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Ländliche Orientierung

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Schlaraffenland

Speck, kein Fisch

Das Schicksal der Bretagne konnte unter diesen Bedingungen nur unter einem ländlichen Schwerpunkt liegen, zumal es ihrem Bürgertum an Kühnheit mangelte und zumal ihre Bevölkerung in ihrer überwältigenden Mehrheit keinerlei Beziehung zum Meer unterhielt. So erinnere ich mich, dass man bis in die fünfziger Jahre zwei Kilometer von der Küste entfernt troc´her lann war; ein was »Stechginsterschneider« bedeutet, ernährt sich von Speck, aber nie von Fisch, und ist ein Bauer, der von Dingen, die mit dem Meer in Verbindung stehen, genauso wenig Ahnung hat wie jemand aus der Auvergne oder aus Beauce.

Entgegen gängiger Klischeevorstellungen hatte die traditionelle Bretagne nichts mit dem Meer zu tun, abgesehen von einigen Orten des Küstenstreifens. Diese Gleichgültigkeit hinsichtlich einer im übrigen gefährlichen Welt versteht sich um so leichter, als die ländliche bretonische Gesellschaft im Zeitalters des Barock (relativ) wohlhabend war: einer stark ansteigenden Bevölkerungskurve zum Trotz, lag der allgemeine Lebensstandard über dem französischen Durchschnitt. So legt Alain Croix in einer großartigen Studie dar, dass eine der Todesursachen damals in den ländlichen Gegenden der Bretagne am zu hohen Cholesterinspiegel lag! »Die Vielfalt der regionalen Wirtschaft, der Grundlage dieses Wohlstands, so schreibt er, spielt also eine entscheidende Rolle. Jede Region, fast jedes Land verfügt über drei Kanäle, nämlich Lebensmittel, Industrie und Handel, die ihr zugleich Erfolg und Devisen sichern. [...] Die Bretonen gehen hier bis zum Äußersten der »natürlichen Möglichkeiten ihres Landes und profitieren dabei von einer unbestreitbaren Leichtigkeit.

Die »Leichtigkeit ist leider nicht immer ein Fortschrittsfaktor; Wohlstand in einer traditionellen ländlichen Gesellschaft bringt oftmals konservative Verhaltensweisen hervor. Und Alain Croix zieht die Schlußfolgerung: Das war sicherlich nicht die beste Vorbereitung auf die ab Mitte des 17. Jahrhunderts von außen aufgezwungenen Veränderungen: die gemeinsamen Angriffe der herrschaftlichen Abgaben, der monarchischen Zentralisation mit ihren Folgeerscheinungen Wirtschaftskrieg und Steuern triumphieren über ein zu altertümliches Schlaraffenland.«

Altertümlich ... Und schon ist dieses grausame Wort einmal mehr ausgesprochen. Und dieses Mal von einem Historiker, der für die Bretagne rein zärtliche Gefühle hat. Man könnte glauben, dass ein Fluch an uns hängt, der in jeder Epoche eine neue Gestalt annimmt ...