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Aufstand

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Der Große Aufstand 1904

Vorstufe zum Völkermord

Immer wieder brechen 1896-1903 Aufstände einzelner Stämme aus. Dennoch sind die deutschen Herren überrascht, als die Herero ihrer Unzufriedenheit am 12. Januar 1904 unter Samuel Maharero mit vereinten Kräften Luft verschaffen. Zum Fanal des großen Aufstandes plündern sie deutsche Siedlungen, töten 123 Farmer und Händler, greifen Militärstationen an. Zu lange haben sie den Expansionsvorhaben der “Schutzmacht” tatenlos zugesehen, ihr Land an Minengesellschaften und Siedler verloren und die Rechte ihrer Häuptlinge einschränken lassen. Als Gouverneur Leutwein eine versöhnliche Lösung befürwortet, schlägt Berlin mit eiserner Faust zurück. Die Schutztruppe wird erheblich verstärkt, General Lothar v. Trotha zum Nachfolger Leutweins erhoben und zum Vernichtungskrieg gegen die Herero ermächtigt.

In Dutzenden von Scharmützeln gehen beide Seiten sehr brutal vor, Gefangene werden selten gemacht. In der Entscheidungsschlacht am 11. August 1904 am Waterberg sind bereits Tausende von Hereromännern gefallen, als ihnen Trothas Truppen vermeintlich einen Fluchtweg eröffnen. Die Überlebenden ziehen mit Frauen und Kinder in das wasserlose Sandveld von Omaheke, wo sie zu Zehntausenden verdursten. Gefangene Herero werden zudem in Konzentrationslagern ohne ausreichend Nahrung und medizinische Versorgung dem Tod unter praller Sonne überantwortet. Innerhalb eines Jahres sinkt die Zahl der Herero von 80.000 auf 16.000 - ein Greuel, das die meisten Historiker als Genozid und teilweise auch als Vorläufer des Holocaust bewerten.

Dies ist der heikelste Punkt deutscher Historiographie zu Namibia. Es gibt immer noch Gelehrte und Privatiers, die die absoluten Zahlen anzweifeln oder mittelbar darüber streiten, ab welchem Prozentsatz von Völkermord gesprochen werden dürfe. In Gesprächen mit geschichtsbewußten Namibiadeutschen werden Sie auf die ganze Bandbreite der Bewertungen stoßen.

Im Oktober 1904 greifen auch die Nama in den südlichen Landesteilen zu den Waffen. Bisher hatten sie die deutsche Herrschaft anerkannt, waren aber immer weiter zusammengedrängt worden. Dass diese Kämpfe trotz deutscher Waffenüberlegenheit bis 1907 dauern, ist dem Heimvorteil der Aufständischen zu verdanken, den ihr charismatischer Führer Hendrik Witbooi, seit 1888 Häuptling, mit Guerillaaktionen zu nutzen weiß. Im Gegensatz zu den Herero verzichtet er auf Entscheidungsschlachten, was der Schutztruppe erheblich zusetzt.

Noch mehr Respekt verschafft sich selbst in Berliner Kreisen der geniale Guerillaführer Jacob Morenga. Der Sohn eines Herero und einer Nama war bei den Bondelswarts südöstlich von Keetmanshoop aufgewachsen und schafft es, mit wenigen Männern dieses Namastammes jahrelang die gesamte Region zu destabilisieren. Vom bergigen Hinterland aus reibt Morengas Truppe immer neue Einheiten der Schutztruppe auf. Wie Witbooi vermeidet auch Morenga “unnötiges” Blutvergießen. Frauen, Kinder und Missionare werden verschont, was im Umkehrschluß von der Schutztruppe nicht immer zu behaupten ist.

Von beiden Führern sind etliche Äußerungen bekannt, dass ihnen die Aussichtslosigkeit ihres Widerstandes bekannt, der Gedanke ans Weiterbestehen unter grimmigem Joch aber unerträglich sei. Hendrik Witbooi stirbt 1905 nach einer Verwundung im Gefecht, Jacob Morenga wird im September 1907 auf der Flucht von einem englisch-deutschen Trupp erschossen. Die Engländer befürchteten, dass ein Mythos vom unbesiegbaren Morenga auch die unterdrückten Stämme in ihrer Kapregion zum Aufstand ermutigen könnte. (Zu diesem Thema liegt der höchst lesenswerte Roman Morenga von Uwe Timm vor.)

Ihr Widerstand kostet fast die Hälfte aller Nama das Leben. Gegen die Überlebenden werden wie gegen die Herero harte Strafen verhängt. Sie werden entrechtet, ihres Landes und Viehs enteignet, in Konzentrationslager gepfercht oder zum Frondienst auf Farmen gezwungen. Am 31. März 1907 hebt die Kolonialverwaltug das Kriegsrecht auf, erläßt aber zugleich drei verheerende Verordnungen. Durch Aufenthaltskontrollen, Paß- und Arbeitspflicht für “Eingeborene” werden Nama und Herero zu Sklaven im eigenen Land. In den dreijährigen Kämpfen sind 2000 Deutsche und über 100.000 Afrikaner umgekommen. Als die Reichsregierung die Kosten aller Militäraktionen mit 600 Millionen Reichsmark beziffert, gewinnt in Deutschland das Geraune über den unprofitablen Sandkasten des Kaisers an Lautstärke.