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Ursprünge

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Bewußtsein und Bauerngesetzbuch

Unionsvertrag, Schlamm und Bretonisch

Unter dem vollständigen Titel: »Die Erfindung der Bretagne, soziale Genese eines Stereotyps« veröffentlichte die Soziologin Catherine Bertho; einen aufregenden Artikel, der, wenn er von den bretonischen Nationalisten sowie von deren Gegnern gelesen worden wäre, eine heftige Polemik hätte auslösen müssen. Die Arbeit widerspricht in der Tat so manchen Klischees. Sie zeigt auf, dass die Bretagne, so wie wir den Begriff verstehen, vor dem Ende des 18. Jahrhunderts nicht existierte. Weder im Bewußtsein ihrer Einwohner, die doch immerhin Bretonen genannt wurden, noch in der Vorstellung, die man sich im Rest des französischen Königreichs davon machte.

Natürlich wußten die bretonischen »Eliten« dass eine unabhängige oder jedenfalls fast unabhängige Bretagne vor dem Unionsvertrag von 1532 existiert hatte, aber diese Tatsache war nichts weiter mehr als ein Vorwand, um dem König von Zeit zu Zeit die Existenz einer Reihe von Vorrechten der Provinzen in Erinnerung zu rufen, angefangen mit denen der Staaten der Bretagne. Sicherlich, man wußte in Paris, dass das Volk in dieser weit entfernten, Bretagne genannten Gegend auffallend bäuerlich und rückständig war, denn es sprach eine Sprache, die ebenso seltsam wie ungehobelt war: Niederbretonisch. Aber in Wirklichkeit – so wie es die Analyse der Schriften und Veröffentlichungen des 17. und 18. Jahrhunderts beweist – hatte die Bretagne zu jener Zeit »nicht mehr ein Image im modernen Sinne des Wortes, als die anderen Provinzen auch« Sie erschien kaum als eine Provinz, die provinzieller war als die anderen; Mme de Sévigné; fand sie bezaubernd, La Fontaine; dagegen fürchterlich »schlammig« (dennoch ein treuer Freund von Fouquet; der sich genug für die Bretagne interessierte, um beschuldigt worden zu sein, die Einheit des Königreichs von seinem versteckten bretonischen Winkel» auf Belle-Ile aus zu bedrohen).

»Vor Ende des 18. Jahrhunderts«, fährt Catherine Bertho fort, »ist nichts von dem auszumachen, was in der Folgezeit die zeitgenössischen Massendarstellungen nähren wird [...]. Weder kohärente Autorengruppen, noch spezielle literarische Unterstützung, noch nicht einmal auserwählte Gattung. Die Bretagne stellt an und für sich kein Thema dar. Keiner der in der Bretagne geborenen bedeutenden Schriftsteller – von Duclos bis Lesage – schreibt über seine Heimatregion. Die literarischen Gattungen, welche die Säulen der gesamten Literatur sein werden, die sich im 19. Jahrhundert mit der Bretagne beschäftigen wird, nämlich der Roman, die historische Abhandlung sowie der regionalistische Essay existieren als solche noch nicht. Nicht dass man nirgends von der Provinz redet – Historiker, Reisende, Verwaltungsbeamte behandeln dieses Thema selbstverständlich. Aber zu keiner Zeit lehnt sich das, was sie sagen, an den Begriff des provinziellen Charakters an, so wie er sich nach 1789 durchsetzt.«

Indem sie auf diese Weise fortfährt, vergißt unsere gelehrte Soziologin und Historikerin natürlich gewisse »Details« angefangen mit diesem »Status der vierzehn, zwischen Douarnenez und Concarneau gelegenen Pfarrgemeinden im Land Armorika (wie der traditionelle Name der Bretagne lautet), gemeinhin Bauerngesetzbuch genannt, in dem die Geschichte mit Fug und Recht eine Art Charta des großen Bauernaufstandes von 1675 sieht, Aufstand der Rotmützen genannt. Denn dort wird zweimal und als äußerste Bezugnahme, um die Rebellion gegen die herrschaftlichen Privilegien und gegen die Steuern, dem Symbol der königlichen Willkür, zu rechtfertigen, eine gewisse armorikanische Freiheit beschworen, für die man sich nur schwerlich einen anderen Ursprung vorstellen kann als die unbestimmte Vorstellung unter den aufständischen Bauern und kleinen Leuten, zu einer eigenständigen armorikanischen Gemeinschaft zu gehören, was nicht mehr weit von bretonisch entfernt ist. Aber sehen wir darüber einmal hinweg. Sehen wir um so leichter hinweg als wir später noch einmal darauf zurückkommen werden und zumal die These von der Nicht-Existenz eines eigenständigen bretonischen Bilds vor 1789 im Wesentlichen unzweifelhaft scheint.