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Einleitung Skandinavien

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Onlinereiseführer Skandinavien

Einleitung

ÖKOLOGIE, TOLERANZ, ALKOHOLISMUS, PORNOGRAPHIE

Wer kennt sie nicht, die Schlüsselwörter für die vier skandinavischen Länder: Ökologie, Toleranz, Alkoholismus, Pornographie und Wirtschaftsmodell. Allerdings liefert diese Aufzählung noch keinen Hinweis auf den Stellenwert der einzelnen Begriffe. Größter gemeinsamer Nenner der doch recht unterschiedlichen skandinavischen Länder (hier zu einem Reiseführer vereinigt, was Rundreisen erleichtert) scheint uns noch der Schutz einer mit Schönheiten gesegneten Naturlandschaft zu sein, in der menschliche Ansiedlungen wie schüchterne Versuche anmuten, inmitten kaum berührter, teils monotoner und bald wieder überwältigend schöner Landstriche Fuß zu fassen. Und genau diese Vielfalt macht den besonderen Reiz einer Reise durch Europas Norden aus. Wie überall sind freilich auch hier die Gaben ungleich verteilt: wir möchten ja niemandem auf den Schlips treten, aber Norwegen kommt in unseren Augen am besten weg. Enge Fjorde stoßen immer weiter ins Festland vor; malerische Dörfer spiegeln sich darin, im Schutz jahrhundertealter Holzkirchen; düstere Wälder lehren uns das Fürchten, und dann ... das windgepeitschte Nordkap, Ende der Welt und europäischer Vorposten in der Barentssee. Atemberaubende Landschaften, in ein stets wechselndes Licht getaucht.

Auch die übrigen nordischen Länder geizen nicht mit Naturschönheiten, gewiß. Aber sie bieten unserem Auge weniger Abwechslung. Seen und Wälder machen gemeinsame Sache und scheinen mit uns Verstecken zu spielen. An den schönen Stränden versammeln sich beim ersten wärmenden Sonnenstrahl Badenixen und Sonnenanbeter. Einige Küstenabschnitte muten an, als seien sie in grauer Vorzeit mit der Axt bearbeitet worden: ihr zerklüftetes Relief erinnert an den gequälten Ausdruck Munch´scher Gestalten. Nicht zuletzt bieten Finnland, Dänemark und Schweden mit ihrer reichen Inselwelt immer wieder eine herrliche Kulisse für reizvolle Bootstouren.

Jede Reise zu unseren nordischen Nachbarn erweist sich bald als Einführungskurs in den Umgang mit der Natur, in das Leben mit der Natur. Der Mensch nimmt die ihm ursprünglich zugedachte Stellung ein: inmitten der Elemente. Und genau daraus resultiert ein hoher Erholungswert.

Skandinavien gilt zu Recht als Hort der Toleranz. Diese und der Respekt vor dem Mitmenschen spiegeln sich in den Gesetzen wider. Vereine und Verbände aller Art bilden ein wirkungsvolles Gegengewicht. Toleranz bedeutet aber auch die Fähigkeit, seinem Gegenüber zuzuhören. Und auf politischer Ebene wird »Öffnung« nach allen Seiten hin praktiziert. Bei allen politischen Geschäften handelt es sich um Diskussionen, die diesen Namen auch verdienen: jeder Teilnehmer läßt sich von der Bereitschaft leiten, sich der gegnerischen Position wirklich anzunähern. Streiks sind deshalb zwar noch lange keine unbekannte Erscheinung, die meisten sozialen Konflikte finden ihre Lösung indes am runden Tisch. Toleranz sollte man übrigens nicht mit einer Haltung verwechseln, die alles und jeden kritiklos hinnimmt. Wie in anderen Ländern sind auch in Skandinavien Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keine Fremdworte mehr. Nur, dass sie sich hier nicht so zugespitzt artikulieren wie bei uns und daher kaum wahrzunehmen sind.

Was die sexuelle Freiheit betrifft, so werden wir einige Klischees zurechtrücken müssen. Wer meint, Skandinavien sei ein einziger riesiger Vergnügungspark, riskiert eine herbe Enttäuschung – vor allem, wenn er nur aus diesem Grund hinreist. Wer hier ein kleines Abenteuer erleben möchte, muß sich mindestens genauso ins Zeug legen wie zu Hause – mit dem Unterschied vielleicht, dass die jungen Frauen im hohen Norden noch besser wissen, was sie wollen (oder eben nicht wollen) und dies auch ohne Umschweife zu verstehen geben. In gewisser Hinsicht gilt das auch für den männlichen Bevölkerungsteil. Extrem liberale Pressegesetze bringen es in Schweden mit sich, dass die Zahl der pornographischen Druckerzeugnisse beachtlich ist – Italiener oder Franzosen reiben sich verblüfft die Augen. Nur sollte man daraus nicht den falschen Schluß ziehen, dass jeder Schwede so etwas normal fände. Die alten Herrschaften (und auch nicht wenige junge) nehmen Anstoß an solchen Dingen. Herrschte in den Köpfen nicht die Toleranz ...

Was den in Skandinavien regelmäßig freitags- und samstagsabends wütenden Alkoholkonsum angeht, so sollten wir uns mit Blick auf Millionen Alkoholiker zu Hause mit vorschnellen Urteilen zurückhalten. Immerhin trägt die Trunkenheit in Skandinavien originelle Züge: das Besäufnis ist kollektiv. Männlein und Weiblein, Jung und Alt, Arbeiter und Angestellte, kaum jemand schaut noch nüchtern aus der Wäsche. Schlag 19h macht sich freitags in den Städten Volksfeststimmung breit, eine Gratisvorstellung draußen in den Straßen. Dieses allwöchentliche Zeremoniell besitzt aber auch seine positiven Seiten: es fördert den Gemeinsinn und bleibt in einem gewissen Rahmen. Kein Mensch käme nach durchzechter Nacht noch auf die Idee, seinen Heimweg mit dem Auto anzutreten. Erstens liegt die Polizei auf der Lauer, und auf der anderen Seite ist die Verantwortlichkeit jedes Einzelnen stärker ausgeprägt als in unseren Breiten. Daher passieren auch weniger folgenschwere Verkehrsunfälle in den frühen Morgenstunden als in Deutschland.

Und das einst vorbildliche Wirtschaftsmodell? Fragen wir doch mal einen Skandinavier, was er davon hält. Er wird verschämt lachen, denn seit Fall des Eisernen Vorhangs und mit zunehmendem Zusammenwachsen der EU-Länder haben sich auch im Nordzipfel Europas die Vorzeichen geändert: seit Jahren schon ist vom nötigen Umbau des Wohlfahrtsstaates die Rede, von der Aufgabe der politischen Neutralität und von EU-Mitgliedschaft sogar des letzten „unabhängigen“ Landes Norwegen. Wir dürfen also gespannt sein.