Fremde Kultur

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Eine eigene Insel im Pazifik

Erinnerungen an Papua-Neuguinea

Von Mondphasen und fünf Metern Senf

Wenn Meryl Streep in dem Film "Jenseits von Afrika" mit dieser wunderbar verträumt-nachsinnenden Stimme sagt "... ich hatte eine Farm in Afrika", zuckt etwas in mir zusammen. Denn ich, ich hatte eine Insel in Papua-Neuguinea.

Wie das klingt: ... Ich hatte eine Insel in Papua-Neuguinea ... Sinub, eine kleine unbewohnte Insel, mit einer Sandbucht im Westen, mit heilen Korallenriffen rundum, mit kristallklarem blauem Wasser, in dem es sich so herrlich Schnorcheln ließ. Sogar ein Buschhaus hatten wir gebaut, in dem man auch mal übernachten konnte. Davor grillten wir unseren Fisch und garten Süßkartoffeln im Feuer. Ab und zu kamen Einheimische mit ihren Kanus, um ihre Yamgärten zu bebauen. Einmal hörte ich einen Mann beim Vertäuen seines Kanus nach Art der Madang-Leute rufen: "O Sinub ooooo!"

Es war ein Ritual geworden für uns, bei Vollmond mit Freunden ein full-moon-barbeque auf Sinub zu veranstalten. Mit hibiskusblütengeschmückten Körben kamen wir an, um dem Mond (und eigentlich war uns allen klar, dass es sich um eine Mondin handelte) zu huldigen; in besinnlich-sinnlicher Stimmung, vom warmen Wind gestreichelt, einander und dem Mond, der Natur nahe.

O Sinub ooooo! Ich hatte eine Insel in Papua-Neuguinea …

War das Glück, Glücklichsein? Kurz vor unserer erneuten Ausreise nach Neuguinea sagte ein Freund, der traurig-wütend war, unsere Freundschaft für Jahre missen zu müssen, zu mir: "Du Aussteiger! Aber das eine merk dir: wohin du auch gehst, du nimmst dich selber mit!" Ich habe es mir gemerkt. Immer wieder, wenn ich in einer Krise war, wenn Heimweh, Traurigkeit und / oder Wut / Ohnmacht in der anderen, fremden Kultur über mir zusammenschlugen, habe ich mich erinnert: wohin du auch gehst, du nimmst dich selber mit.

O ja, ich habe mich erinnert. Wenn meine Tochter zu einer Party eingeladen war und ich ihr verbieten mußte, hinzugehen, weil man abends nicht mehr von unserer Station in die Stadt fahren konnte. Denn jederzeit konnte es passieren, dass da in der Dunkelheit ein gefällter Baumstamm über der Straße lag. Und das hieß Vergewaltigung, Ausraubung, Mord. Da half auch nicht das Verstehen der Umstände: dass hier von der Zivilisation gebeutelte Menschen am Werke waren, deren soziale Strukturen am Zerbersten waren. Es ging um mein Leben und - es schränkte mein Leben ein. Abend hieß: zu Hause bleiben, kein Fernseher, ein intensives Familienleben - und der Mond in seinen Phasen und Stimmungen.

Selten nur, wenn ich mich jetzt auf den Nachhauseweg mache von dem Reisebüro, in dem ich seit einiger Zeit arbeite, und mit von der Klimaanlage geröteten Augen in den Himmel blinzle, huscht in mir schemenhaft die Überlegung vorbei: ich weiß gar nicht, in welcher Mondphase wir gerade leben ... Doch das ist nur ein kurzes Aufflackern, denn schon haste ich los, zwanzig Minuten Abgase auf dem Weg zu Dies-und-Das-und-Jenem, das noch getan, erledigt sein will.

Als ich das erste Mal wieder mit meinen Kindern in Deutschland in einem richtigen Supermarkt einkaufen war, schickte ich meinen Sohn noch eben schnell Senf holen, dort hinten, in der Gegend muß er sein.

Alle drei waren wir bemüht, nicht unsere Verunsicherung vor diesem Superangebot zu zeigen, schließlich, was soll´s, es waren doch nur sechs Jahre vergangen. Der Einkaufszettel war - noch - ein Mischmasch aus Englisch, Deutsch und Pidgin, die Brotsorten überwältigend. Nach endlos scheinender Zeit kam mein Sohn zurück, mit ratlos-hilfesuchendem Blick: "Ich weiß nicht, was soll ich denn da nehmen, die haben hier fünf Meter?!?"

Fünf Meter Senf - inzwischen fasse ich mit sicherem Griff in das Senfregal, ich schlecke ihn auch nicht mehr mit dem Finger, weil ich weiß, verinnerlicht habe, dass ich jederzeit neuen bekommen kann.