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Französische Revolution

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Bewußtsein und Bauerngesetzbuch

Unionsvertrag, Schlamm und Bretonisch

Denn nun entfaltet sich vor dem Hintergrund dieses fehlenden ursprünglichen Bildes der zweite und aufregendere Teil der Studie von Catherine Bertho, eine Art historischer Perspektivierung der Abfolge verschiedener, mitunter sogar einander widersprechender Stereotypen. Das 19. und das 20. Jahrhundert werden es dabei übernehmen, jene bislang leeren Worte endlich mit Sinn zu füllen: Bretagne und Bretonen.

Alles stützt sich natürlich auf diesen enormen historischen Umwandlungsprozeß, den die französische Revolution einleitet, jene Quelle verscheidenster gewaltsamer Konflikte, die sich noch längst nicht alle gelegt haben. Nun erhob sich die Bretagne mitten im brutalen Aufeinanderprallen von Revolution und Gegenrevolution als letzter Gradmesser für die Unerbittlichkeit des Dramas und aller in ihm zum Vorschein tretenden Haßgefühle. Zugegeben nicht ohne jede Verzerrung der wirklichen Geschichte: der angenommene Einsatz der Bretonen bei den Chouans, den königstreuen Kämpfer gegen die Revolution, war um so weniger eindeutig als die bretonischen Beschwerdebücher radikal gewesen waren und die bretonischen Abgeordneten überaus revolutionär, denn man weiß, dass es ihre ursprünglich »Bretonischer Klub« genannte Vereinigung war, aus welcher der später so folgenreiche Klub der Jakobiner; hervorging.

Aber die Geschichte nährt sich ebenso durch das Imaginäre wie durch die Realität, durch die Wahrheit der Fakten ebenso wie durch die Kraft ihrer Darstellung: »Föderalismus und Aberglaube sprechen Niederbretonisch« hatte Barère; vor dem Nationalkonvent aufgeschrien, während Abbé Grégoire; den man zu den bedeutendsten, gerechtesten und großzügigsten Männer seiner Zeit zählte, seinen Bericht über die Beseitigung der Dialekte vorstellte. Und dieser Schrei hatte genügt. Der Mythos hatte sich der Realität bemächtigt und Cadoudal, Verbündeter der Auswanderer, der ganzen Bretagne. So sehr, dass Victor Hugo, der 1874 – sowie Balzac bereits zu Beginn der dreißiger Jahre in Die Chouans – den Schauplatz seines Romans Dreiundneunzig (seltsamerweise von Catherine Bertho außer acht gelassen) in die Bretagne anstatt in die Vendée verlegte, die für ihn ohnehin eins waren: »Die Bretagne lehnte sich auf, als sie sich unterdrückt fand von dieser gewaltsamen Befreiung. Eine für Sklaven gewöhnliche Verwechslung. Die allgemeinen Ideen gehaßt von den spezielleren Ideen – genau dort liegt der Kampf des Fortschritts. Land, Heimatland: diese beiden Worte fassen den ganzen Krieg der Vendée zusammen, Streit der lokalen Vorstellung gegen die universelle Vorstellung, Bauern gegen Patrioten ...«

Keltisch, altertümlich und Chouans-Anhängerin – das werden also die drei Bezeichnungen sein, mit denen sich die Bretagne im Laufe des 19. Jahrhunderts ausstaffiert findet, sowohl von seiten der gelehrten Studien (die in Paris bei der keltischen Akademie zusammengefaßt sind und in der Bretagne im Zusammenhang mit einer gelehrten Zeitschrift, wie Le Lycée armoricain, als auch in der überquellenden romanesken Produktion, die mit der bretonischen Thematik befaßt ist, und die ihren Aufschwung erlebt. Das Amüsante daran ist, dass diese drei Charaktereigenschaften sowohl einen positiven als auch einen negativen Beigeschmack haben können, je nach der politischen Gesinnung des Forschers oder Romanciers, die ihm sein Urteil über die Revolution diktiert.