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Vor dem 20. Jahrhundert

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Wirtschaftskrise und galoppierende Geldentwertung

Dauerherrschaft der regierenden Christdemokraten dank Antikommunismus

Im Juni 1946 wurde Italien Republik. König Viktor Emanuel III. dankte ab, sein Sohn Umberto II. von der Thronfolge ausgeschlossen. Das politische System Italiens erwies sich seitdem als zugleich stabil und instabil: die Parteien der politischen Mitte fanden sich in ständig wechselnden, kurzlebigen Koalitionen zusammen, zerstritten sich, einigten sich wieder usw. Das System erfüllte jedoch seinen Hauptzweck: die Kommunisten von der Regierung fernzuhalten, neben der Democrazia Cristiana (DC) stärkste politische Kraft des Landes. Korruption und Vetternwirtschaft konnten im Angesicht der äußeren (aus dem Osten) und inneren Bedrohung (durch die KPI) ungestört gedeihen. Kitt der Dauerherrschaft der regierenden Christdemokraten war also ein ausgeprägter Antikommunismus. Der »historische Kompromiß« zwischen PC und DC kam nicht zustande. Immer blieben dieselben Männer oben, wenn auch in wechselnden Konstellationen. Verschleiß- und Degenerationserscheinungen konnten da nicht lange auf sich warten lassen: fünfundvierzig Jahre ohne echten Machtwechsel suchen unter den europäischen Demokratien vergeblich ihresgleichen. Jahrzehntelang konnten sich die Parteien in großen Teilen der Wirtschaft, in der Presse und im öffentlichen Leben festsetzen.

Die historischen Wurzeln der italienischen Malaise reichen übrigens weiter zurück als 1945: »in den Jahrhunderten der Fremdherrschaften, welche die Halbinsel seit dem Abdanken der Staufer zu erdulden hatte, war der Staat nicht mehr als ein Unterdrückungsapparat wechselnder Besatzungsmächte. Ihn zu überlisten gilt bis heute als Nachweis von aufrechtem Gang.« (Der Spiegel, 31 / 1992). Sicherheit, Solidarität und Schutz suchten die Italiener lieber in der Familie.

Eine anhaltende Wirtschaftskrise, die galoppierende Geldentwertung, eine übermäßige Staatsverschuldung, soziale Konflikte, gehäufte Skandale, Filz allerorten und das Ende des Ost-West-Gegensatzes führten 1992 zum Zusammenbruch dieses »bewährten« Systems. Regionale Parteien wie die rechtspopulistische Lega Nord, gewandelte Kommunisten (PDS), Neofaschisten und »neue« Rechte wie die Forza Italia des Medienzars Silvio Berlusconi verbannten die etablierten Parteien zunächst nur auf lokaler, dann auch auf nationaler Ebene in die Bedeutungslosigkeit. Mit Berlusconi, mit 4,5 Milliarden Verbindlichkeiten und 1,5 Milliarden DM Vermögen augenscheinlich völlig überschuldet, tritt das erste Mal in der Geschichte ein einzelner Konzern die politische Macht im Staate an, während Regierungen anstandshalber bisher doch immer allen Konzernen gemeinsam gehörten. War die Verschuldung Hauptmotiv für seinen Eintritt in die Politik? Verwickelt ist Berlusconi auch in Geldwäsche. Schweizer Behörden wiesen die italienische Polizei 1986 und 1991 bereits auf riesige Überweisungen nach Lateinamerika hin. Diese Hinweise wurden in Italien ignoriert (arte Sendung, Mai 1994).

Übrigens: die Italiener feiern alljährlich den »Tag der Befreiung vom Nazifaschismus«, nicht den vom »Faschismus« schlechthin und damit von ihrem eigenen, obwohl sie Erfinder dieser »Philosophie« sind, sich Italiener aller Schichten zwei Jahrzehnte vom Duce begeistern ließen und das Wort selbst von den »fascis«, den Rutenbündeln der Liktoren als Zeichen ihrer Polizeigewalt rührt. Warum, dämmert uns erst jetzt. Bisher hatten wir das naiverweise für eine bloße Auslassung gehalten, heute für eine Frechheit, weil ja wohl ausgedrückt werden sollte, dass mal wieder alle (wie in Frankreich u.ä.) im Widerstand waren, folglich keine Befreiung vom eigenen Faschismus notwendig gewesen sei. Oder? Tatsächlich gab es nie so etwas wie eine Ächtung des Faschismus. Die alte Partei erstand gleich nach dem Krieg als MSI wieder auf, und KP-Chef Togliatti amnestierte als Justizminister der ersten Nachkriegsregierung Tausende von Faschisten. Das »linke« Kulturverständnis verhinderte eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Faschismus und dem Phänomen Mussolini, besser gesagt: dem Phänomen in den eigenen Köpfen, denn was wäre ein Mussoloni ohne Anhänger? Die gleiche Frage stellt sich natürlich auch bei uns bezüglich dieses komischen Österreichers da. Nur zu gern vergaß man, dass Mussoloni über einen Massenkonsens verfügte. In der Geschichtsschreibung galt stillschweigend die Abmachung, eine Beschäftigung mit den Jahren der Tyrannei sei eigentlich diskreditierend, ja unmoralisch. Eine Republik, die sich auf den Sieg über Mussolini gründe, müsse ihre Geisteskräfte auf die Erforschung jenes harten und mitunter heldenhaften Kampfes gegen die Diktatur richten, auf die Widerstandsbewegung der Resistenza.

Eine Volksabstimmung erzwingt 1993 eine Wahlrechtsänderung: statt des Verhältniswahlrechts sollte fortan ein modifiziertes Mehrheitswahlrecht für Stabilität sorgen (Direktwahl von Dreiviertel der Abgeordneten). Schließlich deckten Polizei und Justiz die umfassende Verfilzung von Politik, Staatsapparat und organisiertem Verbrechen auf, was die ganze Führungsriege des Landes bloßstellte. Die von der Regierung 1992 vorgenommen Einschnitte ins soziale Netz des Landes sorgten angesichts schlechter Wirtschaftsdaten für Sprengstoff.

Das Ende der etablierten Parteien war spätestens mit den Parlamentswahlen 1994 gekommen: zum ersten Mal seit Mussolini hielt eine Koalition der extremen Rechten – mit ihrem schillernden Aushängeschild Berlusconi – die Macht wieder in Händen. Die Lega Nord kündigte aber schon bald die Koalition mit der Forza Italia auf, woraufhin Berlusconi zurücktrat. Sein Nachfolger im Amt, der Parteilose Lamberto Dini, bildete eine sich auf die Mitte-Links-Parteien im Parlament stützende »Regierung der Fachleute«, die aber auch nicht von langer Dauer sein sollte: Dini kündigte nach der parlamentarischen Billigung der umstrittenen Rentenreform und des Haushaltsgesetzes für 1996 seinen Rücktritt an. Nachdem auch der parteilose Verfassungsjurist Antonio Maccanicos – dessen Name willkommenen Anlaß zu Witzeleien bot (Maccanico reimt sich auf meccanico, »Mechaniker« – sich erfolglos um eine Regierungsbildung bemüht hatte, in Italien traditionell eine schwere Geburt und immer wieder ein Medienspektakel, löste Staatspräsident Scalfaro das Parlament auf und schrieb Neuwahlen aus, aus denen das Mitte-Links-Bündnis »L´Ulivo« (Olivenbaum) unter dem Bologneser Wirtschaftswissenschaftler Romano Prodi als Sieger hervorging. Dieser für italienische Verhältnisse sensationelle Wechsel – noch nie hatte die »Linke« Parlamentswahlen gewonnen – löste z.T. euphorische Hoffnungen auf einen Neuanfang aus, genährt durch Kabinettsmitglieder wie dem unabhängigen Antonio Di Pietro, der das Ministerium für öffentliche Arbeiten übernahm Aber auch Prodi mußte bald erkennen, dass der Stuhl des italienischen Ministerpräsidenten eher einem Schleudersitz denn einem bequemen Sitzmöbel ähnelt: erste Abstimmungsniederlagen – wegen des Ausscherens der Altkommunisten – ereilten ihn schon im Juli 96. Es bleibt also spannend.