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Ein intellektueller Gott

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Ein intellektueller Gott

Der Gründer der Bank von England? William Patterson, Schotte. Der Initiator
der Bank von Frankreich? John Law, Schotte. Der der ersten Sparkasse der Welt?
Henry Duncan, wiederum Schotte. Der Theoretiker des Kapitalismus? Adam Smith,
geboren in Kirkcaldy (Fife). Der berühmteste Magnat der amerikanischen
Industrie- und Finanzwelt? Andrew Carnegie, gebürtig aus Dunfermline
(Fife). Die Schotten sind nicht knausrig, das ist schnell zu merken. Ihre
Gastfreundschaft kann sogar schon störend großzügig sein.
Aber ein wenig fruchtbarer Boden und Jahrhunderte voller Kriege trichterten
ihnen recht früh den Haß auf Verschwendung ein. Knox setzte auf
fruchtbaren Boden: schon lange vor der Reformation stand Härte hoch im
Kurs auf der kaledonischen Werteskala. Da genügte es, die verborgenen
Eigenschaften zu pflegen – vor allem bei den Lowlandern – wie Sparsamkeit,
Eigensinn, Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Diskretion; zu verkünden,
dass Gott nichts gegen Wucher habe und dass Bereicherung als Zeichen
der Auserwähltheit zu werten sei, um Edinburgh, wie ihre kalvinistische
Schwester Genf, zu einer internationalen Finanzhochburg zu machen.

»Wie auch der Jude will der Schotte, dass seine Kinder Ärzte, Kirchenmänner
oder Professoren werden«, merkt der Glasgower Schauspieler Stanley Baxter
an. Tatsächlich ist für den Schotten, wie für das jüdische
Volk, Wissen die höchste Tugend. Ihr Gott ist kein Mystiker, sondern
ein Intellektueller. So warteten die Schotten nicht auf die Reformation, um
ihr Land mit drei Universitäten auszustatten (.iSaint
Andrews;, 1411; Glasgow, 1450; und Aberdeen, 1495), und um 1496 das erste
Schulpflichtsystem in Europa einzurichten. Während sich die Engländer
mit Oxford und Cambridge begnügen mußten – ihre dritte Universität
stammt aus dem Jahr 1832! – versahen die Presbyterianer Schottland 1583 mit
einer vierten Hochschule in Edinburgh und entwarfen, wie wir schon gesehen
haben, ein recht fortschrittliches Schulsystem. Die Schottlandreisenden des
17. und 18. Jahrhunderts sind alle verblüfft zu beobachten, dass
der Sohn des lairds zusammen mit dem des Tagelöhners studiert,
ohne dass dabei die Qualität des vom dominie erteilten Unterrichts
unter diesem Durcheinander zu leiden schien. Allein die Snobs rümpfen
die Nase: »Das Wissen der Schotten ist wie Brot in einer belagerten Stadt:
jeder Mann erhält wenig, aber keiner bekommt eine ganze Mahlzeit«, spottete
der gute Dr. Johnson.

Bei Robert Burns wären ihm diese dünkelhaften Worte im Halse steckengeblieben,
denn die Bildung dieses ältesten von sechs armen Geschwistern, in der
Schule von Alloway erworben, die er schon mit sechs Jahren besuchte und dabei
gleichzeitig seine Gesundheit bei der Feldarbeit zermürbte, ist hervorragend
und steht in keinem Verhältnis zum Durchschnittswissen eines englischen
oder deutschen Bauern jener Zeit. Es handelt sich dabei aber um keinen Einzelfall:
das Schottland des 18. und 19. Jahrhunderts ist voll von lads l´pairts,
jenen armen aber fleißigen »talentierten Jungen«, die »Erfolg haben«
und der erbaulichen viktorianischen Literatur so lieb sind, welche sich aber
darauf versteht, sie an Schwindsucht sterben zu lassen, kurz nach ihren brillanten
Erfolgen an der Universität ... Zu nennen wären unter den berühmtesten
Helden dieser am reinen Leistungsprinzip ausgerichteten »Meritokratie« die
Schriftsteller Thomas Carlyle, ein Maurersohn aus Dumfriesshire, James Mill
und James Barrie, Söhne eines Schusters bzw. eines Leinewebers aus Forfarshire,
der Missionar und Forscher David Livingstone, ein Handwerkersohn aus Lanarkshire,
und der erste Labourpremierminister James Ramsay MacDonald, unehelicher Sohn
einer Hausgehilfin aus Aberdeenshire, ohne dabei den Lord Chancellor (Sprecher
des Oberhauses, der als Justizminister funktioniert) der dritten Regierung
unter Mrs. Thatcher, Lord Mackay, einen Eisenbahnersohn aus Sutherland, zu
vergessen.

Die Schotten, erbitterte Gegner von Privatschulen, praktizieren schon seit
Jahrhunderten das System der comprehensive schools (Gesamtschulen),
das die Engländer heute nur recht widerwillig einrichten. Im Verhältnis
zur Bevölkerungsstärke des Landes nehmen die acht schottischen Universitäten,
also die vier alten sowie Dundee, Stirling, Strathclyde in Glasgow und Herriot-Watt
in Edinburgh, mit fünfzigtausend Studenten doppelt soviele auf wie die
englischen. Besser noch: ein Viertel dieser Studenten (bzw. ein Drittel in
Glasgow) stammt aus Arbeiterfamilien – dagegen bloß dreizehn Prozent
in Oxford und neun in Cambridge. Dies erklärt im übrigen teilweise
die Zurückhaltung der schottischen Studenten zwischen 1968 und 1972,
denn sie konnten – oder glaubten das zumindest – sich diesen Luxus der Reichen,
die eine Protestbewegung nun einmal ist, nicht leisten. Zudem lastet auf der
schottischen Schule, die vornehmlich als eine berufliche Investition angesehen
wird, eine altüberlieferte Tradition aus Utilitarismus und Autoritarismus.
So bearbeitet man beispielsweise noch die inneren Handflächen der Aufrührer
mit tawse-Schlägen (schmale Lederriemen). Wie überall, wo
der Erfolg die Anpassung an ein nationales Modell beinhaltet, fällt die
bodenständige Kultur unter den Tisch: an den Schulen wird kein Schottisch
unterrichtet; es wird höchstene gerade einmal begonnen, dort die Geschichte
und Literatur des Landes zu lehren; es gibt zwar Gälischunterricht (aber
nicht auf Gälisch) in den Highlands, aber seit Jahrzehnten fordern
die Gälen vergeblich die Einrichtung einer Universität in Inverness.