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Armorica

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Spitzenhäubchen, Tang und Max Jacob

Fischfang, Wanten und Merlin

Was bleibt von der Bretagne, die Gauguin, Saurès, Saint-Pol-Roux oder Max Jacob so sehr verehrten?

Augenscheinlich wenig, denn die Bretagne meiner Kindheit, die existiert nicht mehr. Keine Spitzenhäubchen, keine der typisch bretonischen Schrankbetten mehr, vorbei die langen Abende, in denen Familie und Nachbarn zusammenkamen, vorbei auch der wirtschaftliche und politische Dornröscheschlaf. Wie eine alte Viviane, die erst spät von einem modernen Merlin eingeholt wurde, hat sich die Bretagne ein neues Gesicht gegeben, gelegentlich nicht ohne drastisches Lifting. Wo lebt heute das »Cheval d´orgueil«?, das fast zu saubere Echo der bretonischen Unsterblichen, die Victor Segalen zu schreiben beabsichtigte, die wir aber niemals zu lesen bekommen werden? Wir finden es im Museum des Parc d´Armorique. Und Segalens Urenkel klimpern nun auf ihren Computern, um Haus und Hof zu verwalten, oder betreiben ihren Fischfang mit Sonartechnik von schwimmenden Fabriken aus.

Soll man dies begrüßen oder verurteilen? Obgleich ich an der Vergangenheit hänge, ziehe ich die Gegenwart vor. Also die heutige Bretagne, auch wenn mir manchmal gar nicht wohl dabei ist. Doch sobald man sich nicht bloß an die äußere Fassade hält, da findet man die Bretagne, in Wandel und Wiederkehr, noch genauso reizend wie in der Erinnerung: rauh, geheimnisvoll, unbefangen und ursprünglich, mitunter milde und sanft und manchmal ein wenig verrückt, ein Zug, den sie nicht abzustreifen vermag. Überall kann man von dieser Stimmung erfaßt werden, in einer Kapelle im Trégor, auf einem Strand bei Ebbe, in einem Waldweg, in den Monts d´Arrée, bei einem der Festou-noz, den bretonischen Nachtfeiern, oder einfach in einem Bistrot am Hafen, das erfüllt ist mit dem Geruch nach Tang und dem Schlagen der Wanten. Es ist die immer gleiche Bretagne, die so in Unruhe versetzt, diese lebendige, diese einnehmende Bretagne, die Armand Robin, der unvergleichliche Dichter und Anarchist aus Plougernével, wie folgt beschrieben hat: »Sie ist ein Universum, oder, wenn man so will, eine Heimat, die eine ganze Welt bildet, eine starke Heimat, und keine jämmerliche und klagende (...) Diese allumfassende Bretagne, diese Bretagne, die sich nirgendwo festmachen läßt, legt uns den Blick frei unmittelbar auf die Seele (...) es kann nicht anders sein, als dass dieser vollkommene Ort der Seele zugleich, von Natur aus, den vollkommenen Ort des dichterischen Genies darstellt.«