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Göttin Vernunft

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Blau und Weiß - Wissenschaft contra Glauben

Protest gegen Unglauben

Drei Jahre später in Tréguier, Heimat des heiligen Yves, drohte kein Aufruhr mehr, sondern Bürgerkrieg. Am Anfang stand eine Initiative der »Blauen der Bretagne« die beschlossen hatten, im Zentrum der Geburtsstadt des großen Religionshistorikers Ernest Renan; ein Denkmal in Erinnerung an ihn zu errichten. Nichts Ungewöhnliches an dieser Geste, jedenfalls nicht a priori, so sehr hatte Renan die intellektuelle Szene Frankreichs, um nicht zu sagen Europas, des ausgehenden 19. Jahrhunderts beherrscht. Aber die Blauen, unterstützt vom sozialistischen Abgeordneten und Bürgermeister von Tréguier, waren nicht frei von Hintergedanken und wußten, dass die Weißen darin eine Provokation sehen würden. Für die Kirche war Renan nun auch der Prototyp des wissenschaftsgläubigen Gegners und, schlimmer noch, des Verräters. Hatte sein ganzes gelehrtes Unterfangen, darunter La Vie de Jésus, nicht darin bestanden, die Fundamente der offenbarten Religion zu untergraben, indem es im Namen des historischen Rationalismus die unaussprechliche Gestalt des Gottessohnes auf die kleinlichen Maße eines »unvergleichlichen Mannes« reduzierte? Und, Gipfel der Unverschämtheit, war die Verehrung der Göttin Vernunft, symbolisiert durch La PriŠre sur l´Acropole, anstelle des Gekreuzigten nicht das Werk einer Schlange gewesen, die von den Mönchen ausgebrütet worden war, vom Seminar von Tréguier bis hin zu dem von Saint-Nicolas-du-Chardonneret, geleitet vom späteren Mgr. Dupanloup? Selbst der bedeutende Mystiker Ernest Hello (1828-1885) aus Lorient, seinerzeit so bewundert, dass Maeterlinck ihn mit Novalis verglich, war in dieser Hinsicht überaus beredt gewesen, so sehr giftete er gegen den Positivismus Renans.

So gesehen kam die Errichtung der Renan-Statue, gekrönt von Minerva, unweit von der Kathedrale Saint-Tugdual, einer Provokation gleich. Und dies um so mehr, als die »Blauen der Bretagne und die Gemeinde, beseelt von ihrem Wunsch, gegen die Reaktion zu kämpfen, drei Tage währende Festlichkeiten anläßlich der Einweihung angekündigt hatten. Die jüdisch-freimaurerische Pariser Intelligentsia würde erscheinen und Reden halten. Zu hören wären der Schriftsteller Anatole France; der Philosoph und Biologe Felix Le Dantec; und die Schauspielerin Marguerite Moreno; die geschmückt mit dem Helm Athenes deklamieren sollte: »Ich bin geboren, blauäugige Göttin, von barbarischen Eltern bei den guten und tugendhaften Kimmeriern Als Gipfel des Schreckens schließlich sollte der kleine Vater Combes persönlich wie Renan ehemaliger Seminarist das Wort ergreifen, um die Festivitäten abzurunden, nach Abschluß eines republikanischen Banketts mit zweitausend Gedecken!

Wochenlang schrien sich in allen Kirchen der Bretagne die Rektoren die Lungen aus dem Leib, um die ruchlose Veranstaltung schlecht zu machen. »Nicht nur, dass die Regierung Combes die Ordensgesellschaften angreift, nein, sie kommt auch noch zu uns in die Bretagne, ihre Verbrechen zu feiern!« Der Konflikt schien unausweichlich, und er fand statt. Trotz Regens strömten tausende von Gegenteilnehmern nach Tréguier, das vom Militär abgeschirmt wurde. Und die Tatsache, dass die Zeremonien schließlich stattfinden konnten in einer im Alarmzustand befindlichen Stadt, kostete Dutzende von Verletzten.