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Unterschiede

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Französischen Normen

Abweichende Charaktere

Inwiefern bringt die aktuelle politische Landschaft der Bretagne ihre Geschichte zum Ausdruck? Man bräuchte einen neuen André Siegfried, um diese Frage beantworten zu können. Zwei charakteristische Züge drängen sich jedoch auf. Eine gewisse Normalisierung des politischen und religiösen Verhaltens kommt durch eine fortschreitende Anpassung an die französischen Normen zum Ausdruck; aber in diesem Anpassungsprozeß kennzeichnen »abweichende Charaktere« einen immer noch lebendigen Partikularismus.

Zu Beginn der sechziger Jahre war die Beziehung zwischen Links und Rechts noch reichlich unausgeglichen. Einzig einige Städte und einige ländliche Kantone in Le Trégor und in La Cornouaille straften die Tradition Lügen. Und es gab sogar im Pays de Léon (im Nordwesten der Bretagne) einen Wahlkreis, wo der Kandidat des gaullistischen RPR, M. de Poulpiquet, mit einem Ergebnis zum Abgeordneten gewählt wurde, das der Diktatur einer Bananenrepublik würdig wäre. Die beschleunigte Modernisierung von Wirtschaft, Sitten und religiösen Praktiken hat diesen großen Abstand verkleinert. Sicher, der Präsident des Conseil régional der Bretagne ist immer noch Marcellin, der nicht gerade als Linker verschrien ist. Schaut man sich aber einmal die verschiedenen Wahlergebnisse an, so kommt kein Zweifel auf an der Tendenz zur Wiederherstellung des Gleichgewichts. Und hätten die Sozialisten entgegen allen Erwartungen bei dieser Gelegenheit nicht zwei ihrer traditionellen Hochburgen (Morlaix und Guingamp) verloren, so hätten die Kommunalwahlen von 1988 Sozialisten an die Spitze aller wichtigen Städte gebracht, von Nantes bis Brest und von Rennes bis Quimper, über Lorient, Saint-Brieuc, Lannion, Dinan oder Saint-Nazaire (die Rathäuser von Vannes und Vitré sind hypothetisch im Besitz der Rechten). Man muß sich also von dem Klischee befreien, das in der Bretagne eine konservative politische Bastion sieht: heutzutage wählt sie mehr links als die Pariser Region.

Setzt man die Analyse allerdings weiter fort, so werden einige Besonderheiten sichtbar. Die Rechte beispielsweise verteilt sich nicht genauso wie im übrigen Frankreich, denn die Christdemokratie beherrscht ihre »gaullistische« Partnerin. Als weiteres Element in der Parteienlandschaft ist auf dem äußersten Rand des rechten Flügels die Front national hinzugetreten mit ihrem Anführer, der ebenfalls ein Kind der Bretagne ist, Jean-Marie Le Pen. Als Folge der langen religiösen Tradition der ländlichen Gebiete findet dieser Hang zum »Zentrum« der bretonischen Rechte den ein Mann wie Méhaignerie; perfekt verkörpert ein Echo und Unterstützung bei der Leitung der bedeutendsten (und zweifelsohne besten) regionalen französischen Tageszeitung, Ouest-France.

Bei der Linken erscheint die Situation zur selben Zeit merkwürdig. Nicht etwa, dass die sozialistennahen Autonomisten der bretonischen demokratischen Union dort den beneidenswerten Platz erobert hätten, den der nationalistische Schub der siebziger Jahre sie erhoffen ließ (die Extremisten des FLB genießen ihrerseits keinerlei Unterstützung mehr); nicht etwa, dass die Kommunistische Partei, die früher über solide Bastionen verfügte, die sie während der Résistance erworben hatte, nicht wie anderswo auch unter einem rapiden und vermutlich endgültigen Ausbluten leiden würde. Aber die Umweltschützer haben eine wahren Durchbruch geschafft, wobei sie in den letzten Jahren regelmäßig fast ein Viertel der sozialistischen Wählerschaft früherer Wahlen zu sich herüberziehen konnten; und, was noch einzigartiger ist, die Balance der Tendenzen innerhalb der sozialistischen Partei gibt nicht die französische Zusammensetzung wieder: hier besitzt die »neue Linke« Rocard´s die Mehrheit als Fortsetzung von Mai ´68 und der PSU Tradition, die Tanguy-Prigent; und Mazier; verkörperten. Liegt es daran, dass Michel Rocard fürs Segeln und für die Bretagne schwärmt?