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San Polo & San Croce

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Kunst und Kultur am Canale Grande

Santa Maria dei Frari, touristisches Pflichtprogramm

Dort, wo der Canal Grande seine größte Schleife beschreibt, finden wir die beiden touristisch voll erschlossenen Viertel - freilich nur im Umkreis der Hauptsehenswürdigkeiten und auf der Gerade San Marco-Piazzale Roma. Aber selbst hier bieten sich, wie überall in Venedig, kleine Fluchten in eine melancholische Einsamkeit, die besonders nachts so anziehend wirkt.

Santa Maria dei Frari: Campo dei Frari; Zutritt von 9-11.30h und von 15-17.30h (sonntags nur nachmittags). Santa Maria dei Frari zählt zu Recht zum touristischen Pflichtprogramm: schon allein deshalb, weil sie die größte ist. Begonnen wurde mit dem Bau 1338, heraus kam ein gotisches Backsteingebäude samt hohem Campanilen mit quadratischem Grundriß. Auf dem Weg zu San Rocco die Chorhaube beachten, der baugeschichtlich älteste Teil der Kirche. Das Kirchenschiff liefert eine Abfolge der bedeutendsten Kunstwerke Venedigs und eines der schönsten Gemälde der Welt. Aber nur der Reihe nach: zunächst einmal thront eine »Mariä Himmelfahrt« Tizians aus dem Jahre 1516 über dem Altar. Loderndes Farbenspiel - allein das Rot ist fantastisch! - ein erhabener Aufstieg himmelwärts, grazile Gesten und Bewegungsabläufe, dekorativ drapierte Gewänder ... Die Putti, so nennt man die pausbäckigen Engelchen, wurden in der Folgezeit fleißig nachgeahmt. Das religiöse Erstlingswerk Tizians verblüffte die damalige »Kunstszene« durch seine freie Interpretation. Die Hl. Jungfrau wird nicht als bittende Figur mit gefalteten Händen dargestellt, sondern, ganz im Gegenteil, aufgeblüht, voller Liebreiz, mit geschmeidigem Körper, der ein Bad in den Lichtstrahlen nimmt und sein von menschlichen Zügen geprägtes Antlitz Gott Vater zuwendet. Es heißt, Tizian habe sich sein Werk häufig dann noch einmal angesehen, wenn es ihm an Inspiration fehlte.

Nicht ohne auch die 124 geschnitzten Chorstühle (von 1468) und die Renaissance-Chorschranke. Links vom Altar das Grab Monteverdis. In der ersten Kapelle rechts »Johannes der Täufer«, eine polychrome Statue Donatellos; in der dritten Kapelle rechts eine »Jungfrau mit Kind« - doch, so etwas gibt´s - in Gestalt eines Polyptychons Vivarinis.

Und das geht in der Sakristei gerade so weiter: hier fesselt eine »Hl. Jungfrau auf dem Thron« unsere Aufmerksamkeit, ein Triptychon Giovanni Bellinis (1488). Auffällig, dass die Gottesmutter eine zugleich gefügige und »moderne« Mine aufsetzt. In ihrem Blick liegt fast so etwas wie Skepsis. Der Tür gegenüber ein im uferlosen Barock schwelgender Reliquienaltar.

Im Kapitelsaal nebenan wird religiöse Goldschmiedekunst gezeigt. Auf der Konsole links der »Doge vor der Jungfrau Maria« von Paolo Veneziano (1139; ältestes bekanntes Gemälde mit Widmung). Auf der alten zeigerlosen Uhr stellen eine ganze Reihe von kleinen Figuren die verstreichende Zeit dar.


Apropos: etwas Zeit sollte man sich für den Dreifaltigkeits-Kreuzgang schon nehmen, den Palladio malerisch ausgestaltet hat. Herrlich auch der von einer eleganten Balustrade nach oben abgeschlossene Portikus, der sich weiß von den roten Ziegeln abhebt. Im 18. Jh. fügte man den statuenbewehrten Monumentalbrunnen hinzu.

Wieder zurück ins Kirchenschiff: ganz hinten findet sich die Grablege Tizians, gegenüber ruht Canova. Tizian, dem die Kunst soviel verdankt, hat's unserer Meinung nach mehr verdient. Zum Grabstein Canovas ist noch zu bemerken, dass dieser ihn dereinst selbst entwarf. Gedacht war er anfänglich aber für Tizian. Die Schüler Canovas reklamierten das Werk dann aber für ihren Meister. Übrigens ruht nur sein Herz unter der Pyramide. Den ersten Preis für großartige Gesten in der Grabkunst verleihen wir, ohne eine Minute zu zögern, dem Dogen Giovanni Pesaro (rechts von Canova). Die kräftigen Gestalten der Schwarzen biegen sich bedrohlich unter dem Gewicht des Grabsteins ' wenigstens erleichtert ein Kissen ihnen die Bürde.


Nebenan zieht ein weiteres Meisterwerk Tizians die Aufmerksamkeit auf sich: die »Madonna di Pesaro«. Wieder wird der Meister innovativ tätig, indem er der Gottesmutter nicht den zentralen Platz einräumt. Ansonsten bietet das Gemälde ein Feuerwerk der Farben; dargestellt werden Jacopo Pesaro und dessen Anhang, wie sie sich bei der Hl. Jungfrau für den Sieg über die Türken in der Seeschlacht bedanken. Im Halbschatten zeichnen sich die umrißhaft die Turbane zweier gefangener Mauren ab. Was wäre die Welt ohne Bösewichte ...

Scuola Grande di San Rocco: Campo San Rocco; nur wenige Schritte von der Santa Maria dei Frari. T. 523 48 64. Einlaß von 9-13h, an Wochenenden 10-16h. Die am reichsten bestückte Scuole Venedigs. Mit etwa fünfzig seiner Werke entpuppt sie sich als Huldigungsstätte für das Schaffen Tintorettos. Errichtet wurde die Scuola zu Beginn des 16. Jhs, teilweise finanziert von reichen venezianischen Bankern, die sich auf diese Weise vor der Pest zu schützen hofften. Schon die von korinthischen Säulen gegliederte Fassade weiß zu gefallen.


Um nicht lange um den heißen Brei zu reden: das Meisterwerk aller Meisterwerke, die »Kreuzigung«, hängt im ersten Obergeschoß in einem riesigen Saal. Kein Kunstfreund, der hier nicht ins Schwärmen geriete! Tip: sich die Gemälde im Erdgeschoß für den Schluß aufheben, um ganz unverbraucht und unvoreingenommen besagter »Kreuzigung« gegenüberzutreten. Die künstlerische Schockwirkung ist garantiert! Dieses Gemälde strahlt Kraft und intensive Dramatik in einem bisher unbekanntem Maß aus: die Farben, ja der Geruch des Todes; der schwer dräuende Himmel, dessen Licht als Kontrast die Morbidität der Szene immerhin etwas auflockert. Fast genial zu nennen, die perspektivischen Effekte und die außerordentliche Raumwirkung. Rhythmus und Farbgebung sind auch nebenan, im »Aufstieg zum Kalvarienberg«, bemerkenswert, besonders wegen der gezackten Linienführung. Dagegen wirkt die Szenerie in »Christus vor Pilatus« wie erstarrt. Decke und Seitenwände des weitläufigen Saals wurden von Tintoretto eigenhändig mit Episoden aus dem Alten Testament bemalt. Nicht entgehen wird einem sicherlich die »Mariä Verkündigung« Tizians und das Jugendwerk Tiepolos, »Die Engel besuchen Abraham«. Im Erdgeschoß schließlich ein ganzer Zyklus bildlicher Umsetzungen des Neuen Testaments von der Hand Tintorettos (u.a. »Die Flucht aus Ägypten« und »Die Anbetung der drei Weisen aus dem Morgenland«).


Der Scuola gegenüber die bescheidene San Rocco-Kirche, wo die Gebeine des Hl. Rochus ihre letzte Bleibe gefunden haben.