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Südwesten Südosten

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Der Südosten, Scotts Land

p> Gleich nach Verlassen der südlichen Vororte der Hauptstadt gelangt
man in die Gegend der Borders. Land der heiteren und bewaldeten Täler
(Tweed, Ettrick, Teviot), der kleinen Städte, die sich mühsam am
Leben erhalten mit der Textilindustrie (Hawick, Galashiels, Peebles, Selkirk),
Land der Klosterruinen (Melrose, Kelso, Dryburgh, Jedburgh) wie auch der konservativen
und liberalen Abgeordneten. Land der Auswanderung. Land der wiederholten Invasionen
und der unzähligen Schlachten. Ebenso wie die höfische Liebe erinnern
die wundervollen Renaissanceballaden an die endlose Blutrache, die sich die
bedeutenden Familien – der Begriff clan ist nur bei Highlandern zu
verwenden – auf beiden Seiten der Grenze lieferten. Land des Rugbys (mit fünfzehn
oder sieben Spielern), des Lachs- und Forellenfangs, der Schäferhundwettkämpfe,
namentlich in Teedsmuir, und der common ridings: wer sich im Juni bei
Selkirk oder Hawick aufhält, kann Reiter im Landvogtskostüm des
16. Jahrhunderts beobachten, welche die Grenzen ihrer Gemeinde inspizieren.
Land der Bevölkerung, die ebenso angelsächsisch ist wie die im benachbarten
Northumberland, aber nichtsdestotrotz absolut schottisch. Land der Dichter,
das 1770 die Geburt von James Hogg, dem »Schäfer vom Ettrick«, miterlebte,
und 1892 die des Barden des schottischen Nationalismus, nämlich Hugh
MacDiarmid. Und vor allem Scott´s country, Walter Scotts Land. Abbotsford,
der »zusammenhanglose Haufen« (dixit Ruskin), das er am Ufer des Tweed
bauen ließ, oberhalb von Melrose, mag zwar genauso überkandidelt
sein wie manche seiner Romane, es gefällt mir aber trotzdem. Walters
Schlupfwinkel ist nach dem Abbild Schottlands gemacht, so wie er es die Millionenschar
seiner Leser entdecken ließ: hin- und hergerissen zwischen dem guten
Geschmack und der Maßlosigkeit, guten Manieren und der Revolte, dem
gesunden Menschenverstand und dem Wahnsinn.

Der Südwesten, Burns´ Land

Es ist recht vielsagend, dass die Borders an einen respektablen und
konservativen schriftstellernden Anwalt erinnern, wohingegen die atlantische
Seite der Southern Uplands mit der Einnerung an einen armen und unangepaßten
dichtenden Bauern verbunden ist, nämlich mit Robert Burns: die ewige
schottische Zweiteilung in den elitären und angelsächsischen Osten
und den egalitären und keltischen Westen. Vor weniger als vierhundert
Jahren war Galloway noch ein gälischsprechender Landstrich.

Die Gegensätze treten in dieser zu Unrecht verlassenen Ecke Schottlands
stärker hervor als in den benachbarten Borders, die jedoch von den Touristen
mehr geschätzte werden. Zwischen Dumfries, Stanraer, Rothesay und Lanark
befinden sich Gipfel, die ebenso öde sind wie die der Highlands (die
tiefen Täler des Clydes und des Annan, Glen Trool, Glenkens), Seite an
Seite mit fetten Wiesen, die Glasgow mit Milcherzeugnissen versorgen, fast
verlassenen Halbinseln wie Rhinns of Galloway oder Machars sowie den Ruinen
eines Steinkohlebeckens im Norden von Ayrshire, dessen beide letzten Schächte
1989 geschlossen wurden. Unlängst gab es dort noch vierzig! Ferner die
bergige und wilde Insel Arran und ein anderes, eher trübes Eiland, Bute.
Während die Strände des Firth of Clyde von Glasgower Ausflüglern
nur so überschwemmt werden, bleibt der Sand des Solway Firth – dreihundert
Kilometer an prächtigen Stränden! – vielerorts völlig unberührt
von menschlichen Spuren. Dies bitte nicht ausplaudern, aber sich trotzdem
vor etwaiger Muschelsuche schlau machen, denn manchmal ist der Treibsand ebenso
beweglich wie die nationalistische Wählerschaft, und die Flut steigt
den Firth ungefähr so schnell hinauf, wie ein Schotte sein letztes Glas
hinunterstürzt vor dem schicksalshaften Zeitpunkt, an dem die fucking
howffs
schließen, die verdammten Kneipen.