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Ende eines alten Liedes

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Ende eines alten Liedes

Die Reform vollzieht die Trennung von Frankreich. Nach Jahrhunderten der
Kämpfe sehen die Schotten endlich ihre protestantischen englischen Nachbarn
als natürliche Verbündete an. Nach der Absetzung Maria Stuarts wird
ihr ein Jahr alter Sohn Jakob ihr Nachfolger. Jakob VI. von Schottland, am
Hofe Elisabeths im Sinne der reformierten Kirche aufgezogen und von ihr mit
einer annehmbaren Pension ausgestatet – er wird ihr niemals die Behandlung
vorwerfen, die sie seiner Mutter zukommen ließ – wird Jakob I. von England
als 1603 seine kinderlose Großtante Elisabeth starb. Jakob Stuart gibt
den beiden unter einer Krone vereinigten Ländern – ohne dass dabei
ein Land vom anderen abhängig wird – einen gemeinsamen Namen, nämlich
Großbritannien und eine gemeinsame Fahne, den Union Jack: die
Verlobung in Blau, Weiß und Rot des Sankt Georg Kreuzes mit dem Sankt
Andreas Kreuz. Während sich Jahrhunderte lang die englischen Herrscher
vergeblich darum bemühten, Schottland an sich zu reißen, sei es
durch Gewalt, List oder die Ehe, wurde die prestigiöse Tudorkrone einem
armen, arglistigen Schotten, Liebhaber hübscher Frauen, zuteil.

Ironie des Schicksals, denn dieser Triumph erwies sich für Schottland
als Bumerang. Schon zu seiner Krönung verlegt Jakob VI. und I. seinen
Hof von Edinburgh nach London. Seine Nachfolger, Schotten, die von den Belangen
Schottlands keine Ahnung haben, versuchen den Episkopalismus, von 1592 an
durch Andrew Melville abgeschafft, d.h. den Katholizismus, wieder einzuführen.
Sie zwingen das Land durch diese Mißgriffe, sich in die Bürgerkriege
einzumischen, die das England des 17. Jahrhunderts zerreißen. Cromwell
besetzt Schottland 1650, anschließend integriert er es in einem englisch-schottisch-irischen
Commonwealth. Aber sein Tod im Jahre 1658 setzt dieser kurzlebigen
Union der Parlamente ein Ende.

Das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts hat unheilvolle Folgen für
Schottland: wiederholte Temperaturschwankungen zerstören die wenigen
Ernten, die von den Bürgerkriegen verschont geblieben sind; mehrere Kolonialabenteuer
im Golf von Darién enden, teils wegen englisch-spanischer Sabotageakte,
in aufsehenerregenden Mißerfolgen; die Kriege Wilhelms von Oranien gegen
Frankreich ruinieren den französisch-schottischen Handel. Kurz und gut:
das in der Klemme befindliche Schottland erleidet alle Nachteile aus der Verbindung
seines Herrschaftshauses mit England, ohne jedoch daraus den geringsten Vorteil
zu ziehen. Das bestehende Übereinkommen, die Union der Kronen und die
Trennung der Parlamente, wird zunehmend lebensunfähiger. Nun hegen aber
die Engländer ein starkes Interesse daran, eine engere Verbindung zwischen
den beiden Königreichen zu fördern, denn ein unabhängiges Schottland
bedeutet allenthalben die Gefahr einer Restauration der Stuarts und einer
Allianz mit Frankreich. Also schickt man Geheimagenten, darunter Daniel Defoe,
in die Gegend nördlich des Tweed, mit dem Auftrag, eine öffentliche
Meinung zu manipulieren, die der Union eher zurückhaltend gegenübersteht.
Man tut so, als wolle man die schottische Wirtschaft ersticken, indem man
die Ausfuhren nach England behindert. Die schottischen Staatsangehörigen
behandelt man wie Ausländer, um nicht zu sagen Feinde. Dann werden Verhandlungen
begonnen.

Sie werden prompt geführt. Ohne der geteilten Opposition die Zeit zu
lassen, sich zu formieren, gelangten die schottischen Boten – von denen einige
behaupten, dass sie von den Engländern gekauft wurden – zu einem
Kompromiß. Die Schotten verpflichteten sich dazu, die Hannoveraner Thronfolge
zu akzeptieren. Als Ausgleich dafür erhielten sie Handelsfreiheit mit
England und seinen Kolonien. Sie behielten ihre Kirche, ihre Gesetze und Schulen.
Aber die beiden Länder sollten nur noch einen einzigen Staat bilden,
ausgestattet mit einem einzigen Parlament mit Sitz in Westminster.

Der Vertrag wurde im Januar 1707 ratifiziert. »Und das ist das Ende eines
alten Liedes« (»The end of one auld song«), stöhnte man in den
Strohhütten. »Schottland hat sich für ein Linsengericht verkauft«,
wetterten die Patrioten. Die weniger prosaischen Glöckner der Saint Giles
Kathedrale läuteten am Morgen der Ratifizierung ein Klagelied, das damals
stark in Mode war: »Warum bin ich am Tag meiner Hochzeit nur so traurig?«