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Schwankender Boden

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Ratteninsel und Vauban

Erosion, Nebel, Gefahren, Invasionen und Normannen

Auch manch anderes Meer mag seine Inseln besitzen; doch gewiß keines so viele wie die See vor der Bretagne mit ihren von Vögeln und Sträuchern überzogenen, unüberschaubaren Steinmassen.

»Wenn es dir gefällt, der Bewegung der Küste zu folgen, so wisse, dass Erosion und Steinfraß sie so geschliffen haben, da wo sie früher sanft ins leuchtende Wasser überging«, schrieb Paol Keineg. In die bretonische See hinein verlängern die Inseln eine von den Windstößen zerzauste Landschaft, in der das Gestein sich ausformt zu Riff, Fahrrinne, Bucht oder Kap. Gelegentlich reichen die Klippen weit bis ins Meer: das Archipel der Sept-Iles etwa liegt fünf Kilometer vor Perros-Guirec.

Ungezählt reihen sie sich hintereinander auf: die Inseln der pointe de Cancale am Kap Fréhel. Le Verdelet, Saint-Michel, Taureau de Bréhec, die Halbinsel von Gouine-Zeigal. Die kleinen Insel und »Gefahrenpunkte« des Trégor mit den Inseln Saint-Riom, Bréhat, Modez, Loavenn, Saint-Gildas, Tomé, Sept-Iles, Du, Triagoz, Milliau, Grande, Primel. In der Bucht von Morlaix: die Inseln Callot, Louet, Château-du-Taureau, île Noire. Hinter Batz, im offenen Meer vor Roscoff, liegen verstreut die Inseln Vennan, Stagadon und die abers, die kleinen Fjörde, wo man kaum noch Aber-Wrac´h erkennen kann, den »Hafen der Feen«, eingehüllt in dünnen Nebel. Ile Vierge hinter der pointe de Lezenzu; danach, am Riff von Four vorbei, in der offenen See die ausgedehnten Landmassen von Ouessant, Sein, Les Glénans, Groix, Belle-Ile, Houat, Hoëdic. Nahe bei Estran bilden Tristan, Aber, Nonna, Tudy, Aux Moutons, Verte eine Kette. Schließlich all die Inseln der Reede von Brest sowie von Lorient, in der Flußmündung bei Etel und im Golf von Morbihan.

Die Namen verraten oft schon das Wesen der Inseln: Groix ist in der Tat ein Sockel, Molène ein mamelon, ein Hügel, und Sein läßt wirklich an ein Floß denken. Für die Farben gilt dasselbe: Blanche ist weiß, Verte grün, Noire schwarz und Rousse rötlich. Was die Vegetation betrifft, so stoßen wir auf die îles des landes (Insel der Heidelandschaften), des fougères (Farnkräuter), de lauriers (Lorbeerbäume), à bois (Holz), à broussailles (Buschwerk: Drainec), à genêts (Ginster: Bananec). Mitunter sind die Inseln auch nach den dort ansässigen Tieren benannt: île du canard (Enteninsel: Houat), du caneton (Entcheninsel: Hoëdic), de la cigogne (Storcheninsel), des rats (Insel der Ratten), de la souris (Mäuse) ... Vor allem jedoch bezogen die Inseln ihre Namen von den britisch-keltischen Heiligen aus Wales, Devonshire oder Irland (Malo, Pol-Aurélien) und von eigenen bretonischen Heiligen (Guénolé, Guénaël, Rioc).

Bei all ihrer Verschiedenheit weisen sie dennoch ähnliche Züge auf. Der Sockel der Inseln an der Nord- und Westküste besteht im allgemeinen aus Granit, an der Südküste dagegen aus Schiefer. Man findet überall dort Spuren einer frühzeitigen Landnahme der sogenannten »Megalithkulturen«, häufig dann von der gallisch-römischen Epoche abgelöst, am meisten in den südlichen Inseln. Seit dem fünften Jahrhundert trieben die – später heiliggesprochenen – Mönche aus Großbritannien, Irland und Schottland die Christianisierung voran. Alle Inseln hatten unter den Invasionen, vor allem der Normannen, zu leiden. Und nahezu alle mußten sich gegen die englischen, holländischen oder spanischen Angriffe zur Wehr setzen, weshalb der königliche Festungsbaumeister Vauban im 17. Jahrhundert aus den Inseln, nachdem sie lange den Seeräubern, Piraten, Freibeutern und »Meeresplünderern« als Schlupfwinkel gedient hatten, sichere Festungsanlagen schuf: gemäß ihrer neuen Bestimmung hatten sie nun als Vorposten der Verteidigung zu dienen.

Wenn einige von ihnen auch Phasen des Wohlstands erlebten, so waren diese in der Regel kurz: als Opfer ihrer Isolierung lernten die Menschen auf den Inseln von Armorika gleichermaßen Elend und Hunger kennen. Selbst heute bildet trotz aller Modernisierungsbemühungen nach wie vor der saisonabhängige Tourismus die wichtigste Einnahmequelle. Indes konnten sie durch ihr Inseldasein – länger als der Kontinent – ihre ureigenen Riten und Gebräuche bewahren, die ihrer vollständigen Erforschung durch die Ethnologen noch harren.