Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Gesellschaft

Body: 

Fortschrittliche Demokratie

Ausgeprägter Gemeinschaftsgeist

Das »Modell Schweden« mußte in der Vergangenheit oft als vorbildliche Demokratie herhalten. Dabei steht Norwegen, was etwa das soziale Netz angeht, seinem östlichen Nachbarn in nichts nach. Arbeitslose und Rentner sind bestens abgesichert und die ärztliche Versorgung ist kostenlos. So etwas funktioniert freilich nicht ohne hohe Steuerlast; aber, solidarisch wie die Norweger sind, denkt kaum einer auch nur im Traum daran, sich darüber zu beklagen.

Übrigens läßt sich der durch und durch soziale Charakter des Norwegers deutlich an den staatlichen Institutionen ablesen: an der klassischen konstitutionellen Monarchie mit Gewaltenteilung und Mehrparteiensystem, vor allem aber an der Dezentralisierung, die den Lokalbehörden eine beträchtliche Entscheidungsfreiheit zugesteht. In Norwegen macht fast jeder von seinem Wahlrecht Gebrauch: kein Wunder bei einem Volk eingeschworener Demokraten, die sich von allen Problemen ihres Landes, ihrer Gemeinde oder ihres Wohnviertels persönlich betroffen fühlen.

Ausgeprägter Gemeinschaftsgeist und soziales Netz sind Früchte eines über einen langen Zeitraum hin gewachsenen Nationalbewußtseins: die norwegische Verfassung zählt zu den ältesten Europas (1814). Außerdem waren die norwegischen Frauen die ersten, die wählen durften, nämlich »schon« im Jahre 1913 – sieben Jahre nach ihren finnischen Geschlechtsgenossinnen, während sich das Frauenstimmrecht in England, Deutschland, Österreich und Italien erst nach dem Ersten Weltkrieg durchsetzen konnte. Frankreich und Belgien folgten erst nach dem Zweiten Weltkrieg, und im schweizerischen Halbkanton Appenzell war das Wahlrecht für Frauen sogar in den späten Neunzehnhundertachtzigern noch ein Thema!

Zurück zu den Norwegern: die Freude am Umgang mit anderen Menschen wird auch durch die große Zahl von Verbänden, Vereinen und Gewerkschaften deutlich, denen die Norweger mit Vergnügen beitreten. Und in diesem Land, wo der friedliebende und respektvolle Umgang mit dem Nächsten fast schon Gesetz ist, werden Konflikte weitgehend durch Gespräche gelöst. Die Arbeitgeber-Arbeitnehmer-Versammlungen – vergleichbare Ansätze zeigten sich vor Jahren auch bei uns (»konzertierte Aktion«), wichen jedoch alsbald wieder ungezügelter Konfrontation – gleichen eher einem gemütlichen Kaffeeklatsch denn einer Arena, wo unlösbare Zwistigkeiten ausgefochten werden. Soviel steht fest: mehr als ein Land auf der Welt übernähme gerne das norwegische Modell. Auch vor dem Hintergrund einer konjunkturellen Verschlechterung: so hat die Pro-Kopf-Verschuldung der norwegischen Haushalte bedenkliche Ausmaße angenommen und es häufen sich die Firmenzusammenbrüche. Vielleicht betreibt die norwegische Regierung deshalb, in Vorahnung wirtschaftlicher Turbulenzen nämlich, eine stärkere Bindung an die Europäische Union. Bis zum jetzigen Zeitpunkt besteht für die mit Erdöl und -gas gesegneten Norweger aber wenig Anlaß, sich um ihren Wohlstand ernstlich zu sorgen.