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Der Einheitsstaat

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Erste Schritte nach der Geburt des Einheitsstaats

Verkündung von Marias unbefleckter Empfängnis

Im März 1861 wird Viktor Emanuel II. zum König Italiens gekrönt. Sein Königreich umfaßt neben Piemont und der Lombardei die Romagna, Parma, Modena, die Toskana, das Königreich beider Sizilien, die Marken und Umbrien. Das Problem Venetiens und Roms blieb auch nach dem Tod Cavours ungelöst. Viktor Emanuel II. versuchte 1866, Venetien mit Waffengewalt zu erobern, scheiterte aber kläglich; die Österreicher gewannen sogar die erste und einzige Seeschlacht ihrer Geschichte. Günstigerweise unterlagen die Habsburger zur selben Zeit aber gegen die Preußen in Königgrätz, was zu einem diplomatischen Kuhhandel Anlaß gab: Venedig wurde an Napoleon übergeben, der es an die venetianischen Abgeordneten weiterreichte. Die beraumten eine Volksabstimmung an, bei der 99,9 % für den Anschluß an Italien stimmten. König Viktor Emanuel II. durfte gerührt die Worte äußern: »Das ist der schönste Tag meines Lebens: Italien existiert, wenn es auch noch nicht ganz vollständig ist.« Eine Anspielung auf Rom, wo weder die Franzosen noch der Papst Anstalten machten, ihre Gebietsansprüche aufzugeben.

Auf dem Platz vor dem Palazzo der Propaganda Fide in Rom ragt die Mariensäule empor, die Pius IX. am 8. Dezember 1854 hatte errichten lassen. Der Marienkult und insbesondere das an jenem Tag verkündete Dogma der unbefleckten Empfängnis waren nach Einschätzung des größten Romkenners des 19. Jh., Ferdinand Gregorovius, die Antwort der Kirche auf ihre schwindende weltliche Macht, die Antwort auf die Ausrufung der Republik von 1849 (siehe »Wanderjahre in Italien«, Beck München).

Am 18. Juli 1870 setzt das 21. Ökumenische Konzil noch eins drauf und erklärt die Unfehlbarkeit des Papstes. Offiziel hatten sich die französischen Schutztruppen bereits im Dezember 1861 aus dem Kirchenstaat zurückgezogen, doch bestanden die päpstlichen Truppen weiterhin überwiegend aus Franzosen. Napoleon III. hatte zwei Tage zuvor sinnigerweise Preußen den Krieg erklärt und fand sich schon am 3. September in deutscher Gefangenschaft wieder. Da blieb den päpstlichen Truppen gar nichts anderes übrig, als die Waffen niederzulegen. Rom trat dem neuen Italien bei, wurde dessen Haupstadt, und die Regierung erließ ein Gesetz, die sogenannten »päpstlichen Garantien«, denen zufolge Italien das Existenzrecht einer freien Kirche in einem freien Staat anerkannte. Die Person des Papstes galt weiterhin als heilig. Er ging denn auch keineswegs leer aus: der Pontifex erhält eine jährliche Jahresrente zugesprochen, den Vatikan und den Lateran sowie die Villa Castel Gandolfo und das Recht, eine kleine Streitmacht in Gestalt der Schweizergarde zu unterhalten. Der erzreaktionäre Pius IX. seinerseits strich das Geld ein, zog sich in seinen Schmollwinkel zurück und erkannte den neuen Staat nicht an – bis 1929 jedenfalls. Da nämlich schlossen der Heilige Stuhl und das faschistische Italien die sogenannten Lateranverträge.

Von 1870 bis ins 20. Jahrhundert

Zunächst errichtete man ein parlamentarisches System mit regelmäßigen Wahlen. Keine zehn Jahre nach dem Kampf für die staatliche Einheit geriet die Rechte in die Minderheit und die Linke kam ans Ruder. Italien sah sich damals großen Schwierigkeiten gegenüber: der wirtschaftliche und kulturelle Graben zwischen Norden und Süden wurde immer tiefer, 80 % der Landbevölkerung waren Analphabeten. Zu Beginn des 20. Jhs war der italienische Arbeiter einer der am schlechtesten bezahlten und am meisten ausgebeuteten in Europa, wenn er überhaupt Arbeit fand.

Nach der Vereinigung machte das Bevölkerungswachstum einen Sprung. In dieser Zeit erreichte auch die Auswanderung ihren Höhepunkt. Zwischen 1875 und 1910 wanderten elf Millionen Italiener in die USA und nach Südamerika aus – knapp ein Drittel der Argentinier haben italienische Vorfahren! – wo sie die amerikanische Kultur um einige Besonderheiten bereicherten: Pizza, Mafia, Frank Sinatra ... Was hätten Hollywoods Drehbuchschreiber bloß ohne Gestalten wie Al Capone und andere »Paten« gemacht?

Der Faschismus

Obwohl sie im Ersten Weltkrieg eine militärische Schlappe nach der anderen einstecken mußten, erhielten die Italiener schließlich Südtirol, Triest und Istrien zugesprochen. Eine Schande! Kaufen wir zurück, ha! Nach Kriegsende kam es jedoch zu Streiks und Regierungswechseln.

Vielen ist es nicht bewußt, aber die "Erfinder" des Faschischmusses sind nicht die Deutschen sondern die Italiener. Aus entwurzelten Soldaten und frustrierten Kleinbürgern formte Benito Mussolini die faschistische Bewegung und seine Schwarzhemden, die zum Prototyp des europäischen Faschismus wurden. Nach dem Marsch auf Rom 1922 errichtete er mit kirchlichem Segen eine nationalistische Ständediktatur, die dafür sorgte, dass in Italien endlich die Züge pünktlich fuhren. Wer sich nicht anpaßte, wurde ermordet oder in abgelegene Landesteile verbannt. Immerhin hatte der italienische Faschismus anfangs wenig mit Antisemitismus am Hut. In den dreißiger Jahren stürzte sich Mussolini in eine Reihe sinnloser militärischer Abenteuer (Eroberung Albaniens und Abessiniens unter Einsatz von Giftgas, Angriff auf Griechenland), die ihn auf Gedeih und Verderb an den Verbündeten Hitler banden. Je deutlicher die Abhängigkeit vom Großdeutschen Reich wurde, um so offener wurde der Widerstand im Land. Als der faschistische Großrat Mussolini 1942 stürzte und den Krieg beenden wollte, besetzte die Wehrmacht kurzerhand das Land. 1943 landeten die Amerikaner auf Sizilien und rollten die »Festung Europa« von unter her auf. Mit Mussolini machten die Partisanen kurzen Prozeß.

Nach dem Zweiten Weltkrieg befand sich Italien in einer ähnlich jämmerlichen Lage wie das zerstörte Deutschland. Der neorealistische italienische Film der Nachkriegszeit vermittelt ein getreues Bild jener Zeit, in der erneut zahlreiche Italiener ihr Glück in der Fremde suchten, diesmal in Frankreich und, ab den sechziger Jahren, in Deutschland.