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Barrios

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In den Barrios

Wegzoll nach Einbruch der Nacht

Heimat der Kleinbetriebe

In den Barrios ist die Kriminalität besonders hoch. Kriminelle Delikte jeder Art sind an der Tagesordnung, besser gesagt, sie geschehen ab Einbruch der Dunkelheit (ca. 19.00h). Auf manchen Wegen erheben Kriminelle einen Wegezoll. Doch die Menschen, die in den Barrios wohnen, sind nicht alle Verbrecher. Sie bangen selbst um ihr Hab und Gut sowie um ihre Kinder. Die Polizei, die in dieser Gegend tätig ist und dem Unwesen Einhalt gebieten soll, stammt selbst aus dem Randbereich der Gesellschaft und ist daher oft am Verbrechen beteiligt, d.h. sie nimmt den Verbrechern einen Teil bzw. die gesamte Beute ab und verramscht sie selbst. Es gibt sogar Barrios, wo nur Kolumbianer wohnen, von denen die meisten keine gültigen Papiere besitzen. Dort lassen sich keine Polizisten sehen, nicht einmal Soldaten trauen sich dort hinein.

In den Barrios arbeiten Kleinbetriebe, wie Bäcker, Mechaniker und Bautrupps. Alle Bewohner besitzen Sonntagskleidung. Trifft man sie am Sonntag im Park, kann sie rein äußerlich niemand von der Mittelschicht unterscheiden. Lädt man einen Armen zum Essen ein, so stellt man fest, dass er einen Rest auf dem Teller läßt, weil er nicht als ausgehungert angesehen werden möchte. Die deutsche Nachkriegsmentalität, alles aufzuessen, verstehen die Menschen hier nicht. Barrios mit hoher Kriminalität finden sich hauptsächlich in den Großstädten Caracas und Maracaibo. Andernorts weisen sie einen wesentlich niedrigeren Baustandard auf. Dort trifft man auf Wellblech- oder Lehmhütten. Als Baumaterial dienen Palmzweige und Äste, die mit Lehm zu stabilen Wänden verbunden werden. Die Wohlhabenderen verputzen sogar die Wände und streichen sie an, so dass das Grundmaterial nicht mehr zu erkennen ist. Erst beim Betreten nimmt der Besucher vom Lehmfußboden Kenntnis und denkt sich seinen Teil. Das Dach ist aus Wellblech, und so verwandelt sich die Hütte bei Regen in eine Trommel.

Straßennamen und Hausnummern sucht man in den Barrios vergebens. Hier herrscht absolute Anonymität. Ein Schulbus holt die Kinder ab. Jedoch besuchen die meisten die Schule nur vier Jahre lang. Der Vater gibt seinem Filius zu verstehen, dass er auch nicht zur Schule gegangen sei und doch gut lebe. Während es 1950 noch 49% Analphabeten gab, waren es 40 Jahre später nur noch 9%. Meist liegt das Alter der Analphabeten über 55 Jahren. In den Industriegebieten leben nur 4 bis 5%, in den dünnbesiedelten und eher von Indianern bewohnten Gebieten bis zu 24% Analphabeten. Da die Kinder der Armen zum Lebensunterhalt der Familie beitragen müssen, verdienen sie ihr Geld als Schuhputzer oder durch den Verkauf von Kleinigkeiten in den Fußgängerzonen. Viele Kinder betteln besonders bei Feriengästen, die in den Straßencafés sitzen, um ein paar Münzen. Wir vollbringen keine gute Tat, wenn wir den traurigen Kinderaugen unterliegen und ein paar Münzen lockermachen, denn die Kinder verlieren den Sinn für den Schulbesuch, werden bequem und verstehen schließlich den Ausspruch des Vaters. In einem Einkaufszentrum in Maracaibo habe ich beobachtet, wie zwei größere Kinder sich einen schmuddeligen Overall über ihre Sonntagskleidung zogen und erst im Pizzageschäft die Kunden um ein Stück Pizza und später Passanten um Geld anbettelten. Als sie genug zusammen hatten, steckten sie ihren Overall in eine Plastiktüte und gingen zu den Spielautomaten. Das soll sich nun mit der neuen Regierung Calderas ändern. Er möchte in der Schule Essen an die Kinder ausgeben und so die Sprößlinge minderbemittelter Familien in die Schule locken.