen Lande müßte jeder dieser Bettler als Schreibmeister oder Schreiber seine reichliche Existenz finden, denn es ist unmöglich, etwas Vollkommeneres in seiner Art zu sehen als diese Schrift.

Besonders merkwürdig aber erschien uns eine Bettlerin, der wir täglich in den volkreichsten Straßen der City begegneten. Man hielt sie allgemein für eine durch verschuldete oder unverschuldete Unglücksfälle so tief gesunkene Schwester der berühmten Schauspielerin Siddons, wenigstens trug sie eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dieser in ihren Zügen. Dieselbe hohe, edle Gestalt, derselbe Adel in Blick und Miene, nur älter, blaß und wie versteinert durch lange Gewohnheit des Unglücks. Niemand beschuldigte Mme. Siddons der Härte gegen ihre unglückliche Schwester, denn alle, welche diese Frau für solche ausgaben, fügten hinzu: sie nähme nichts von ihr an und wolle nun einmal bloß von fremdem Mitleid ihr Leben fristen. Oft begegnete uns diese wunderbare Erscheinung. Sie trug immer einen schwarzseidenen Hut, der nicht so tief in´s Gesicht ging, dass man nicht dessen Züge hätte bemerken können; ein grünwollenes Kleid, eine schneeweiße große Schürze und ein ebensolches Halstuch. Schweigend, mit stolzem Ernst wandelte sie, gestützt auf zwei Krücken, langsam und ungehindert durch die Menge. Jedermann wich ihr mit einer Art Ehrfurcht aus und ehrte in ihr die Heiligkeit eines großen, ungekannten Unglücks. Sie forderte nicht, sie bat nicht, aber reichliche Gaben wurden ihr dennoch von allen Seiten geboten, jeder fühlte sich gezwungen, getrieben, ihr zu geben. Es war, als müsse man ihr danken, dass sie die gebotenen Gabe nur nahm. Sie dankte nicht; mit dem Anstande einer Königin nahm sie das Dargebotenen und wandelte stumm weiter wie ein Geist. Die bildende Kunst hat sich diese auffallende, große Gestalt, diesen weiblichen Belisar, möchten wir sagen, oft zum Vorbild gewählt. In allen Kupferstichmagazinen, bei allen Ausstellungen der Maler fand man ihr sprechend ähnliches Bild, denn diese Züge drückten sich leicht der Phantasie ein.