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Clearances: die Enteignungen

Body: 

Enteignung durch Clearances

Kein allmähliches Gleiten von der Stammesordnung zum Kapitalismus: die
Niederlage verwandelte die Clananführer auf einen Schlag vom warlord
(Kriegsherr) in einen gemeinen landlord (Grundbesitzer). Unzählige
Patriarchen fanden sich als einfache Krautjunker wieder. Ihr Reichtum wurde
nun nicht mehr an der Zahl bewaffneter Männer gemessen, die sie mobilisieren
konnten, sondern sie wurden gezwungen, ihn in Hektar, Herdenstärke und
Scheffel Hafer zu verbuchen, wie der erstbeste dahergelaufene Bauernlümmel,
wodurch sie ihre Einkünfte erhöhten und dabei gleichzeitig ihre
Gesellschaft zerstörten, denn die gälische Lebensweise blieb nur
solange zusammenhängend, wie sie auf Kriegsaktivitäten beruhte.
Natürlich hätte dieser Anachronismus, egal ob mit oder ohne Culloden,
nicht mehr viel länger dauern können, aber die Verfolgungen, die
nach der Schlacht stattfanden, zerstörten jegliche Hoffnung auf eine
stufenweise und harmonische Eingliederung der gälischen Kultur in die
schottische, sprich: britische, Gesamtgesellschaft.

»Besteht die beste Verwendung, die man für einen heimlichen Feind hat,
nicht darin, seinen Tod in den Dienst des Allgemeinwohls zu stellen?«, ironisierte
Wolfe, der englische Sieger von Montcalm in Quebec, bezüglich
seiner aus dem schottischen Hochland stammenden Soldaten: »Sie sind robust
und unerschrocken, und eine angenehme Erleichterung, wenn sie fallen!« In
den nächsten fünfzig Jahren nach Culloden ließen sich die
desorientierten Gälen scharenweise für die Highlander Regimente
anwerben – wo übrigens Kilt und Dudelsack existieren durften – die von
der Regierung ins Leben gerufen worden waren, um ihren Kriegseifer zum alleinigen
Nutzen für den britischen Imperialismus zu kanalisieren. So schlug man
zwei Fliegen mit einer Klappe, indem man den Armeen in den Kolonien Kanonenfutter
lieferte und das menschliche Kampfpotential aus den Highlands abzog, um dort
jegliche Gefahr eines Aufstands aus dem Wege zu räumen. So mancher Clananführer
zögerte nicht, auf seinem eigenen Grund und Boden den Soldatenwerber
zu spielen, wobei auch er doppelten Nutzen daraus zog: er erhielt Straffreiheit
für die Teilnahme seines Clans am Jakobitenaufstand und senkte in seinem
Gebiet die Überfülle an zu stopfenden Mäulern. Die auf ihrer
Insel gedemütigten Highlander erhoben sich zur Empire-Polizei und bewiesen
überall zwischen Kanada, Indien – wo die Elitetruppen nach wie vor zum
Klang der Dudelsäcke defilieren – und Transvaal, dass der Kilt kein
Kleidungsstück für Schwächlinge ist.

So massiv dieser Eingriff auch war, er schaffte es nicht, die Bevölkerungsentwicklung
in den Highlands einzudämmen, die eine richtige Herausforderung darstellte
für jene Kardinaltugend der Volkswirtschaft, bei der sich die Schotten
aus dem Tiefland mit Adam Smith an der Spitze als die unbestrittenen Experten
brüsteten: dem Streben nach Wirtschaftlichkeit. Die Technokraten jener
Zeit, improvers, Verbesserer genannte, hatten daraufhin eine geniale
Idee: da, wo die methodischen Römer, die schrecklichen Wikinger und selbst
der sadistische »Schlächter« Cumberland gescheitert waren, sollte ein
kleines, nettes, harmlos wirkendes Tier Heldentaten verbringen.

Wer einmal auf einem gewundenen Sträßchen in den Highlands scharf
bremsen muß, um ein vorbeitrippelndes Mutterschaf in Begleitung seiner
Lämmer durchzulassen, lasse sich nicht zu sehr von diesem Bild rühren,
sondern zügele seine rührenden Gefühle beim Anblick der Lämmlein,
die mit ihrer Schnauze auf der Suche nach Zitzen die Mutter anstubsen. Unter
der milden Gestalt eines Plüschspielzeugs hält sich im Grunde genommen
der fürchterlichste Feind der keltischen Rasse – zusammen mit dem Alkohol
und den Kolonialkriegen – verborgen: das schreckliche Schaf mit seinem schwarzen
Kopf. Die ersten wurden in Nordschottland gegen Ende des 18. Jahrhunderts
von den für die Landwirtschaftswissenschaft begeisterten lairds,
den Großgrundbesitzer, eingeführt. Sie erwiesen sich als genügsam,
fruchtbar und zäh genug, den Winter unter freiem Himmel zu verbringen.
Nun war das Empire aber mitten in der Expansionsphase begierig nach Wolle
und Fleisch: die lairds konnten jetzt endlich ihre latifundia
rentabler ausbeuten – jedoch nur unter der Bedingung, jene Parasiten daraus
zu vertreiben, als die ihnen ihre Pächter inzwischen erschienen. Das
war ein leichtes für sie, da die meisten der seit Generationen auf dem
Gebiet der Clans ansässigen Familien gar nicht mehr wußten, was
ein Pachtvertrag war. Ihre Welt brach zusammen, als sie mitansehen mußten,
wie der Verwalter des lairds, den viele noch als ihren Beschützer
betrachteten, den crofters im Tal nacheinander seinen Besuch abstattete
und dann kurzerhand den Zugang verbot, sie zerstörte oder niederbrannte,
um dann den Vertriebenen die Richtung zu den Glasgower Fabriken oder zu den
kanadischen Wäldern zu weisen.

In der Zeit von 1780 bis 1860 wurden so zehntausende von Gälen zur Auswanderung
gezwungen, ohne nennenswerten Widerstand ihrerseits: die presbyterianischen
Pfarrer predigten fast alle Unterwerfung und die Armee leistete den Vertreibern
tatkräftigen Beistand. Trennen, um besser zu regieren: um seine Ländereien
ohne Widerstand räumen zu lassen, rief der Herzog von Sutherland das
42. Regiment schottischer Füsiliere herbei, das sich trotz seines Namens
aus irischen Gälen zusammensetzte, darauf brennend, die Niederwerfung
der irischen Rebellion von 1798 durch schottische, von den Highlander-Regimentern
angeworbenen Gälen, zu rächen. Ein brudermörderischer Kampf,
dessen letzter Satz, der aber nicht mangels Kämpfer der letzte sein möge,
so hofft man, sich heute in den Straßen von Belfast und Derry abspielt.

Während der Sklavenhandel an sich gerade verboten worden war, wurden
die Gälen tälerweise nach Australien, in die USA und vor allem nach
Kanada verschifft, auf alten Seglern, wo die Sterblichkeitsrate noch höher
war als zu der Zeit, da sie zum Transport des »schwarzen Elfenbeins«, der
Sklaven also, dienten. Davon abgesehen, dass die britische öffentliche
Meinung, darin eingeschlossen die in den Lowlands, eine unglaubliche Gleichgültigkeit
an den Tag legte. Und Harriett Beecher Stowe, Autorin von Onkel
Toms Hütte
und Verfechterin der amerikanischen Antisklavenbewegung,
bemühte sich 1857 in Strahlende Erinnerungen an fremde Länder
(Eindrücke ihres Aufenthalts in Europa und vornehmlich in den schottischen
Highlands, wo sie Gast der Herzogin von Sutherland gewesen war, zu rechtfertigen,
was man zu jener Zeit voller Scham – oder Zynismus? – die »Auslichtung« (durch
die Leere?) des Hochlands nannte, the Highlands Clearances.

Sucht das Gespenst von Frau Stowe die in Ruinen liegenden crofts von
Sutherland heim? Der Mensch ist fast vollständig verschwunden aus dem
Inneren der Grafschaft und überließ sie den Kräften der Natur,
die sie zur Kulisse für einen Gespensterfilm oder einen Schauerroman
formte. Im ständigen Drei-Fronten-Kampf gegen das Meer, allen Winden
ausgesetzt, düstere und bedrohliche Hügel, gegen die sich die seltsamen
dürren Bäume abheben, die sich bei einem Mondschein, der sogar den
Hund von Baskerville zum Heulen brächte, gierig im Vorübergehen
weite Überröcke aus Nebel überstreifen. Der beängstigende
Eindruck, sich alleine am Ende der Welt zu befinden, dort, wo Apollo auf seiner
Reise zu den Hyperboreern vom ultima Thule () hörte und
zum ersten Mal die unergründliche Traurigkeit der Menschen kennenlernte.

Jedenfalls empfiehlt es sich nicht, mitten im Strath Naver oder im Strath
Tirry eine Panne zu haben: sie wurden »geräumt«. Zwischen 1811 und 1820
wurden 15.000 Bewohner aus Sutherland vertrieben. Im Jahr 1900 blieben noch
ganze 25.000 übrig. Und 1990 sind es nicht mehr als die Hälfte.
Der Hauptort der Grafschaft, Dornoch mit seinem Sandstrand, seinem Golfplatz
aus dem 17. Jahrhundert, seiner sehenswerten Kathedrale aus dem 13. Jahrhundert
erreicht noch nicht einmal tausend Seelen. Übrigens findet man im ganzen
Gebiet der Highlands nur elf Orte mit mehr als 4.000 Einwohnern, wobei die
bedeutendsten Inverness (35.000), Dunoon und Thurso (je 10.000) sind. Das
Hochland umfaßt die Hälfte der Fläche Schottlands, beherbergt
aber nur fünf Prozent der Bevölkerung: das wäre ungefähr
so, als wenn die Straßburger über ein Territorium verstreut siedelten,
das größer als die Niederlande wäre.

Der alte Herzog von Sutherland, verärgert über die geringe Bereitwilligkeit,
welche die Bauern seiner Domänen an den Tag legten, als es darum ging,
sich bei seinem zur Krim abkommandierten Regiment zu verpflichten, ließ
sie in sein Schloß Dunrobin kommen und ermunterte sie, gegen den russischen
Tyrannen zu den Waffen zu greifen für ihren Clan, ihre Königin und
für eine Prämie von sechs Pfund bei der Verpflichtung. »Euer Gnaden,
antwortete der Älteste der Pächter, brauchen doch nur die Schafe
zu rekrutieren.«