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Schimpfliches

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Mörderische Mönche

Bretonisch auf Pergament

Keine offizielle Umfrage hat je die Zahl jener ermittelt, die Bretonisch sprechen, die einzige keltische Sprache, die noch auf dem Kontinent gesprochen wird. Im Jahr 1886 schätzte Paul Sébillot, dass es ungefähr 1.200.000 waren, von denen zwei Drittel einsprachig waren. Wieviele Bretonischsprecher sind es noch rund hundert Jahre später? Vielleicht 400.000, von denen jeder auch des Französischen mächtig ist.

Im 9. Jahrhundert, als es Erispoë gelang, von Kaiser und Papst als König der Bretonen anerkannt zu werden, wurde die Sprache in Dol, in Guérande und in Saint-Nazaire gesprochen. Geographischer Abstand, soziologischer Abstand. Was fehlte dieser heute zum Sterben verurteilten Sprache, um wie das Dänische oder das Irische das tägliche Sprachrohr einer modernen Gesellschaft zu sein? Vielleicht weil sie nie die Sprache eines Staates war, mit seinen Staatskanzleien, seinen Gerichten, seiner Verwaltung, seinen Schulen. Vom 12. Jahrhundert an wurde sie recht schnell zunächst vom Adel, später dann vom Bürgertum aufgegeben. Wie dem auch sei, diese Sprache der Minderheit, um nicht zu sagen minderwertig, hat lange Zeit an einer schlimmen psychologischen Unterlegenheit gelitten. Lesen Sie jedoch einmal Abélard, ein Bretone, der aus Le Pallet bei Nantes stammt. Zu den Mißgeschicken, die er erleiden mußte, zählte auch das Exil in einem niederbretonischen Kloster in Saint-Gildas de Rhuys. Die Mönche – wahre Wilde – versuchten, so berichtet er uns, ihren neuen Abt zu vergiften. Einfach deshalb, weil dieser die Absicht hatte, sie zur Beachtung der Benediktinerregeln zurückzuführen. Jedenfalls sprachen diese Grobiane nur Bretonisch, »eine schimpfliche Sprache, die ich nicht kennen will« (»Lingua mihi ignota et turpis«). Man könnte eine Anthologie von verächtlichen Ausdrücken bezüglich der bretonischen Sprache erstellen. Und dennoch verdient diese, übrigens nicht mehr als jede andere auch, jenen Auswuchs an Unbill. Im Gegenteil, wer ihre Geschichte kennt, erinnert eifrig an eine gewisse Pergamentschrift, die sich momentan in Leyden befindet, einem kurzen Fragment, dem einzigen erhaltenen Auszug aus einem auf Ende des 8. Jahrhunderts datieren Werk, das medizinische Rezepte enthält, die in einer Mischung aus Latein und Bretonisch verfaßt sind. Dies bedeutet also, dass eine kultivierte Elite ohne Vorbehalt Bretonisch schrieb. Und zu jener Zeit bedeutet auf Pergament gebettet zu sein für eine Sprache eine Art Adelsbrief (machen wir darauf aufmerksam, dass die Straßburger Eide, das erste Dokument in französischer Sprache, erst gut hundert Jahre später abgefaßt wurden). Im übrigen kennt man mehrere Dutzend lateinischer Manuskripte aus dem 9. und 10. Jahrhundert – Lateingrammatiken, Abhandlungen geistlicher Kalenderberechnungen, Werke über das kanonische Recht, Schriften von Vergil oder Paulus Orosius – die Randerklärungen auf bretonisch tragen. Das ist wohl der Beweis dafür, dass diese Sprache in den Klosterschulen angewandt wurde und dass es den Lehrmeistern nicht peinlich war, sie während ihrer Unterrichtsstunden einzusetzen.