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Die jungen Rebellen

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Vom chinesischen „Dorf“ zur anonymen Chinatown

Das Klischee vom braven Chinesen

Jugendbanden: anders als in West Side Story

Das Schicksal des jungen Wong ist emblematisch für die Entwicklung des Bandenwesens in Chinatown. Um diese nachzuvollziehen, ist ein Blick auf die Geschichte Chinatowns erforderlich.

Effie Louis, Direktorin des Hamilton Madison Child Care Center, erinnert sich. Sie wuchs Ende der dreißiger Jahre und bis in die vierziger hinein in Chinatown auf.
“Wir waren eine der wenigen Familien. Wenn meine Mutter durch Chinatowns Straßen ging, traten die Männer aus ihren Geschäften heraus, um sie anzuschauen. Das machte sie dermaßen wütend, dass sie in ihre Läden hereinging und dabei rief: „Na los, ihr könnt glotzen soviel ihr wollt ...“. Familien waren so selten, dass die Kollegen meines Vaters ihre freien Tage bei uns verbrachten, denn sie hatte keine Familie hier.

Aufgrund der strengen Gesetze, die die Einwanderung regelten, war die chinesische Bevölkerung größtenteils männlich und erwachsen. Die Kinder begegneten allen Erwachsenen mit Respekt. Vor der Ankunft neuer Einwanderer glich das Leben in Chinatown dem in einem Dorf.

Effie erinnert sich noch daran: „Jeder kannte jeden, wenn nicht direkt, dann über Bekannte, die mit der jeweils anderen Person Kontakt hatten. Wenn wir Kinder unterwegs waren und dabei etwas anstellten, wußten wir, dass unsere Mutter es erfahren würde, noch ehe wir wieder zuhause waren. Jeder beliebige Erwachsene konnte uns tadeln, das war für uns völlig normal. Aber heute trifft das nicht mehr zu. Ich kann einen ganzen Tag in Chinatown verbringen, ohne ein bekanntes Gesicht zu sehen.“

Es ist nicht weiter überraschend, dass in einem so stark von Erwachsenen geprägten Umfeld Jugendkriminalität keine nennenswerte Rolle spielte. In Chinatown (Manhattan, zwischen Lower East Side und Soho) traf dies noch Anfang der sechziger Jahre zu. Während die Amerikaner sich über ihre Heranwachsenden Gedanken machten und Filme wie Denn sie wissen nicht, was sie tun und West Side Story für Furore sorgten, pries man die jungen Chinesen aufgrund ihrer Ernsthaftigkeit und ihrer Achtung des Gesetzes und der Älteren.

Wenn der Tod von William Wong für derartigen Medienrummel sorgte, dann deshalb, weil er dem Stereotypen des gehorsamen jungen Chinesen widersprach. Die Polizeiberichte aus dem 5. Bezirk von Chinatown halten im Jahre 1955 nur eine einzige Verhaftung eines jungen Chinesen fest; 1965 waren es 9, 1974 dann 233.

Dieser beeindruckende Anstieg war eher auf die wachsende Zahl junger Chinesen zurückzuführen, als auf eine Abkehr von den konfuzianischen Werten. Die Ordnungshüter glaubten zunächst, dass die Bandenkriege auf der einen Seite von Chinesen, die in den USA geboren waren, und auf der anderen Seite von Chinesen aus dem Ausland ausgingen. Doch so zufriedenstellend diese Interpretation für ein von West Side Story getränktes Publikum auch gewesen sein mag, sie entbehrt jeglicher Grundlage, denn 90% der Bandenmitglieder waren und sind noch immer junge Menschen, die nicht hier geboren wurden.

Anfang der sechziger Jahre hatten sich mehrere chinesische Banden gebildet - Ernie’s Boys, The Continentals -, die typische Jugendbanden waren. Sie verteidigten ihr Revier und ihre Landsleute gegen andere ethnische Gruppen. Doch die neuen chinesischen Banden hielten erst Ende der sechziger
Jahre Einzug, als die Banden nach der Änderung der Einwanderungsgesetze unter den neuen Einwanderern rekrutieren konnten.