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Irischer Rock

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ROCKMUSIK IN IRLAND – SAKROSANKT

NO SEX, NO DRUGS, BUT ROCK ´N ROLL

Berichte und Erzählungen werden in Irland, solange man nur zurückdenken kann und infolge der harten Strafgesetze, die England hier erließ, geradezu reflexhaft in Versform gegossen. Als im letzten Jahrhundert die große Auswanderungswelle nach Amerika hinüberschwappte, brachten die Iren im Handgepäck nach dort die Gabe mit, die Geschichte eines Volkes musikalisch einfangen zu können: Romanzen, Helden, ruchlose Taten, Tatsachen und Legenden aus dem Wilden Westen sind in Balladen wie der über Jesse James auf uns gekommen. Übrigens waren zu der Zeit Cowboys irischer Herkunft bei den Besitzern großer Viehherden am gefragtesten, weil diese die Feststellung gemacht hatten, dass deren melodiöser Gesang die Rinder friedlich stimmte.

Der Rock´n´Roll entstand in Amerika aus der Begegnung von Europäern und Schwarzafrikanern. Aber ein langer Weg voll Blut, Schmerz und Leid war zu gehen, ehe die Musik der beiden Volksgruppen viele tausende von Kilometern von deren Wiege entfernt zu der Musikrichtung verschmolz, die für das zwanzigste Jahrhundert stellvertretend werden sollte: die Rockmusik. Der gar nicht so falsche Ansatz der Commitments, von denen sich der Name der Musikgruppe in Alan Parkers gleichnamigem Film ableitet – und der wiederum vom Titel eines Buches von Roddy Doyle entlehnt ist – geht davon aus, dass die Iren am Anfang der Rockmusik standen.

Vor allem aber ist Rock eine Musik des Widerstandes ... mit drei Akkorden. Und sie ist mit ihren Worten nicht sehr wählerisch, wenn es darum geht, Wünsche und Gefühle junger Leute zum Ausdruck zu bringen: Begehren, Liebe, Haß. Und daher: sobald die Rockmusik einen anderen Weg als den immerwährenden Protestes einschlagen will, verwässert sie zu einer ungenießbaren Mischung, die man gern als »Soße« bezeichnet. Rock ist eher eine Geisteshaltung als eine Musikrichtung, auch dies ist vorwiegend ein Beitrag der Iren. Grob abgekürzt könnte man formulieren, die Sklavenhaltung in Nordamerika und die Große Hungersnot in Irland seien der Quell der Musik gewesen, die gegenwärtig die ganze Welt überschwemmt. Anfänglich hatten die Schwarzen die Rockmusik über Blues und Rhythm´n´Blues für sich gepachtet, während die Weißen – die natürlich keine »Negermusik« an sich ließen – Country & Western-Musik konsumierten, inklusive dem großen irischen Anteil darin. Eines schönen Tages aber brachte ein gewisser Chuck Berry, Kind der schwarzamerikanischen Kultur, eine Art Abkömmling des Country & Western in einer so faszinierend eigenwilligen Weise, dass der Erfolg nicht lange auf sich warten ließ. Die Rockmusik nahm Gestalt an.

Sehr schnell durchdrang der Rock alle anderen populären Musikarten und wurde die amerikanische Musik schlechthin. In der Alten Welt schossen Elvis´ Doppelgänger wie Pilze aus dem Boden. Aber diese »Rückkehr des Bumerangs« konnte die Entwicklung genuiner europäischer Rockmusik nur beschleunigen: der Psychedelic Rock aus London mit indischen Anklängen, der in den sechziger Jahren Verbreitung fand; das amerikanische Folk-Revival, an der Spitze Bob Dylan; der deutsche Elektronik-Rock von »Kraftwerk« und anderen; der Punk und dessen französischer Ableger. Kurz: eine Menge von musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten für soziale und politische Zustände. Und was machten die Iren derweil? Das, was sie immer taten, sie exportierten ihre Musik. Sie war überall präsent auf der Welt: Joan Baez, halbe Irin – die andere Hälfte ist mexikanisch – Judy Collins und Van Morrison, irische Stimmen, oder Rory Gallagher, Gitarrist aus Irland, 1995 verstorben, um nur einige zu nennen. Anfang der achtziger Jahre wuchs U2 zur größten Rockband der Welt heran; auch wenn deren Mitglieder dem traditionellen Irland nicht mehr verhaftet sind, so sind sie doch alle in Dublin geboren und gehören mit einer Ausnahme der anglikanischen Kirche an. Dann gibt es da noch Bob Geldof, der, abgesehen von seinen Erfolgen mit den Boomtown Rats – dieser Name stammt von einem Buch von Woody Guthrie, dem großen amerikanischen Protestsänger – um ein Haar noch den Friedensnobelpreis für seine Wohltätigkeitskonzerte wie zum Beispiel »Band Aid« erhalten hätte.

Anfang der achtziger Jahre erfuhr die irische Rockmusik einen entscheidenden Umschwung mit dem Auftauchen der »Pogues«. In London ansässig, aber eigentlich »Zugereiste« aus Irland, begaben sie sich auf die Suche nach ihren eigenen Wurzeln. Zurück von ihrer Zeitreise, drückten sie traditionelle Lieder durch die Punk-Mühle. Der vollständige Name der Gruppe – »Pogue Mahone« – bedeutet auf Gälisch »Leck´ mich am A...«. Sie sind unbotmäßige, alkoholisierte Poeten, deren erster Erfolg auf einem Gedicht von Ewan McColl beruhte: »Dirty Old Town«. Dann übernahm der Ex-Sänger Shane McGowan nach und nach den kreativen Löwenanteil und schuf zusammen mit dem Gitarristen Philip Chevron eine Reihe packender Lieder über Einwanderung, die Gespenster der Vergangenheit und die Schwierigkeit, seine irische Identität, der im angelsächsischen Raum so viel Verachtung entgegenschlug, zu behaupten. Ihr gewaltsamer, vulgärer Stil, durch den all´ die verhaßten Facetten des irischen Wesens gleichsam in den Rachen der britischen Hitparaden hineinrülpsten, wäre ohne den Punk der »Sex Pistols« gar nicht denkbar. Sogar in Irland selbst schmälerte man ihre Verdienste: ihr Portrait der Iren war nicht immer schmeichelhaft, wenn auch oft vom Genie angehaucht, und paßte den Verbürgerlichten unter ihren Landsleuten, die sich auf zukünftigen Wohlstand durch die Europäische Gemeinschaft spitzen, gar nicht in den Kram. Aber die »Pogues« standen sicher am Anfang der heutigen Commitments-Bewegung in Dublin. Commitment kommt von to commit, »sich beteiligen, sich engagieren, sich einschwören auf etwas«, und heißt daher so etwas wie »Engagement«. Man steht dazu, irisch zu sein, man bleibt in Dublin, man unterwirft sich nicht mehr den Regeln des anglo-amerikanischen Show-Biz und tingelt durch die Welt. Heute treten rund 1.200 Gruppen in Pubs in Irland auf und produzieren ihre Platten dort. Kurz, der genaue Gegensatz zu Gruppen wie »U2«, die ihre Seele einer religiösen Sekte und ihr Talent König Dollar geopfert haben, um dieser unruhigen Insel, deren tragische Geschichte an das menschliche Gewissen pocht, zu entkommen. Die Commitments-Bewegung ist für Irlands Zukunft von immenser Wichtigkeit, denn zunächst einmal muß der Auswanderung Einhalt geboten werden. Es muß verhindert werden, dass Irland seinen Nachwuchs verliert ...