Aufregung

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Aufregung

Tägliche Angst, Witwe zu werden

Der Mund hat genug gesprochen

Umschwung in Begesin - Dorfbewohner müssen mit anpacken

Einige Abende später kam Michael von einem bung, einem Treffen mit den Leuten von der Station und denen der Dörfer zurück. „Jetzt wärst du beinahe Witwe geworden“, rief er beim Eintreten. „Da lag auf dem Weg eine komisch gestreifte, kleine Schlange. Ich hätte sie wohl glatt übersehen, aber Kalap trottete vor mir, und machte plötzlich auf allen Vieren einen Satz seitwärts! Da habe ich dieses Biest mit dem Schein meiner Taschenlampe fixiert, habe im Kunaigras herum gefühlt, bis ich einen kleinen Zweig zu fassen bekam. Damit klopfte ich auf die Erde, und nach einer Weile schlängelte sie sich davon“. Ich war betroffen – wie oft sollte ich noch erleben, dass ich fast zur Witwe wurde? Aber dann sagte ich mir: hör auf, das so theatralisch zu sehen, in Deutschland sind es nicht die Schlangen, da muss sich nur jemand ins Auto setzen, und er kann schon ein paar Minuten später nicht mehr am Leben sein.


Michael berichtete von dem bung: es schien mächtig zu knirschen im Gebälk der Station. Die Stationsleute, also Butut und Aisaip, und mit ihnen die Lehrer, waren mit der faulen Bande der Dorfleute heftig zu Gericht gegangen. Diese hatten wohl gewisse Erwartungen an „Mama Mission“, waren aber nicht bereit, ihren Teil der Abmachung einzuhalten. Schon der doktaboi hatte aus diesem Grund das Handtuch geworfen, aber danach hatten die Dorfältesten erreicht, dass die medizinische Versorgung durch mich weiterlief. Das hatte die Dorfleute ermutigt, noch fauler zu werden. Eigentlich gehörte es zu ihren Aufgaben, sowohl den doktaboi, als auch die Lehrer, den Pastor, und sonstige Stationsmitarbeiter wie Butut, bei bestimmten Arbeiten zu unterstützen. Sie hatten beim Hausbau zu helfen, oder beim Dachdecken mit Kunaigras eines der Stationshäuser ihren Anteil zu leisten. Sie mussten die Stationsleute unterstützen beim Anlegen der Gärten oder sie mit Gartenfrüchten versorgen. Da ich die Cargoträger in Naturalien bezahlte, waren die Dorfleute auch mitverantwortlich für das salthouse, das Buschhaus, in dem die Naturalien gelagert waren. Das hätte schon nach der letzten Regenzeit dringend ein neues Dach aus Kunaigras gebraucht. Ich bezahlte die Gartenfrüchte, die ich den Dorfleuten abnahm, mit Salz – die einzige Möglichkeit für sie, an Salz zu kommen.

Michael kaufte ihnen Kopra und Kaffee ab, ließ beides ausfliegen, und finanzierte auch damit den store, den Laden, in dem sie einkauften, vor. Aisaip hatte bei dem bung gesagt: „Ihr nehmt und nehmt nur, wann wollt ihr anfangen, wieder etwas zu geben? Unsere Lehrer unterrichten eure Kinder, werden schlecht bezahlt, und ihr lasst sie bei der Gartenarbeit im Stich. Der doktaboi ist weggelaufen, weil ihr ihn nicht unterstützt habt. Ich werde nicht weglaufen, aber mein Mund kann auch anders sprechen, ihr werdet es noch merken!“ Die Dorfleute blieben relativ unbeeindruckt, trotz dieser harten Rede. Wie immer hatte die Diskussion lange Zeit in Anspruch genommen, jeder musste seinen Beitrag leisten, Argumente wurden wieder und wieder vorgetragen – aber bei den Dorfleuten wollte sich keinerlei Einsicht einstellen. Michael sagte: „Wir kennen das ja, sie reden und reden, wiederholen und wiederholen. Aber auf einmal – für mich völlig unerwartet – war für Aisaip das Maß voll.“ Er hatte eine flammende Rede gehalten, hatte den Dorfleuten noch einmal ihre Faulheit aufgezeigt, und ihnen die Vorteile des Angebundenseins an die Missionsstation vor Augen gehalten. Als wiederum die Reaktion ausblieb, hatte er zur Abstimmung aufgefordert. Und die richtete sich klar gegen die Faulheit der Dorfleute.