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Heiße Rythmen

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Musik, Rhythmus und Tanz

Lateinamerikanische Rhythmen, die zum Tanzen bewegen

Auch wenn Venezuela auffallend stark durch die amerikanische Kultur geprägt ist, keine der Fastfoodketten fehlt und sich die Jugendlichen mit T-Shirts, deren Aufdruck englischsprachig ist, kleiden, so überrollt die englische Musikwelle das Land bisher noch nicht. Der Gesetzgeber ist daran nicht ganz unbeteiligt. Wie schon bei den Arbeitsgesetzen wurde auch der venezolanischen Musik eine Quote von 75% zuerkannt, an die sich die Radiosender zu halten hatten. Heute hat diese Quote ausgedient, und einige Kanäle spielen nur noch englische Musik.

Venezolanische Diskjockeys lassen kaum englische Musik, wie sonst üblich in Lateinamerika, aus den Lautsprechern tönen. Hier bewegen sich die jungen Menschen zu lateinamerikanischen Rhythmen. Hauptsächlich drehen sich Salsa- und Merenguescheiben auf dem Plattenteller, deren musikalischer Ursprung in der Karibik liegt: die »Salsa« stammt aus Kuba und der »Merengue« aus der Dominikanischen Republik. Merengue ist ein alter folkloristischer Tanz, der 1850 den Tumbatanz in der Dominikanischen Republik verdrängte. Nur ein Vierteljahrhundert später brachten deutsche Einwanderer das Akkordeon mit, das andere Instrumente der Merenguemusik ersetzte. Die Musik entstand auf dem Land (Country Merengue) und zog später in die moderne Musikszene ein. Popularität gewann der Merengue in Venezuela erst in den achtziger Jahren: durch bekannte Interpreten aus der Dominikanischen Republik wie Wilfrido Vargas und die Gruppe 4:40. Einer der erfolgreichsten Sänger ist Juan Luis Guerra, dessen Lieder nicht nur in ganz Lateinamerika zu hören sind, sondern auch auf der Iberischen Halbinsel. Der brasilianische Tanz »Samba« kommt selten auf den Plattenteller, der »Lambada« hingegen öfter. Der erotische Ausdruck beim Lambadatanz, wie er in Brasilien üblich ist, fehlt hier allerdings. Durch den starken Einfluß der Kolumbianer ist ebenso häufig die »Cumbia« zu hören. Neue Tänze wie »Punta« oder abgewandelte Formen wie »Merengue hip hop«, »Merengue rap« oder Modetänze wie »El Meneito« kommen noch hinzu. Doch auch die Salsa unterliegt einer Erweiterung: »Salsa Erotica« und »Salsa Romantica« zeigen relativ neue Ausdrucksformen in der Musik. Der argentinischen Tango ist in Venezuela nicht zuhören, dafür hin und wieder einen mexikanischen Walzer oder einen »Paso Doble«. Die südamerikanische Musikkultur wird hier jedenfalls gewahrt. Die Texte der Lieder reflektieren den Zeitgeist. In allen Varianten besingen die Künstler Standardthemen wie Liebe und Eifersucht. Als neue Themen gelten »SIDA« (AIDS) sowie dessen Prävention. Antiamerikanische Texte, wie sie aus den südlichen Ländern Südens Lateinamerikas, aus Mittelamerika oder Kuba bekannt sind, kamen mir nicht zu Ohren. Der berühmteste Sänger, den das Land hervorbrachte, heißt Oscar d’Leon, auch »Löwe der Salsa« genannt. Er ist wohl der anerkannteste venezolanische Künstler in der Welt. Mit seiner Salsaband feiert er große Erfolge in Lateinamerika, den Vereinigten Staaten und von Japan bis Europa. Der »Selfmade Man« einfacher Herkunft nahm mehr als fünfzig Platten auf und ist bei Latino-Mega-Konzerten zu finden. Inzwischen hat er zwei seiner Söhne mit in die Band aufgenommen.

Der Venezolaner lernt bereits in der Wiege tanzen, wenn die Mutter sie rhythmisch schaukelt. Sowie das Kind laufen lernt, probiert es schon die ersten Tanzschritte aus. Auf den vielen Familienfesten hat es genug Gelegenheit zum Üben. In der Schule geht es dann mit den Faschingsfesten so weiter. Ein Volk von Tänzern ist geboren. Venezolaner tun sich schwer damit, uns diese Tanzschritte beizubringen, da wir nach Regeln tanzen wollen, so wie wir es von der Tanzschule her kennen, oder weil uns das paarweise Tanzen schwerfällt.

Auf das sich Adam nicht langweile, schuf Gott die Eva. Der Mann sollte eine Lebensgefährtin haben. Das Spiel mit der Liebe ist dem Venezolaner weitaus bedeutender als den Europäern. Für ihn stellt es das Salz in der Suppe dar, und das drückt sich besonders in Musik und Tanz aus. Während es in Europa und Amerika seit vielen Jahren üblich ist, auf der Tanzfläche jegliche Partnerberührung zu vermeiden und sich einsam in individuellen Aerobic-Übungen zu verrenken oder in Grüppchen zu tanzen, so kann das einen Lateinamerikaner nur langweilen. Hier tanzen die Menschen noch zu zweit. Es erweckt den Anschein eines Paarungsspiels, wenn sich beide Geschlechter zum Merenguerhythmus zusammen bewegen. Erotik und Lust zur Verführung werden sehr deutlich. Doch erst, wenn man Bauchnabel an Bauchnabel tanzt, spürt man Spannung. Das gleiche gilt für die »Salsa Erotica«.

Zur Musik gehört auch die Klassik. Dabei stellt man mit Erstaunen fest, dass Caracas über vier Symphonieorchester verfügt. Auch andere größere Städte wie Maracaibo oder Ciudad Bolívar unterhalten ihr eigenes Orchester.

Die traditionelle Volksmusik findet unter jungen Leuten kaum noch Anhänger, so dass die Volkstänze mit der Zeit aussterben. Auf dem Land oder in den Fischerdörfern pflegen die Menschen ihre Tradition. Landflucht und Verstädterung sowie die Umwandlung von Fischerdörfern in Fremdenverkehrsgebiete leisten den Bruch mit dieser Tradition Vorschub. Der berühmte Carite-Tanz (Name eines Fisches) stellt den Kampf zwischen Fischer und Fisch dar und ist nur noch zu regionalen Festtagen, in kleineren Ortschaften auf der Insel Margarita, zu sehen.

Wer sich um die Weihnachtszeit in Venezuela aufhält, kommt nicht umhin, sich die »Gaita« anzuhören, eine Volksmusik, deren Wiege in Maracaibo steht. Die Bands zählen ein Dutzend Musiker und singen auch sozialkritische Lieder, die sie jedes Jahr neu aufarbeiten. Die verwendeten Instrumente heißen: »Cuatro« (viersaitige Gitarre), »Charrasca« (waschbrettartiges Reibinstrument), »Furruco« (Hirtentrommel) und »Maracas« (Rasseln). Die Maraca ist übrigens ein Instrument, das ursprünglich Indianer aus den Früchten des Kalebassenbaums fertigten. Diese Art Volksmusik ist im ganzen Land zu hören und findet auch bei Jugendlichen Akzeptanz, die sogar in den Diskotheken danach tanzen. In Caracas findet jedes Jahr in der Weihnachtszeit ein Gaita-Festival statt.