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Schein und Sein

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Orientierung in Venedig

Ungezieferbefallene Plätze

Unseres Wissens ist der beste Stadtplan der Tabacco mit rotem Titelblatt (Edizioni Storti). Das ist einer der vollständigsten; die anderen geben nicht einmal ein Drittel der Straßennamen an. Venedig zählt nicht weniger als hundertfünfzig Kanäle, überspannt von annähernd vierhundert Brücken.

Eines ist zu berücksichtigen: mit dem Wechsel der Tageszeiten und der Sonnenspiegelung im Wasser verändert sich das Aussehen so manchen Ortes (sehr zur Freude von Claude Monet). Um sich eine Anschrift zu merken, am besten ein paar Orientierungspunkte im Kopf notieren, z.B. ein Denkmal, den Namen eines Lokals oder eines Ladens. Ja, und nicht vergessen, dass nichts einem Kanal mehr gleicht als ein anderer Kanal! Überhaupt muß man jede Fußtour zu verschiedenen Tageszeiten wiederholen: man sieht nämlich nie dasselbe zum zweiten Mal. Venedig ist nicht umsonst eine Wonne für alle Impressionisten ... Es lohnt sich auch, morgens früh aus den Federn zu hüpfen und die Stadt zu erkunden, wenn sie noch den Venezianern gehört.

Einige Begriffe, mit denen jeder sich noch vertraut machen wird: Fondamenta ist ein Kai, Sottoportego ein Durchgang unter einem Haus, Salizzada eine gepflasterte Straße, Ruga eine Geschäftsstraße, Rio terrà ein aufgefüllter Kanal und schließlich der Campo, der Platz, und der Campiello, die kleinere Ausführung.

Verwirrend für den deutschen Ordnungssinn: die Numerierung der Häuser folgt keinem klar erkennbaren logischen Prinzip. Wer die angegebene Adresse nicht da findet, wo sie eigentlich sein sollte - nicht verzagen und in der näheren Umgebung nachforschen. Das dem Neuankömmling reichlich chaotisch erscheinende System orientiert sich nämlich an Stadtvierteln und Pfarreien: S. Tomà, SS. Filippo e Giacomo usw. Das ist der erste wichtige Hinweis, da die Numerierung nach Vierteln und nicht nach Straßen erfolgt! Anschließend folgt die eigentliche Straße, von der die kleineren Gassen ausgehen. In diesen läuft die Numerierung der Häuser dann weiter. Klingt aber komplizierter, als es in Wirklichkeit ist. Wer sich länger in Venedig aufhält, sollte sich den (allerdings kostspieligen) Nuovo Indicatore Anagrafico di Venezia besorgen, in dem die Hausnummern jeder Straße aufgelistet sind.

Stadt der Tauben und des Nepps

Dass auf der Piazza San Marco reichlich gurrendes Federvieh zu finden ist, hat sich inzwischen herumgesprochen. Eine andere massenhaft vorhandene Vogelart ist der Pigeonus turisticus, der sich leider allzu bereitwillig rupfen läßt.

Als Symbol des weltweiten Tourismus hat sich die einstige Handelsrepublik zur Handelsdiktatur gewandelt, in der alles dem Tanz ums goldene Kalb frönt. Die Beliebtheit Venedigs hat die Preise in unchristliche Höhen getrieben. Leider keine Übertreibung: die erschwinglichen Adressen sind wirklich Mangelware geworden. Wie im übrigen Italien sind die Preise in den letzten Jahren steil in die Höhe geschnellt, aber Venedig schießt wirklich den Vogel ab. Ein Beispiel unter vielen: das Hotel, das seine winzigen Kämmerchen mit Dusche auf dem Gang für satte 180 Euro vermietet, oder das einfallslose Restaurant, das für einen mickrigen Fisch aus der Tiefkühlschatzkammer ohne Beilage schlappe vierzig Euro verlangt.

Gewiß sind nicht alle so dreist, aber die zahlreichen Klagebriefe, die uns erreichen, bezeugen, dass diese bedauerliche Entwicklung in Venedig grassiert wie die Pest. Fragt sich nur, wie lange das noch gutgeht. Andere Beispiele für Nepp sehen so aus: zwangsweise Vollpension, von der nirgendwo die Rede war, billige Gerichte, die zu völlig willkürlichen Uhrzeiten gereicht werden, nur dann nicht, wenn man ankommt, kostenloses Wasser und Brot nur für Gruppen usw. Die allgemeine Verschlechterung des Komforts in den Hotels und des Essens in den Lokalen bewegt sich in umgekehrtem Verhältnis zum Preisanstieg. Überdies sind zuvorkommende Bewillkommnung und Bedienung wohl überhaupt nicht mehr angesagt. Das einst typische italienische Lächeln ist so selten geworden wie die Fische im Canal Grande. Hinter den Augen, hinter der Stirn blinken nur Dollarzeichen. Dieses katastrophale Bild entspricht dem Zustand des heutigen Venedigs. Natürlich weisen wir im folgenden auf die wenigen Ausnahmen hin, die paar aufrechten und netten Venezianer, die sich bemühen, zu fairen Preisen Qualität zu bieten. Aber es sage keiner, er sei nicht gewarnt worden. Allzu viele Leser schieden enttäuscht, verbittert und gerupft von der Lagunenstadt.

Bei Befolgung einiger simpler Regeln kann man das Schlimmste vermeiden: die Hotelzimmer vorher besichtigen, die teuren Viertel (San Marco, Rialto) meiden, die Speisekarten vergleichen, erst nach dem Preis des Gerichts fragen und sofort die Flucht ergreifen, wenn man Nepp wittert. Höflichkeit ist wahrlich unangebracht, anders spüren die Nepper einfach nicht, dass sie mit ihren Methoden das Huhn schlachten, das ihnen goldene Eier legt und eigentlich die schönste Stadt der Welt ist.