Der Anfang

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Vorbereitung auf Papua-Neuguinea

Missionarsvorgänger als große Vorbilder

Prägende Erkenntnisse über den Umgang mit Eingeborenen

Es fällt mir heute schwer, mir vorzustellen, wie unglaublich naiv und unfertig ich damals war. Schon bei meiner Heirat mit Michael war es keine Frage, dass unsere Zukunft in Neuguinea lag – etwas anderes war gar nicht denkbar.


Inzwischen lebten wir in Neuendettelsau, dem Sitz des Bayerischen Missionswerkes, und bereiteten uns auf die Ausreise vor. Wir hatten Überseetonnen mit persönlichen Dingen gepackt, die bereits auf einem Schiff unterwegs nach Neuguinea waren. Unsere Vorbereitungen waren abgeschlossen, so dass ich es kaum erwarten konnte, abzufliegen in dieses exotische Land, das ich nur aus Erzählungen kannte.


Heute war ein großer Tag, der Tag des alljährlich stattfindenden Missionsfestes. Wir waren in einer möblierten Wohnung in einem Haus des Missionswerks untergebracht, zusammen mit zwei anderen Familien, die zur gleichen Zeit mit uns ausreisen würden.


Kaum war Amos gefüttert und gewickelt, so zogen wir Freunde gemeinsam los zum Hauptgebäude des Missionswerks. Da war aber was im Gange, in dem großen Dorf in Mittelfranken! Bei unserer Ankunft hielt gerade auf der Rednertribüne ein Papua eine Rede. Er berichtete, in Abständen übersetzt durch einen ehemaligen Missionar, von der Befriedung, die durch die Mission in sein Land getragen worden war. Noch war ich auf die Übersetzung seiner Rede angewiesen, doch schon bald sollte ich die Sprache Pidgin kennen- und liebenlernen.


Von einem Land mit über 750 Sprachen (nicht Dialekten) redete er, in dem Blutrache zu Blutrache geführt hatte. Von einem Land, in dem die Menschen einander nur mit Furcht begegnet waren, Angst vor Zauberei hatten und tödlicher Feindschaft. Jeder Anderssprachige war ein Feind. Jeder Berg bedeutete eine Hürde zum benachbarten Tal, in dem schon wieder eine andere Sprache gesprochen wurde – und das hatte Abgrenzung und Feindschaft bewirkt. Aber nun gab es die „Mission“, die den Menschen die Botschaft von Frieden, von der Liebe und Versöhnung gebracht hätte.

Wie berauscht lauschte ich dieser Rede. So jemand wollte ich sein, dieser Mission wollte ich angehören. Heute kann ich kaum glauben, dass sich in mir keinerlei Widerspruch regte. Erst viel später baute ich eine kritisch hinterfragende Haltung auf. Es würde noch Jahre benötigen, bis ich mich fragen würde, woher wir Weißen das Recht nahmen, die Kultur der Einheimischen zu bewerten. Der Papua zog in seiner Rede die Schlussfolgerung, dass die Einheimischen aufgrund all der beschriebenen Segnungen der Mission dankbar sein müssten und Gott loben sollten. Das schien mir folgerichtig, wie auch offensichtlich der Landbevölkerung um mich herum. Noch stand ich hier, voller Vorfreude und Vertrauen. Zu diesen Menschen wollte ich gehören, eine der Ihren wollte ich werden. Im Hof des Missionswerkes waren inzwischen Tische mit Kaffee und Kuchen aufgebaut. Wir standen und saßen in Grüppchen mit den Gästen herum und unterhielten uns. Ein Bauer aus der Gegend fragte mich, auf Amos deutend: „Und mit so einem kleinen Kind wollen Sie in die Wildnis?“ „Oh ja“, antwortete ich entschieden, „ich kann es kaum noch erwarten!“


Nach dem Kaffee trat der Missionsdirektor vor das Mikrofon. Er sprach von der Tradition des Missionsfestes, lobte die treuen Missionshelfer und – wir hätten es gerade aus dem Munde eines Papuas gehört – pries den Segen, den die Mission bereits bewirkt habe. Nun seien drei Familien dabei, in das „Missionsfeld Neuguinea“ auszureisen, darunter die Familie mit dem kleinen Amos. Er deutete auf Amos, der auf meinem Schoß hockte und rief: „Mit dem kleinen Amos reist die vierte Generation Koenig aus!“ Alarmiert horchte ich auf, aber die Geschmacklosigkeit ging gnadenlos weiter: „Da ist noch Geld in euren Taschen – Geld für die Mission!“


Fest hielt ich mein Söhnchen an mich gepresst. Ich fühlte mich zutiefst gedemütigt, wagte kaum die Augen zu heben ob dieser Würdelosigkeit. Gedanken an die Inkas wirbelten in meinem Kopf herum, die über die Spanier gesagt haben sollen „sie sagen Gott und meinen Gold“. Das sollte meine Mission sein?


Nach der Rede kam ein Bauer auf uns zu und wollte uns, aber nur uns, 100,- DM spenden. „Ich will wissen, wo mein Geld hinkommt“, meinte er trocken. Michael erklärte ihm, es sei uns untersagt, private Spenden anzunehmen, und so zog der Mann enttäuscht von dannen.


„Die vierte Generation Koenig“? ..., ich schaute Amos an und dachte verwirrt: „aber das ist doch mein Kind, ich habe ihn doch geboren“. In Michaels Familie wurde viel geredet über Chistoph Koenig (1), seinen Großvater. Er galt als der große Pioniermissionar in Neuguinea, dem damaligen Kaiser-Wilhelms-Land. In Missionskreisen genoss er vor allem wegen seiner innovativen Art der Missionierung einen guten Ruf.


(1) xxx Anmerkung: Name abgeändert

Nach meinem damaligen Wissen hatte diese Neuartigkeit darin bestanden, dass er niemals Einzelpersonen taufte, da er bei den „Eingeborenen“ das Stammesdenken als wichtigstes Kriterium ihrer Denkweise erkannt hatte. Erst, wenn ein ganzer Stamm sich zum Christentum bekannt hatte, war er bereit, zu taufen. Als ihm 1920 die australische Regierung nach einem Heimaturlaub die Wiedereinreise verwehrt hatte, begann der anerkannte Neuguinea-Kenner, am Missionsseminar in Neuendettelsau zu lehren. Er prägte mit seinen Erkenntnissen zumindest die nachfolgende Generation von Missionaren. Im Museum der Mission pflegte er, den Regenzauber auf Kâte, einer Eingeborenensprache, stimmgewaltig vorzuführen.


Erst jetzt habe ich im Internet über diesen Mann recherchiert und entdeckt, wie unendlich viel Interessantes er geschrieben und publiziert hat. Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste, und was mich in meinem Missionseifer auch nicht interessierte, war, dass es auch durchaus kritische Stimmen gab zu seinen Büchern und Schriften, vor allem aus Ethnologenkreisen.


Damals galt er als der große Pioniermissionar, der dem Missionsmuseum unendlich viele Kultgegenstände vermacht hatte, die ihm die „Eingeborenen“ nach ihrer Bekehrung übergaben. Erst Jahre später würde sich zeigen, dass auch seine Erkenntnisse über die Papuas Fehler beinhaltet haben mussten: Als nämlich die Kâteleute Kultgegenstände aus dem Missionsmuseum zurückforderten, die ihm ihre Vorfahren geschenkt hatten.