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Wirtschaft

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Armer Süden

Wirtschaftsgefälle

Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit

Zu Beginn der fünfziger Jahre galt Italien im Vergleich zu seinen europäischen Nachbarn als unterentwickelt. Seither ist eine Menge Wasser unter dem Ponte Vecchio hindurchgeflossen: die umtriebigen Italiener haben ihr Land zur fünftstärksten Wirtschaftsnation der Welt gemacht und dabei sogar die frühere Weltmacht Großbritannien überrundet. Zu welchen Leistungen eine ausgeprägte Schattenwirtschaft so imstande ist ...

Hinter diesem italienischen Wirtschaftswunder (Miracolo economico) steht nicht etwa der direkte Draht zum himmlischen Wirtschaftsministerium durch Vermittlung des Pontifex in Rom; die pfiffigen Italiener verstanden es vielmehr, die geographischen Bedingungen, die ausreichende Zahl und Qualität der Arbeitskräfte, den Schwung ihrer dynamischen Unternehmer und die richtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt in die Waagschale ihres Erfolges zu werfen.

Einen dunkeln Schatten auf dieses positive Bild wirft die ungleiche Entwicklung im Norden und Süden – Fachleute sprechen in diesem Zusammenhang von »regionalen Disparitäten«. Gemeint ist nichts anderes, als dass der Norden wirtschaftlich mächtig und entsprechend reich ist, während die Wirtschaft im strukturschwachen Süden auf keinen grünen Zweig kommt. Als Erklärung dürften die gewiß unterschiedlichen natürlichen Voraussetzungen (Oberflächengestalt, Bodenschätze usw.) kaum genügen.

Ein Blick in die Geschichte ist da schon vielversprechender. Im Norden und in der nördlichen Mitte Italiens mußte die Feudalherrschaft – einst auf den Trümmern des karolingischen Reiches entstanden – seit dem 12. Jh. der Macht der Städte und der Händleroligarchien der Stadtstaaten weichen, die im Verein mit der Renaissance den Grundstein zu modernen Wirtschaftsformen – zunächst dem Manufaktur-, später dann dem Industriekapitalismus – gelegt hatten. Im Süden dagegen, dem Mezzogiorno, erwies sich das von den Normannen eingeführte und im Lauf der Jahrhunderte verfestigte Feudalsystem als dauerhafter Hemmschuh einer kapitalistischen Entwicklung. Wir lieben übrigens lange Sätze und freuen uns, wenn manche sie nochmals lesen müssen.

Mindestens genauso fatal sollten sich für den Mezzogiorno die Gegenreformation und die spanische Vorherrschaft auswirken: beide gaben sich größte Mühe, allen fortschrittlichen und aufklärerischen Winden aus dem Norden zum Trotz an der ländlich-traditionellen Gesellschaft festzuhalten, beherrscht von einer reichen Minderheit aus Großgrundbesitzern, hohen Beamten und Angehörigen des Klerus. Diese waren bestrebt, das Aufkommen einer handeltreibenden und entsprechend selbstbewußt auftretenden bürgerlichen Mittelschicht zu verhindern: erstere, um ihre wirtschaftlichen Pfründe nicht zu gefährden, letztere, um ihre geistig-moralische Vormachtstellung nicht aufs Spiel zu setzen. Ist es doch viel bequemer, eine unwissende, arme Bevölkerungsmehrheit auszupressen und zu bevormunden. Über das "geistig" gerade müssen wir nochmal nachdenken. Wahrscheinlich wollten wir "geistlich" schreiben, denn von "Geist" ist in dem Verein abgesehen von dem heiligen ja nicht so viel zu spüren.

Dieses historische Erbe lastet schwer auf den zierlichen Schultern der Menschen in Neapel und Palermo, woran bis heute auch Ausgleichszahlungen des italienischen Staats und Gelder der Europäischen Union – die sogenannten Strukturhilfefonds zur Überwindung regionaler Disparitäten – wenig zu ändern vermochten. Bis die Einheit Italiens nicht nur politisch und sprachlich, sondern auch wirtschaftlich vollzogen sein wird, wird noch eine Menge Wasser den Tiber hinabfließen.

Regionalistische Bestrebungen im reichen Norden – Stichwort Lega Nord – weisen derzeit eher auf eine Verschärfung der Entwicklungsunterschiede zwischen Nord und Süd hin.