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Loisada, ein Ghetto

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Drogendealer und Solidarität unter Müttern

Neue Appartments für Mittelstands-Sprößlinge

New York: Verschiedene Facetten eines Viertels

Ich lebe seit einem Jahr in Loisada. Für die anderen, d.h. die von der anderen Seite der Zone, ist das Lower East Side, oder gar East Village (klingt schicker), nur etwas nach Osten verschoben, aber ... im Grunde hängt es vom eigenen Blickwinkel ab, ob es nun der der jungen Weißen aus der Mittelschicht ist, die sich bis in die armen Viertel ausbreiten, um den schwindelerregenden Mieten der bürgerlichen Wohngebiete zu entfliehen, oder der der Ghettobewohner, die sich an ihrem Gebiet festklammern wie am Mast eines sinkenden Schiffes.

„Red tape, green tape, pink tape“, flüstern sie mir ins Ohr, wenn ich im Laden um die Ecke Milch hole, meinen Bus nehme, am Rande der Avenue D, die von der New York Times als „härteste Avenue der USA“ beschrieben wurde. Sie sind dunkel gekleidet, die Mütze bis über die Augenbrauen gezogen, die Hände in den Taschen ihrer Jacke, mit in der kalten Luft dampfendem Atem. Sie warten in Scharen vor der Telefonreihe und beim Eingang der Apotheke, warten auf den weißen, locker gekleideten Kunden, der irgendwie bürgerlich wirkt, denn sie kennen sich aus, erkennen den Junkie aus New Jersey, der soeben sein Auto geparkt hat und sich nun mit gekünstelter Lässigkeit nähert.

Das Heroin des Lower East Side gilt als das beste in Manhattan, das reinste. Aber sie irren sich trotzdem, wenn sie die Neuankömmlinge anvisieren, die sich in den verlassenen Gebäuden niederlassen, sie renovieren und in Luxus-Appartments umwandeln, von denen sie nur träumen können, sie, die ihr Geld für Dope oder auffällige Ami-Schlitten ausgeben, z.B. Corvette oder Transa.

Ich gehe so schnell wie möglich an ihnen vorbei, mit erhobenem Kinn und angewinkelten Ellenbogen. Aber sie nehmen’s mir nicht übel, dass ich nicht ihre Kundin bin, und wenn der Bus ankommt, ehe ich die Straße überquert habe, pfeifen sie dem Fahrer zu, damit er auf mich wartet.

Unruhig wegen ihrer gewagten Immobilienanlage und ihrer Sicherheit, versammeln sich die neu eingetroffenen Weißen jeden Monat in dem Keller eines ihrer Wohnhäuser, verteilen Blätter, um die Dealer und Kunden anzuzeigen, und diskutieren mit Polizisten des precinct über Drogenprobleme; „Könnten Sie uns nicht ein wenig unter die Arme greifen, uns Weißen, die wir dieses heruntergekommene Viertel wieder aufpolieren, damit tun wir Ihnen doch auch einen Gefallen, oder nicht?“ „So einfach ist das aber nicht, es dauert Monate, bis man die großen Fische erwischt ...“ „Aber Ihr Herren Polizisten, wir wollen doch nur, dass sie von hier abhauen, dass sie ihre schmutzigen Drogen woanders verkaufen. Nur zwei Straßen weiter, schon wären wir zufrieden. Damit wir sie wenigstens nicht sehen müssen!“

„Red tape, green tape, pink tape“, das ist die Farbe des Tesastreifens, der die Heroinpäckchen verschließt und je nach Dealer und Qualität des Produkts variiert.

Die Gefahr besteht nachts darin, auf der Straße überfallen zu werden, etwa von einem Junkie, der Bares braucht. Doch so etwas passiert überall in New York, auch in den besseren Vierteln.

Die Jungen lernen schon früh, sich zu prügeln. Die Mädchen sind mit elf bereits sexuell aktiv, und ihre Mütter, die selber kaum älter als 25 oder 30 sind, geben ihnen lieber vorsichtshalber die Pille, auch wenn sie noch wie pausbäckige Riesenbabys aussehen. Aber nicht alle Kinder halten sich auf der Straße auf. Manche Familien, die in Sozialwohnungen entlang des East River leben, schicken ihre Kinder auf die Saint-Brigid-Schule und trotzen den Dealern, die ihre ihre halls in Drogenmärkte zu verwandeln drohen.

Schwangere Mädchen, vielleicht 18 Jahre alt, mit ihrem Ältesten an der Hand oder im Kinderwagen, versammeln sich beim Waschsalon, während aus einem Candy-store nebenan Salsaklänge ertönen. Unter Müttern ist man solidarisch. Wenn ich mit meiner Tochter vorbeikomme, tauschen wir uns über Alter, Gewicht, Vornamen, erste Zähnchen aus. Die Mutterschaft ist heilig. Die selben Männer, die mich anbaggerten, als meine Schwangerschaft noch nicht sichtbar war, helfen mir nun, grüßen mich und wünschen mir alles Gute.