Buschtrips

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Gang durch scheinbar verschiedene Welten

Praktisches Schuhwerk – hier fehl am Platz

Wunderbare Urwaldgeräusche und Gerüche

Das üppige, Schatten spendende Laub wurde lichter, als wir uns den Gärten der Dorf- und Stationsleute näherten. Diese waren sorgfältig gegen das Eindringen von Schweinen eingezäunt. Frauen bearbeiteten ihre Gärten unter gleißender Sonne. Schweißüberströmt hackten sie Unkraut zwischen all den Süßkartoffeln, Yams und Taros heraus, warfen es auf Haufen, um es später zu verbrennen, und ernteten Feldfrüchte für das Abendessen ihrer Familien. Ich sah Bananenstauden, deren Fruchtbündel zum Schutz gegen fliegende Hunde fest in Baumrinde eingebunden waren und wusste durch Mama Bututs Erzählungen, dass sie neun Monate brauchen würden, um zu reifen.


Wir verließen die Gegend der Zivilisation und tauchten erneut in die kühlende, schattige Welt des Regenwalds ein. Wieder erschien es mir, als sei da so etwas wie eine unsichtbare Wand zwischen der hellen und der dunklen Welt. Wir kletterten über verfaulte Baumstämme, die Pfade waren von Büschen überwachsen, dicke Lianen hingen wie Pythons von Baumstämmen herunter. Der Weg wurde glitschig, ich rutschte einmal, ein zweites Mal aus – hier schien in der vergangenen Nacht mehr Regen niedergegangen zu sein als in Begesin. Bei jedem Ausrutscher ließ Sinaraum ein spontanes „Oh sori, Mama!“ hören. Als ich ein drittes Mal auf dem Hinterteil gelandet war, kam zu dem „Oh sori, Mama!“, ein vernehmliches Prusten hinzu! Fassungslos schaute ich zu, mit welcher Sicherheit und Mühelosigkeit die Einheimischen den glitschigen Buschpfad vor mir mit ihren Plattfüßen und Zehen „griffen“, während ich mit meinen Sportschuhen auf Profilsohlen ständig ausrutschte. Und Sinaraum kicherte sich auch noch einen ab über diese weiße Missis, die mit ihren Schuhen keinen Halt finden konnte. Erbost erinnerte ich mich an die Ratschläge deutscher Ärzte, die in meiner Kindheit das Barfußgehen als sicherstes Mittel gegen Plattfüße empfohlen hatten. Aus welchem Grund sollten Plattfüße vermieden werden, wenn man damit ganz offensichtlich viel besser gehen konnte als mit schlanken Füßen?


Nach etwa vier Stunden Weges, immer wieder kleine Schlucke aus unseren Wasserflaschen nippend, fühlte ich mich bereits wie ein ausgewrungener Lappen. Ich war noch etliche Male ausgerutscht, über Lianen gestolpert, und wünschte mich zurück auf meine vertraute Station, wo ich keine lächerliche Figur abgab. An einer Quelle machten wir endlich Rast. Ich trank meine Wasserflasche leer, füllte sie gleich wieder mit Quellwasser auf, und kippte mir den Inhalt über den Kopf. Wohlig fühlte ich das Wasser an meinem Körper hinabrinnen, wie ich aussah, war mir völlig gleichgültig. Ich atmete tief durch, mein Herzschlag beruhigte sich, meine Sinne wurden wieder aufnahmebereit. Die Einheimischen packten gekochte Süßkartoffeln aus, die sie in Stücke schnitten und kalt verzehrten. Michael und ich teilten unsere mitgebrachten Früchte miteinander und saugten noch jeder eine aufgeschnittene muli aus. Wir saßen als Gruppe zusammen, die gemeinsam ein Stück Weg zurückgelegt hatte. Aisaip führte noch einmal vor, wie die Mama ausgerutscht war, die Männer schlugen sich ausgelassen auf die Schenkel, und ich war so weit, mitlachen zu können. Ausgeruht füllten wir ein letztes Mal unsere Wasserflaschen, schon ging es weiter bergauf und bergab auf dem Weg zu einem entfernt gelegenen Dorf im Busch.

Begierig sog ich wieder die Urwaldgeräusche auf, das Kreischen der Kakadus und das unvermutete, plötzlich neben mir ertönende schrille Zirpen der Zikaden. Die Luft war getränkt von den Gerüchen der feuchten Erde, gleichzeitig lag über allem der Duft des weißen Jasmins. Einmal hielt Aisaip vor uns abrupt an und schaute nach oben. Seinem Blick folgend, sahen wir hoch über uns einen Paradiesvogel fliegen. Fasziniert und voller Ehrfurcht blickten wir alle auf diesen seltenen Vogel, bis auch wirklich nichts mehr von ihm zu sehen war. Wir wanderten durch Schluchten, rechts und links ragte eine grüne Wand aus von Lianen überwucherten Urwaldriesen empor. Wir passierten Lichtungen mit Sagopalmen und tauchten immer wieder in den kühlenden Schatten der dichtbelaubten Bäume des Dschungels ein. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich die weißleuchtenden Trichterblüten von Trompetenbäumen. Wir durchwateten mehrere schäumende Bäche, eingesäumt von Moos und Farnen. Ich vergaß, müde zu sein, fühlte mich trunken von dem Leben, von der Natur, die mich umgab. Gerade begann ich, mich etwas sicherer zu fühlen, da wurde ich jäh vor meine Mutprobe gestellt. Wir waren den schmalen Pfad eines Berghangs hinuntergewandert, ich war ausnahmsweise nicht ausgerutscht und hörte das plätschernde Geräusch von dahin fließendem Wasser – da sah ich „es“: vor uns lag in einer engen Schlucht ein kleiner Fluss, eher ein Bach, aber dieser war nicht zu durchwaten, sondern ein gefällter Baumstamm lag als „Brücke“ über ihm.


Sinaraum war bereits dabei, als Erster auf dem Stamm, den Bach zu überqueren. Panik erfasste mich, als ich sah, dass dieser Stamm mehrere Meter über der Wasseroberfläche unter Sinaraums Schritten bebte. „Das kann ich nicht“, flüsterte ich mit tonloser Stimme zu Michael, „ich kann da nicht rüber!“ Er schaute mich erschreckt an. „Verflixt, daran habe ich nicht gedacht, als ich dieses Dorf für deinen ersten Buschtrip ausgesucht habe“, meinte er ratlos. In mir schrillten Stimmen, ich sah beim Überschreiten des Bachs meinen sicheren Tod vor Augen, ich bebte vor Angst. Aisaip drehte sich um, schaute in meine Augen, und ich sah etwas wie Verstehen über sein Gesicht huschen. Er nahm die anderen Einheimischen am Ufer des Baches beiseite, erklärte ihnen etwas, das ich nicht verstehen konnte, dann kam er zu uns herüber. Emotionslos erklärte er uns, er wolle mit den anderen ein Stück des Weges weiterwandern und auf der nächsten Anhöhe auf uns warten. Als die Gruppe aus dem Gesichtsfeld verschwunden war, hatte Michael schon eine Lösung für mein Problem gefunden. „Ich glaube, ich weiß jetzt, wie du es schaffen kannst“, sagte er und führte mich gleich an der Hand zu dem Baumstamm. Er erklärte mir, wie ich meine Höhenangst austricksen könne. So kam es, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben auf dem Hinterteil rutschend einen Bach überquerte – und selbst dabei stand ich noch Todesängste aus.