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Clan

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Clan

In einem Erinnerungsbändchen, The Non-Potable Scotch (1964),
beschreibt der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler John Kenneth Galbraith
einen herrlichen Streit, der in dem von den Nachkommen schottischer Einwanderer
bewohnten kanadischen Dorf, in dem er seine Kindheit verbrachte, die Campbells
denen gegenüberstellte, die ihnen vorwarfen, bei der Schlacht von Culloden
auf der falschen Seite gekämpft zu haben. Fast zwei Jahrhunderte nach
der endgültigen Niederlage der Jakobiten unter Bonnie Prince Charlie
wurden diese friedlichen Landwirte in Ontario noch von den Haßgefühlen
der Vorfahren geplagt, die ihnen das Clansystem vermacht hatte.

Das gälische Wort clann bedeutet »Kinder«. Der Clan, um einen
Patriarchen und seine Nachfahren herum aufgebaut, und eher auf Verwandtschaftsbeziehungen
als auf Besitzverhältnissen gegründet, ist eine soziale Gruppe,
die sich auf einen gemeinsamen Vorfahren beruft, gleichgültig ob von
wirklicher oder sagenhafter Gestalt. Die Barden, Hüter der Tradition,
taten sich in der Kunst hervor, großartige Genealogien zusammenzubrauen,
deren künstlicher Charakter in keiner Weise die wesentlichen Aufgaben
behinderte: nämlich den Zusammenhalt der Gruppe zu gewährleisten
sowie das Prestige ihres Anführers und ihre Anerkennung durch die anderen
Clans, wobei auch gleichzeitig die Eingliederung fremdstämmiger Elemente
erleichtert wurde: da die Männer den Hauptreichtum eines Clans darstellten,
war dem Führer arg daran gelegen, die deren Aufnahme zu vereinfachen.
Auf diese Weise assimilierte die Clangesellschaft nicht wenige Wikinger und
erkannte sogar Führer norwegischer Herkunft (MacLeod, MacLauchlan) sowie
flämischer (Murray), normannischer (Grant, Gordon, Fraser) und bretonischer
Herkunft (Stuart, ursprünglich FitsAlan) als die ihren an. Diese neuen
Herren versuchten vergeblich, Bräuche aus dem Lehenswesen auf Stammesstrukturen
zu übertragen; sie sahen sich mit der Rolle der patriarchalen Clananführer
betraut von ihren Männern, die in zahlreichen Fällen sogar ihren
Namen annahmen. Das läßt die Bemühungen Tausender von Macs
auf der ganzen Welt etwas lächerlich erscheinen, die sich mit Hilfe harter
Devisen darauf versteifen, ihren Stammbaum bis zu Kenneth MacAlpin hin zurückzuführen,
möglichst über Maria Stuart, Robert Bruce oder William Wallace.
Die schottischen Agenturen, die sich mit Abstammungsnachforschungen beschäftigen,
bilden übrigens einen der blühendsten Wirtschaftszweige. Aber: »Nicht
alle Stuarts sind Vettern des Königs von Schottland«, warnte Froissart
gegen Ende des 14. Jahrhunderts.

Campbell gegen MacDonald

»Nachdem Gott aus einem vulgären Pferdeapfel einen Highlander erschaffen
hatte, fragte er ihn: – Wo gehst du jetzt hin? – In die Lowlands, antwortete
die Kreatur, um dort eine Kuh zu stehlen.« Diese Fassung der der Schöfpfungsgeschichte,
die im Tiefland zur Zeit der Reformation umging, zeigt deutlich, wie wenig
Achtung die Süd- und Ostschotten für ihre Landsleute aus den Bergen
übrig hatten, deren militaristische Organisation und deren Weide- und
Raubwirtschaft sie als ständige Bedrohung empfanden. Der Reichtum eines
Clans bestand in seiner Rinderherde. Die Hauptaufgabe der Krieger lag darin,
sie gegen die Raubzüge benachbarter Clans zu verteidigen, auf die Gefahr
hin, anschließend gemeinsame Sache zu machen, um den claymore,
das gefürchtete flache Schwert mit den zwei Griffen, in die fruchtbaren,
an die Linie der Highlands angrenzenden Ebenen zu tragen, um dann dort Rinder
zu stehlen oder sich in Überfällen zu versuchen. Vornehmlich der
Gregor-Clan hatte sich zum wahrhaftigen »Beschützer« derjenigen
Lowlander aufgeworfen, deren Besitz an den seinen angrenzte, zwischen dem
Loch Lomond und dem Loch Katrine, dort wo Walter Scott die Abenteuer des schottischen
Robin Hood ansiedelte, dem Banditen mit dem großen Herzen Rob Roy MacGregor.

Die Zentralmacht von Edinburgh, und später dann von London, war dazu
entschlossen mit diesen »wilden und unverschämten Plünderern aufzuräumen,
die unfähig sind, ihren Lebensunterhalt zu verdienen und Dörfer
zu errichten, die Irisch radebrechen und überhaupt kein Schottisch verstehen«
(John Major, 1521). Man ließ die Highlander das Schicksal erleiden,
das diese später dann ihrerseits zwei Jahrhunderte lang den Völkern
zufügten, die dem britischen Reich unterworfen waren: man manipulierte
sie, ließ sie sich gegenseitig umbringen, »beruhigte« die Region, unterwanderte
ihre Kultur und Wirtschaft, verwendete die Überlebenden als Kanonenfutter
für die eigenen Expansionskriege, und dann, als höchste Verfeinerung
in der Technik der Bevölkerungsumverteilung, wies man im Einvernehmen
mit der Mehrheit der lokalen Honoratioren die Überlebenden dieser Massaker
aus, um ihr Land als eine riesige Fischfang- und Jagdreserve zu nutzen für
hervorragende sportsmen (Begriff, mit dem die Engländer die Beherrscher
von Angelrute und Jagdgewehr bezeichnen).

Brandschatzende Clans ließ die Regierung zum Abschuß freigeben,
was dann – da die königliche Armee sich nicht in die Berge wagte – von
den benachbarten Clans erledigt werden sollte, die begierig auf Plünderung
und Gebietszugewinn waren. So geschah es beispielsweise 1603, dass dem
Gregor-Clan schlicht und einfach die Existenz untersagt wurde. Wer
auch immer weiterhin darauf beharrte, sich MacGregor zu nennen, sollte auf
der Stelle niedergemacht werden, wobei dann der »Gerichtsherr« den Besitz
seines Opfers erbte. Einem entflohenen Banditen konnte es geschehen, dass
seine Strafe abgemildert wurde, wenn er seinen Richtern den Kopf eines Mitglieds
des aufgelösten Clans vorlegte.

Um die Wahrheit zu sagen, nur wenige Clans wagten es, diesen Auftrag auszuführen,
der erst 1775 aufgehoben wurde, bis auf die Campbells, die von ihren
Führern, den äußerst ehrgeizigen und geschickten Herzogen
von Argyll
, zu einer Art Hochlandmiliz eingesetzt wurden. So vertraute
dann auch William von Oranien den Campbells die schreckliche Mission
an, z.B. den Glen Coe zu »befrieden«: wie ihre Nachbarn, die MacGregors,
waren auch die Bewohner dieses Tals ein wenig auf Raub und Plünderung
ausgerichtet. Obendrein hatte ihr Führer Alasdair MacIain MacDonald
of Glencoe
, wenig mit den Feinheiten der Bürokratie vertraut, den
von allen Clans geforderten Huldigungseid gegenüber dem König mit
fünf Tagen Verspätung abgelegt. Als Folge baten zwei Kompanien des
Regiments von Argyll kommandiert von Campbell of Glenlyon an einem eisigen
Abend im Februar 1692 die MacDonalds von Glencoe um Gastfreundschaft. Diese
nutzten sie länger als eine Woche aus, um dann gemäß ihrer
Befehle alle Bewohner des Tals, die jünger als siebzig Jahre waren, im
Schlaf abzuschlachten. Das geschah vor rund drei Jahrhunderten, aber noch
heute wird ein Campbell in Glencoe genauso ungern gesehen, wie ein Schmidt
oder ein Müller in Oradour-sur-Glane.