Abschied

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Aufwiedersehen

Trennung vom geliebten Land

Wenn es am schönsten ist, soll man aufhören

In Deutschland war Herbst, in uns war auch Herbst, es war der Herbst unseres Lebens in unserem geliebten Land Niugini, das fühlten wir ganz deutlich. War nicht absehbar, überlegten wir, dass die Sicherheitslage im Lande sich immer mehr zuspitzen werde? Sollten wir warten, bis auch uns die Steine ins Fenster flogen? Oder sollten ein paar überkandidelte christliche Fundamentalisten unsere wunderbaren Kinder verprügeln dürfen? Wir beschlossen, dass ich mit den Kindern in den Weihnachtsferien nach Deutschland reisen sollte, während Michael seinen Vertrag mit der Missionsgesellschaft bis August erfüllte. Er wollte nach unserer Abreise gleich in das kleine Haus in Amron ziehen, wo vorher Irene gewohnt hatte.


Die Kinder müssten, so meinten wir, um den Anschluss an die deutsche Schule zu schaffen, das Schuljahr, das sie in Niugini beendet hatten, noch einmal ein halbes Jahr in Deutschland wiederholen, dann könnten sie es meistern. Meinten wir, denn nun mussten wir unseren Kindern erst einmal unsere Überlegungen plausibel machen, und wir stießen zunächst auf vehemente Gegenwehr. Deutschland, das schien ihnen wie Fremde, in der zwar liebe Menschen wie Oma und Opa lebten, aber doch nicht sie, sie gehörten doch hierher, Niugini war zutiefst ihre Heimat. Irgendwann waren sie so weit, sich in das anscheinend Unvermeidliche zu fügen, aber Schuld an der ganzen Sache hatte in ihren Augen ich.


In diesem Herbst waren Wahlen in Niugini, die Regenzeit wollte und wollte nicht beginnen, es war, als spielte die Natur verrückt. Die Bevölkerung in Niugini war nur schwer zu registrieren, da viele mit dem Wort Geburtsdatum verständlicherweise nichts anfangen konnten. Ich stellte mir das in etwa so vor: „Wann bist du geboren?“ Antwort: „1950 samting, etwa. Der große Krieg war schon vorbei, die Japaner waren jedenfalls schon weg, die Amerikaner und Australier auch.“ „Weißt du auch den Monat?“ Antwort: „Es war das Jahr, in dem die Trockenzeit nicht enden wollte, es kann im Februar gewesen sein, weil meine Mutter mir erzählt hat, dass die Taros im Garten vertrocknet sind, die Mangobäume gleich nach dem Tragen schon wieder nachblühten, und sie konnte es sich nicht leisten, Reis zu kaufen.“ …

Um also mit einer nicht registrierbaren Bevölkerung Wahlen durchführen zu können, musste sich die Regierung etwas einfallen lassen. So wurde jedem Wähler, der seine Stimme abgab, der kleine Fingernagel der linken Hand mit schwarzer Tinte bemalt, die mindestens sechs Wochen zu sehen sein sollte. Aber ein paar findige Hochländer fanden einen Weg aus diesem Dilemma, sie konnten die Tinte mittels einer Art Zitronensäure wegätzen, und so gingen sie wieder und wieder wählen, damit auch ja ihr Kandidat die Wahl gewann. Ich schrieb an Klemens: „Es ist nicht anders als in Deutschland, die größten Gauner und Spitzbuben haben es geschafft und sitzen fett und feist in Port Moresby im Parlament!“ Bald danach begannen die letzten Weihnachtsferien, die wir in Niugini erlebten.


Ich habe nie so bewusst Abschied genommen wie in diesen Weihnachtsferien. Welche Orte wir besucht haben, ist, glaube ich, müßig, zu erzählen. An jedem dieser Orte versuchte ich, noch einmal, die ganz eigene Schönheit tief in mich einzusaugen, meine Blicke lernten, zu trinken. Janna war kurz davor, durchzudrehen, sie musste sich auf ein Abenteuer gigantischen Ausmaßes einstellen, und fast zerbrach sie daran. Sie hatte sich in Ukarumpa so gut eingelebt, dass sie den Abschied kaum verarbeiten konnte. Es gab Nachmittage, da ich mit ihr die Straße von Amron hinunterwanderte, nur, um irgendetwas zu tun, das die Angst vor dem bevorstehenden Fremden, den Abschiedsschmerz von ihrem heiß geliebten Niugini, die Aufregung vor der großen Reise, auffing. Wenn wir schweißtriefend wieder oben ankamen, hatte sie wenigstens etwas getan.