Illusionen

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Trostpflaster - Händchenhalter

Vorsintflutliche Krankenhausausstattung

Bunte Mischung zwischen Schwarzen und Weißen

In Madang, unserer kleinen Hafenstadt, gab es keinen Zahnarzt. Zwar hatte das Madang Hospital eine kleine Abteilung, in der auch ein Zahnarzt arbeitete, aber dort war die Ausstattung noch derart vorsintflutlich, dass wir es vorzogen, lieber nach Lae zu fliegen oder zu fahren. Der dort praktizierende neuseeländische Zahnarzt war in seiner Praxis bestens ausgerüstet, vergleichbar mit europäischem Niveau, und man brauchte nicht wie in Madang nach dem Mundausspülen in einen bereitstehenden Eimer zu spucken. Mit Roswitha besprach ich, als für uns beide ein Zahnarztbesuch fällig war, wir könnten zusammen fliegen, in Lae bei Marina und Gunnar übernachten, vielleicht noch beim Saina essengehen, oder bei Paulchen Eiskaffee trinken. Wir malten uns einen gemeinsamen Besuch, auf der Veranda sitzend, in bunten Farben aus, und meine heftige Angst vor dem anstehenden Termin schrumpfte auf ein Minimum.


An einem heißen Morgen brachte uns Michael zum Flughafen in Madang, wo ich erst einmal wieder meine Plakatfolie vom Gästehaus besitzergreifend bewunderte. War das nicht die Idee meines Lebens gewesen? Im Flughafengebäude kamen wir ins Gespräch mit einer älteren amerikanischen Dame. Ich hatte mir immer viel darauf zugute gehalten, ein neutrales Englisch zu sprechen, ohne amerikanischen oder gar australischen Akzent, wurde aber nun eines Besseren belehrt. Die Amerikanerin hielt uns eindeutig für Australierinnen, Roswitha neben mir grinste sich einen ab, als ich die Amerikanerin erschrocken anschaute. Um eine Illusion ärmer bestieg ich neben Roswitha das Flugzeug von Talair.


Wie üblich waren die Passagiere eine Mischung aus Weißen und Schwarzen, die Schwarzen wiederum waren in einer bunten Mischung vertreten, wie es sie wohl nur in einem ethnischen Völkergemisch wie in Niugini geben kann. Ich sah modern gekleidete, selbstbewusste Frauen, offensichtlich auf Geschäftsreise, daneben solche, deren bilums mit Gemüse und Früchten vollgepackt waren. Es wurden Kostüme, laplaps, und Grasröcke nebeneinander in aller Natürlichkeit getragen. Ich entdeckte eine neue Art von Kostüm: einige Frauen trugen geschneiderte, nicht einfach um die Hüften geschlungene laplaps, darüber aus dem gleichen bunten Stoff eine meri blaus, eine Frauenbluse. Genauso selbstverständlich gab es Männer im Lendenschurz mit Federn im Haar neben solchen in Anzügen mit Aktentasche.


Roswitha steuerte zielbewusst auf die Sitze neben dem Notausgang zu. Wie eigentlich immer trugen wir an den Füßen Flipflops, die Art von Sandalen, die in Niugini eben getragen wurde. Entschlossen packte Roswitha auf dem Sitz neben mir aus ihrer Reisetasche feste Sportschuhe aus und zog sie in aller Ruhe an. Auf meine erstaunte Frage antwortete die im Lande Aufgewachsene: „Ja meinst du vielleicht, ich will nach einem Flugzeugabsturz mit Flipflops durch den Busch um Hilfe laufen?“ Meine ohnehin vorhandene Flugangst erhielt durch dieses Verhalten noch einen so kräftigen Schub, dass ich an den Rest des Fluges keine Erinnerungen habe.


Unsere Zahnarztermine nahmen wir zusammen wahr, wobei es für mich wie ein Trostpflaster war, sie fast händchenhaltend hinter uns bringen zu können. Danach gingen wir bei Paulchen unseren Eiskaffee trinken und bekamen den neuesten Klatsch aus Lae gleich mitserviert.


Am Abend versanken wir mit Marina und Gunnar in unserer üblichen Art von tiefschürfenden Gesprächen, wieder einmal „retteten“ wir die Niuginis aus all ihren Nöten. Karl, ein Freund der Familie, der Entwicklungshelfer im Hochland war, erzählte von Ok Tedi, einem Ort nahe der Grenze zum indonesischen Teil Neuguineas, wo man vor kurzem Gold gefunden hatte. Wie immer seien die Niuginis durch weiße Firmen in Verträge eingebunden worden, die sie ausbeuteten. Das Quecksilber, das die Firmen, an denen auch deutsche beteiligt seien, zum Binden des Goldes benötigten, werde einfach in den nahe gelegenen Fly River (5) geleitet, womit die Lebensgrundlage der Anwohner zerstört werde. Er beschrieb den Fundort in einem Flusstal, in dem ständig die Nebelschwaden hingen als einen Ort, an dem man „nicht tot über`n Zaun hängen“ mochte.


Anmerkung (5): s. DVD, Eine Wunde, die nicht heilt, Bernd Dost, Vedra Verlag u. Filmproduktion, www.wedra.com, ISBN 3.93935615-8

Teil 4