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Die Tracht der Clans

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Die Tracht der Clans

Wo wir schon einmal dabei sind, vom Militär zu reden: schon gewußt,
in welcher Situation dem französischen Marschall Foch folgendes
überraschende Bekenntnis entschlüpfte, die ihn vors Kriegsgericht
hätte bringen können: »Für die Liebe, meinetwegen, aber nicht
für den Krieg!«? Bei einer Friedensdemonstration? Im Moulin-Rouge? Beim
Singen der Madelon, eines populären Trinkliedes? Nein, weit gefehlt.
Diesen Schrei des Herzens stieß er 1915 in Flandern hervor, als er etwas
sah, was die Dienstordnung bestimmten Soldaten aufzwang. Es handelte sich
dabei weder um ein Seitengewehr, noch um den Viertelliter Schnaps, noch –
Sie vergehen sicher schon vor Neugier – um die Gamaschen oder um den neuen
himmelblauen Mantel, den der Offiziersstab gerade eingeführt hatte, so
aufreizend sie auch gewesen sein mögen. Der zukünftige Marschall
war Zeuge bei der Landung der ersten Kontingente schottischer Freiwilliger,
die mit dem wundervollen grün-schwarzen Kilt ihres Regiments bekleidet
waren, dem Black Watch.

Dieses Stück Stoff hat ein erstaunliches Schicksal erlebt, wurde abwechselnd
mit bäuerlicher Armut und dem Luxus von Balmoral assoziiert sowie mit
dem Stammeskrieg und den närrischen Streichen der Scotch comedians,
mit den zerlumpten Menschen von Culloden und den snobistischen Jägern
des schottischen Moorhuhns, mit den ehrenvollen Banditen und den kleinen Mädchen,
die den Highland fling tanzen. Bald wurde er verschmäht, verachtet
und verboten, bald zur Schau gestellt, wieder hervorgeholt und abgedroschen
durch einen wertlosen Merkantilismus. Eine recht wenig feierliche Laufbahn
für ein Kleidungsstück, das doch seine adelige Herkunft nachweisen
kann: schon 1093 berichtet die Saga vom barfüßigen Magnus,
dass dieser norwegische König von einem Feldzug nach Schottland
und Irland »barfuß, eine kurze Tunika und Kleider auf dem Rücken
tragend« zurückkehrte: die damaligen Gälen trennten sich nie von
ihrem Plaid, einem 4,5 x 1,5 Meter großen Rechteck aus Schottentuch,
das ihnen ausgebreitet als Decke diente – ideal für das süße
Nichtstun im Schnee – um die Taille geschlungen als Toga, und um den Unterarm
gerollt als Schutzschild. Einziger Nachteil dieses multifunktionalen Gewandes:
um es zu trocknen, mußte man sich ganz ausziehen. Im 18. Jahrhundert
tauchte ein praktischeres Kleidungsstück auf, aus zwei Teilen bestehend,
von denen der untere philean beg – im Englischen zu philibeg
geworden – hieß, oder kleiner Kilt, und ideal war, um die Sturzbäche
in den Highlands zu durchwaten.

Es schien nicht so zu sein, dass damals jeder Clan seine eigenes Motiv
besaß, Verbündete und Feinde unterschieden sich vielmehr eher durch
das Emblem oder die Kokarde, die an der Mütze festgesteckt waren. Das
Gesetz von 1746, darauf abzielend, die Clans in den Tagen nach Culloden zu
unterjochen, untersagte unter anderem das Tragen von Waffen und Kilts und
setzte dieser Anarchie in der Bekleidung ein Ende. Eine Gälengeneration
wetterte gegen Hosen; die nächste gewöhnte sich daran. Als 1782
das Verbot aufgehoben wurde, rief das keinen Ansturm auf den Kilt hervor.
Er wurde nur noch in den Highlandregimentern getragen, wo man ihn bändigte,
indem man seine Motive vereinheitlichte. Das romantische und bürgerliche
19. Jahrhundert erhob ihn zum Sinnbild der »keltischen Erneuerung«, um ihn
darauf seines Symbolwertes zu berauben. Während sich das schottische
Hochland auf dramatische Weise entvölkerte, gefielen sich die Vornehmen
im Reich darin, die glorreiche Vergangenheit der Gälen zu beschwören:
nostalgische Modeströmungen, d.h. die Sehnsucht der Adel auf dem Weg
zur Industrialisierung nach der Vergangenheit und der Bürgerklasse auf
der Suche nach seiner Abstammung, die Anziehungskraft eines Volkes, das den
vierfachen Vorzug bot, britannisch, heroisch, schmuckvoll und, seit kurzem,
befriedet zu sein.

Walter Scott wurde mit seinen historischen Romanen zum Barden der »keltischen
Erneuerung«. Er war auch deren begnadeter Regisseur. So setze er beispielsweise
den Besuch Georgs IV. in Edinburgh im Jahre 1822 in Szene, in dessen
Verlauf, weniger als ein Jahrhundert nach Culloden, sich der König mit
einem prächtigen Kilt aus flammendrotem Royal Stewart Tartan bekleidet
sehen ließ, der kaum zu der rosa Strumpfhose paßte, mit der er
leicht fröstelnd seine runden Beine eingehüllt hatte. Das war der
Beginn einer Schwärmerei, für welche die kaledonischen Schneider
den beiden Gevattern heute nach wie vor dankbar sind. Die Erfinder von Stammbäumen
und andere Geschichtsforscher gaben sich nach Herzenslust der Beschäftigung
hin, aus allen Stücken Familientartans zu ersinnen, die heute als echt
gelten. Mit ihrem so sicheren Geschmack wickelte Victoria Balmoral mit Teppichen,
Wandbehängen, Vorhängen und Tapeten in den Royal Stewart
Farben ein, wohingegen sie die obszönen Beine der Stühle und die
lasziven Arme der Canapés mit Schonbezügen aus Popeline Dress
Stewart
verhüllte. Sie überzeugte sogar einige ihrer ghillies
(Diener), wieder die Uniform ihrer Vorfahren anzulegen und verwandelte die
Dorfwettkämpfe von Braemar zu jenem folkloristisch-mondänen Spektakel,
zu der sich die sonst durch Abwesenheit glänzenden Landbesitzer einmal
im Jahr einfinden, um in ihrem prächtigsten Tartan umherzustolzieren.
Die Rede ist von den Royal Highland Games am erster Samstag im September.

Nichts läßt sich erfinden, nichts verliert sich, alles läßt
sich wieder hervorholen. Im Jahr 1750 umstritten, äußeres Zeichen
von Reichtum hundert Jahre später, wurde der Kilt im 20. Jahrhundert
zum universellen Symbol Schottlands erhoben, obwohl er gleichzeitig in den
Lowlands ein Gegenstands des Spotts blieb. Es gab sogar vor dem Ersten Weltkrieg
einen gewieften Komiker aus der Grafschaft Fife (Lowlands) namens Harry
Lauder
, der sich einen phänomenalen Erfolg zurechtzimmerte, indem
er in der ganzen Welt das stereotype Bild des Säufers, Aufschneiders,
Flenners und Geizhalses Jock verbreitete, ausstaffiert wie ein Operetten-Highlander,
aber seine Witze in einem angeblichen Glasgower Slang vortragend, fast zu
schwerfällig, um Heiterkeit zu erregen, und dabei gleichzeitig auch ziemlich
verwässert aus kommerziellen Gründen. Es erübrigt sich zu erzählen,
dass Lauder, unlängst noch verehrt, nicht gerade das Idol der Nationalisten
ist.

Heutzutage wird der Kilt außerhalb der Armee, abgesehen von Festen
und Tänzen sowie aus Werbegründen eigentlich nur noch von den lairds
oder ihren Nacheiferern getragen, ferner von einigen reaktionären Nationalisten
und den Ablegern der Bourgeoisie in ihrer Sonntagskluft auf dem Weg zur Kirche.
Im Ausland (und in England) dient er als Erkennungszeichen bei den Anhängern
der Fußball- und Rugbynationalmannschaften (the tartan army),
und den geschickten Leuten, die per Anhalter fahren, und die sich in Glasgow
oder Auchtermuchty niemals anders als in Jeans zeigen würden. Kurz und
gut, selten sind die Schotten, egal ob High- oder Lowlander, die den Kilt
ohne Hintergedanken tragen, als Kleidung für alle Tage.

Manche Puristen, im allgemeinen aus dem niederen Adel, behaupten, dass
nur die Mitglieder aus dem und dem Clan befugt sind, sich im Kilt aus dem
oder dem Tartan zu zeigen. Nun haben wir aber gesehen, dass die Stammesbedeutung
der Motive ein neueres Phänomen ist, und eher aus der Luft gegriffen:
die Händler, die »Tausend authentische Tartans vorrätig« anzeigen,
mit Übereinstimmungstafel zwischen Familienstamm und Motiv, schätzen
zweifelsohne das Geld höher als die Wappenkunde. Andere wiederum behaupten,
dass der Kilt nicht ohne den traditionellen sporran, die beschlagene
Felltasche, von einem Gürtel gehalten, und den skean dubh, den
kleinen, in einen Strumpf gesteckten Dolch, getragen werden darf, und dass
ein stolzer und männlicher Highlander reinen Ursprungs sich nicht mit
so einem weibischen Accessoire wie einer Unterhose herausputzt. Stellen Sie
also ruhig einem Gentleman im Kilt die rituelle Frage, What is worn under
the kilt?
Es ist wahrscheinlich, dass er Ihnen den abgedroschenen
Scherz Nothing is worn, everything is in good working order! serviert,
dessen ganze Tragweite nur die happy few begreifen können, welche
die Sprache Oscar Wildes beherrschen (). Der Ruf der Prahlerei, den man den
Schotten angehängt hat, ist nicht gänzlich unbegründet ...