Konzert

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Notizen geordnet

Gegenseitige Sympathie

Verständnis eines Sprichwortes

Nach dem Essen gab Graham im Vorführsaal ein Konzert, zu dem wir selbstverständlich alle mitkamen. Für mich, die ich eigentlich nur klassische Musik hörte, war dieses Konzert trotzdem ein wahrer Hochgenuss, und ich fühlte mich an die sechziger und siebziger Jahre erinnert. Graham verstand es, uns alle mitzuziehen in seine Musik, er verbreitete Schwung und gute Laune, am Ende klatschten und klatschten wir alle mit den anderen Passagieren, bis uns die Hände weh taten.


Nach dem Konzert begaben wir uns zusammen an die Bar. Wieder wurde herrlich herumgeflachst, gelacht und gescherzt, als ob wir uns schon ewig gekannt hätten, aber auch richtig gute Gespräche entstanden. Als ich um elf Uhr meine Kabine aufsuchen wollte, wurde ich nachdrücklichst gebeten, mir das gut zu überlegen, ich solle mich nicht so dämlich ausschließen, denn schließlich gebe es um null Uhr das Mitternachtsbuffet. Etwas so Üppiges wie die voll geladenen Tische dieses Buffets hatte ich noch nie vorher gesehen, ich konnte mir jetzt erst bildhaft vorstellen, was gemeint ist, wenn es heißt, die Tische haben sich unter dem Essen gebogen. Natürlich konnte ich nicht widerstehen, mich von dem reichhaltigen Angebot an Speisen zu bedienen, und nun war mir auch klar, warum ich am frühen Abend so viele wohlgenährte Menschen auf dem Sonnendeck gesehen hatte. Mit Sicherheit würde ich nie an einer solchen Kreuzfahrt teilnehmen, zu gut konnte ich mir vorstellen, wie leicht man dabei träger und träger wurde.


Am nächsten Morgen flippte ich nach dem späten Frühstück noch einmal meine Notizen auf einem der Sonnendecks durch – alles, was ich den künftigen Gästen „meines“ Landes erzählen wollte, war feinsäuberlich notiert, so dass ich mich gut gerüstet fühlte. Die „kleine Missionarsfrau“ würde nicht wieder unvorbereitet in eine Sache hineinschlittern. Beim wiederum üppigen Mittagessen versprachen mir alle am Tisch, zu meinem, für nachmittags angesetzten Vortrag zu erscheinen, und ich fühlte mich eigenartig sicher und geborgen. Ich hatte nicht nur meine Vorträge gründlich ausgearbeitet, ich setzte mich sogar regelrecht in Szene. Um siebzehn Uhr betrat ich barfüßig den Vorführsaal, gekleidet in einen laplap und ein T-Shirt, an den Oberarmen trug ich Muschelarmreife und den spiralenförmigen Schildpattreif von einer der Inseln, die ich als Reiseleiterin besucht hatte, dazu hatte ich mir eine ebenfalls dort erstandene Delphinzahnkette umgehängt.


Ein wenig erschrocken stellte ich beim Betreten des Saals fest, dass er reichlich besetzt war. Da muss ja fast das ganze Schiff hier sein, dachte ich. Ich nahm nur offene Augen wahr, vorne, ganz nah vor mir, sah ich meine Tischnachbarn, und so begann ich. Ich erwähnte, dass ich seit insgesamt sieben Jahren mit meiner Familie in Niugini lebte, gab einen kurzen Abriss über die Geschichte des Landes, ich beschrieb das Leben auf einer Außenstation, sprach über Geburten im Busch, über Cargokulte und animistisches Denken, ich erzählte und erzählte, es floss nur so aus mir heraus.


Als ich nach einer dreiviertel Stunde enden wollte, baten mich alle einstimmig, meinen Vortrag für morgen gleich anzuhängen, und so setzte ich ohne Zögern fort. Ich bewegte mich in die achtziger Jahre, erzählte von dem alten Mann beim waterhole an der Nordküste, beschrieb Erlebnisse und Begegnungen mit Menschen in meinem Gästehaus, schilderte „unsere“ Insel in bunten Farben, wieder konnte mich nichts aus meinem Redefluss herausbringen. Zum Abschluss präsentierte ich die Geschichte von der Eisenaxt, und was sie alles verändert hatte, und zu guter Letzt wies ich noch auf gewisse Benimmregeln hin, die auf dem Markt in Madang zu beachten waren.


Als ich am Ende aufforderte, Fragen zu stellen, kam natürlich die Frage von einem Mann: „Wie konnten Sie den Menschen dort ihre Kultur nehmen?“ Ein vernehmliches Raunen ging durch die anderen Zuhörer, aber ich hatte diese Frage erwartet, sie war schon in meinem Vortrag eingeplant. Zunächst gab ich die Frage zurück und fragte, wer mit „Sie“ gemeint sei. „Die Missionen, die Kirchen“, war die erwartete Antwort. Jetzt kam die Klugscheißerin in mir zum Tragen, ich warf die Frage in den Saal und ließ alle an ihrer Beantwortung mitarbeiten. Als eine erhitzte Debatte im Gange war, erzählte ich von Michaels Großvater, der nicht hatte wissen können, dass viele „Eingeborene“ sich aus anderen, für ihn noch nicht ersichtlichen Gründen taufen ließen. Ich gestand ein, dass von den Missionaren in der Vergangenheit teils schwere Fehler begangen worden waren, warf aber die Frage in den Raum, ob es Ethnologen, die abgeschieden lebende Stämme als paradiesisch beschrieben, in denen aber grausamste Riten gebräuchlich waren, wirklich um die Erhaltung einer uralten Kultur gehe.


Hinzu fügte ich, dass auch einheimische Politiker zwischen der Arbeit der Missionen und der Profitgier von Geschäftsleuten und Pflanzern zu differenzieren wussten. Als ich noch von meiner Reiseleitung bei deutschen Touristen erzählte und von den Zweifeln, die mich im Hochland in Anbetracht des Ausverkaufs der Kultur befallen hatten, waren alle auf meiner Seite: es wäre nicht sinnvoll, um bestimmte Ethnien einen Zaun zu ziehen, denn damit könne man sie nicht vor der so genannten Zivilisation schützen. Zum Schluss erhielt ich tosenden Applaus, und fragte mich, ob ich ein Konzert gegeben hatte, aber meine neugewonnenen Freunde waren der Ansicht, ich hätte meine Schlacht wacker geschlagen. Und am nächsten Tag hatte ich einen freien Nachmittag, den ich im befriedigenden Gefühl genoss, gute Arbeit geleistet zu haben.