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Probleme

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Suff – keltisch-bretonische Krankheit

Kampf gegen Atomkraftwerke

Denn, wie bereits Mitte der siebziger Jahre Jean-Claude Pierre orakelte, Begründer der Vereinigung Eaux et Rivières de Bretagne (Wasser und Flüsse der Bretagne): »Wenn der Lachs stirbt, ist der Mensch bedroht. Nicht nur durch die Verletzung eines Gleichgewichts mit einer auf den Kopf gestellten oder aber vom Menschen aufgegebenen Natur, sondern durch eine innere Verwirrung angesichts einer unverständlichen Welt. Der Beweis dafür? Jener alarmierende Anstieg der Selbstmordrate in der Bretagne (14), den ein Artikel in der Zeitung Libération vom 11. September 1989 in Zusammenhang brachte mit dem »Zerfall der ländlichen Landschaft, dem Zerbersten der familiären und dörflichen Einheit, dem Zurückweichen der katholischen Kirche, der krassen Veränderung in der Wirtschaft oder dem Verlust einer Identität.«

Natürlich sollte man nichts übertreiben. Der Alkoholismus ist in der Bretagne wie auch in den anderen keltischen Ländern – schon lange bevor von historisch-soziologischen Traumata die Rede war – ein Nationalsport gewesen, der auf seine Weise einem Wunsch nach Unendlichkeit Ausdruck verleiht. Aber vor allem – eher ein Beweis für die erstaunliche Anpassungsfähigkeit der Bretonen an die neuen Probleme – jene heftigen Fehlentwicklungen, die durch das Verschwinden der traditionellen Zeichen zugunsten der Modernität verursacht wurden, haben bereits schöne Gegenmittel gefunden.

Wo sonst als in der Bretagne hat sich die Bevölkerung so wild entschlossen und so einstimmig erhoben, um ihren Streik des Joint-Français zu unterstützen, und das deshalb, weil sie spürte, was auf dem Spiel stand, d.h. nicht zu erlauben, dass sich die (notwendige) industrielle Entwicklung auf der Basis der sozialen Regeln des 19. Jahrhunderts abspielt?

Wo sonst als in der Bretagne hat die hartnäckige Mobilisierung einiger Dörfer, die bald von einer allgemeinen Protestbewegung abgelöst wurde, eine so einflußreiche, mächtige und selbstsichere Gruppe wie die EDF (15) dazu gezwungen, einen Rückzieher zu machen, als es darum ging, in Plogoff ein Atomkraftwerk zu bauen?

Und wo – zumindest im Hexagone, dem französischen Festland – gibt es eine so alte, so kompetente, so militante und so einflußreiche ökologische Vereinigung wie die Société pour l´étude et la protection de la nature en Bretagne (SEPNB)? Im Jahre 1958 von Michel-Hervé Julien und Albert Lucas, zwei ehemaligen Gymnasiasten aus Quimper und begeisterten Ornithologen, gegründet, hat sie die Einrichtung des größten Netzes von geschützten Flächen in Frankreich durchgesetzt. In den fünfunddreißig Naturschutzgebieten werden heute Vögel, Säugetiere, Pflanzen, aber auch Torfmoore, Muschelkulturen, Wälder und Heidelandschaften geschützt. Hinzuzufügen ist auch der Schutz von außergewöhnlichen Landschaften (Klippen, Sümpfe, Salzgruben ...). Darüber hinaus kümmert sich in völliger Übereinstimmung mit der SEPNB die Verbindung Eaux et Rivières de Bretagne um ein Erbe, das sich auf einer extrem dichten Fläche ansammelt, aber äußerst empfindlich (denn der relativ durchlässige Untergrund der Bretagne enthält keine bedeutenden Wasservorkommen) und bedroht ist. Nicht allein durch die Verschmutzungen durch die Landwirtschaft,, durch Versagen der städtischen Abwässerklärung, sondern auch durch die chemische Verschmutzung, die auf übermäßigen Gebrauch von Kunstdünger zurückzuführen ist. Dieser Kampf, der um so schwieriger ist, als er sich gegen die Produktivität, also gegen die Beschäftigung, zu richten scheint, konnte bereits Erfolge erzielen. Ein Beispiel gefällig? So lebendig wie einst – zu der Zeit, als die Knechte noch forderten, dass sie nicht ständig von diesem »gemeinen Fisch essen müßten – ist der Lachs, der die Flüsse schon verlassen hatte, wieder zurückgekehrt.

1. Auf 10.000 Einwohner bezogen (1981-1984) liegt die Selbstmordrate in der Bretagne bei 5 gegenüber 3,1 in Frankreich. Andererseits hat sich, was die 15-24 Jährigen betrifft, die Selbstmordrate innerhalb der letzten dreißig Jahre bei den Männern verdreifacht und bei den Frauen vervierfacht (aktuelle Zahlen für diese Altersgruppe; 3,1 im Département Finistère; 2,2 in der Bretagne; 1,6 in Frankreich).

15. EDF = Electricité de France (staatliche Elektrizitätsgesellschaft Frankreichs).