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Religion

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Jungfrau von Quito

Quito –Stadt der Liebe

Eben wieder bei Pharao auffem Dach.

Bewaffnet mit Bananenkuchen und Obst. Gibt doch nichts Schöneres, als Hunden, die von ihren Herrchen zu kurz gehalten werden, mit einigen Leckereien das Leben zu versüßen. Der Bananenkuchen ist übrigens der Beste der Welt, saftig, rührig, kuchig, fruchtig, einfach umwerfend. Ne herzhafte Portion gibt´s beim Bäcker um die Ecke für 20 Pfennige, wenn man das mal so neu-europäisch sagen darf.

Leg Pharao also die Herzlichkeiten ins Töpfchen, streichel ihn und mach ihm das Gute schmackhaft: Hmm. Leckerchen! - Wie so oft, wenn man´s dann so besonders gut meint, fressen die dummen Dinger nix, riechen kurz dran, nehmen´s auch vorsichtig in den Mund, aber dann wird´s wieder ausgespuckt, und blöd mit den Hundekulleraugen in der Gegend rumgesucht - ist dem Herrn also nicht Recht, was?

Aber Pharao ist da anders, Pharao ist ein Guter, ein richtig fleischiger Pitbull, der als Kind wahrscheinlich heftigst geschrien hat, als man ihm die Ohren abschnitt. Heute ragen da oberhalb der Stirn noch zwei minimale Dreiecks-Stümpfe raus, weh tut´s ihm aber nicht mehr, er ist knuddelig weich, wenn man ihn anpackt. Es gibt ja eigentlich fast nichts Herrlicheres als Hunde so richtig durch zu wühlen, ihnen ins Fell zu greifen, zu schnuseln und zu drücken. Die Dinger lassen alles mit sich machen und gucken auch noch so herrlich verliebt. Und als Belohnung hat Herr Ramses an diesem Morgen auch noch mit Genuß meine Fresschen verspeist, wäre auch zu schade um den guten Bananenkuchen gewesen. Braver Pharao, bist ein Guter!

Nach der Stärkung sollten wir mal nen Blick in die Runde werfen, von unserem Flachdach aus, jetzt am hellichten Mittag. Auf dem Flachdach selbst das übliche Bild, Bewehrungsstäbe ragen wie Büschel aus den Grundpfeilern heraus, hier soll, könnte, dürfte irgendwann noch mal ne Schippe drauf gelegt werden. Neben den Mauerresten, gut portioniert, Pharaos Häufchen. Der Gute geht im Monat so oft spazieren wie er Zehen an einer Pfote hat, wenn´s hochkommt! Gassi gehende Hunde sind hier noch seltener als Kinderwagen, ein Ratio von frei herum streunenden zu Leine von 10:000 zu 1.

Trotzdem macht Pharao nicht auf Kafka-Schwermut und springt fröhlich um mich herum, während ich mir Moloch Quito bei Tage ansehe. Ganz im Süden auf dem kleinen vulkanischen Hausberg der Quitorianer, die "kranke Schwester", wie sie hier semiabfällig genannt wird. Ein fast 100 Meter hohes Jungfrauding aus Stein, die entfernt an die vom neuen York erinnert. Krank ist sie deshalb, weil sie ein bisschen schief dasteht, so wackelig daher kommt, als ob sie zu viel vom Einen und vom Anderen gekostet hätte.

Hauptsache die "virchin", wie man im Spanischen so schön sagt, beschützt und bewacht die Stadt. Das tun sie auch im Kleinen überall, wie so häufig in den südländischen Ländern und deren Verbreitungsgebiet stiehlt Mutter Maria Jumbo Jesus die Schau, dazu kommen hier in Ecuador unzählige Variationen des heiligen Kindes, und sonstiger seltsamer Gestalten, die aber zumeist von Frauen fleißig bekreuzigt werden.

Quito-Jungfrau steht symbolisch auf einem Drachen, einem der Lieblingsmotive europäischer Christen, die damit zeigen wollen, wie sehr sie die primitive Magie besiegt haben. Pharao (schon länger) und ich (nach vielen Beobachtungen und Gesprächen) wissen beide, dass das hier nicht gelungen ist und wohl auch nie gelingen wird. Die Kolonisatoren haben nicht nur bei vielen Häusern die alten Steine der Indios und Inkas benutzt, ihre neuen Prachtbauten einfach aufgepfropft. Sie haben auch, genau wie im europäische Mittelalter, sämtliche pagane Vorstellungen mit in ihr Gerüst mit eingebaut. Im Gegensatz zu Europa haben sie das Alte hier aber nicht zerstören können, der Drache spuckt noch, atmet noch und durchzieht den Geist dieses Kontinentes.
"In Europa ist nach 2000 Jahren alles platt", sag ich sanft zu Pharao. "Keine Hexen mehr, keine Drachen mehr, keine Augen mehr für das Nicht-Sichtbare. Da ist dieser Geist wie ein Bulldozer über die Ebenen und hat alles planiert."

"Kann uns hier nicht passieren", rülpst Pharao und verzieht sich in ne Ecke zum Pinkeln.

In Europa glaubt man gerne, dass der Papst nach Südamerika fliegt und dort den dummen, blöden Indios irgendnen Scheiß erzählt, den diese dann bedingungslos fressen!

Welch eine Mär!

Die Leute sind hier genau so aufgeklärt, genau so handysiert und gestört sexualisiert wie die Menschen in Europa oder sonstwo. Sie glauben an die "Virchin", aber lange nicht so streng wie dies vor allen Dingen in Italien der Fall ist. Die meisten hier sind katholisch und als solche von jeher lasch mit den Geboten und Gesetzen. Meine Gesprächspartner argumentierten nicht anders, als der 20-jährige Student aus Bamberg oder die Zahnarzthelferin aus Lübeck. "Also gut, geh ich halt in die Kirche, und klar, glaub an die Jungfrau. aber was soll´s, mal im Ernst, ich mach danach die Tür zu und aus ist. Die Leute glauben hier nicht mehr dran, nirgendwo auf der Welt. Wir sind lange genug unterdrückt worden. OK, die Alten, und die Menschen auf den Dörfern, aber hier in der Stadt nimmt der Einfluss deutlich ab."

Was mir dazu einfällt: Ich kenne keine Stadt der Welt, nicht einmal Paris, du süß schmeckende Illusion, in der so viele Pärchen, Händchen halten, knutschend, auf dem Rasen liegend, verzaubernd scherzend die Blusen durchforstend durch die Parks und Straßen marschieren wie Quito. Schon die 12jährigen halten einander fest, und es ist eine wahre Hormonfreude, den Verliebten dabei zuzusehen. Keine Spur von Scheu. In der Türkei wären diese Menschen tot, in Italien zumindest moralisch geächtet.

"Ich könnt auch mal ne Wauwine gebrauchen", mischt sich Pharao ein. Das glaub ich, so ein Leben auffem Dach bringt keinen Austausch, höchstens per Gebell kann geflirtet werden, ne ziemlich Tyrannei für einen ecuadorianischen Macho. Machismo-Sein ist hier so was wie ne gute Schule: Es gibt keinen Mann, den man auf die in Reiseführern so häufig zitierte Behauptung, dass die Männer hier mehrere Frauen haben, verweist, der nicht schelmisch zurück grinst, und mit der Mischung aus iberischem Stolz und männlicher Selbstgewissheit zu verkünden weiß, dass dies tatsächlich der Fall ist. Neben dem "casa grande", also der normalen Familie, herrscht hier auch noch öfter die "casa chica", die Geliebten-Familie vor; schon die 16jährigen versuchen bei diesem absonderlichen Weglaufen mitzumachen.

Mit Pharao zum Mond

Chick, Chick

Ganz andere Arten der koitalen Kommunikation hegen hingegen die Frösche, die überall ums Haus herum verteilt leben und Chick Chick machen. In den ersten Tagen machten uns die knackenden, schlagenden Geräusche noch stutzig, dann brachte ein Mini-Rana im Haus den Beweis. Nur die Frage bleibt: Wie pflanzen sich diese Ur-Amphibien eigentlich ohne Wasser fort? Im Schlamm der Erde?

Bald werden sie, genau wie Pharao aus unserem Hör- und Blickfeld verschwinden, unsere Tage in Quito sind fast gezählt. Vorbei die Annehmlichkeiten des Industrielebens mit Waschmaschinen-Teilbenutzung, meistens warmem Wasser, vier kleinen Gas-Kochplatten, nem Kühlschrank, einem Klo und: einem Fernseher! Selbst der größte TV-Feind muss bei 80 Kanälen was finden, und wenn Dirk Nowitzki live, Champions-League live, die umwerfenden New Orleans Saints live serviert werden, dann kann auch ein Mufflon seine Freude daran finden, aber hee, immer locker bleiben, vermisst wird das Ding von allem dann doch als Letztes.

Vor allen Dingen dem Deutsche-Welle-TV trauer ich nicht nach, dem Kanal, den man in Deutschlandien ja gar nicht sehen kann. Wer doch mal in den Genuss kommt, sollte unbedingt bei den Nachrichten auf deren Sprecher Olaf Ludwig achten, der aussieht wie die reinkarnierte Mischung aus Goebbels und Himmler und sich auch ebenso verhält. Vielleicht kann aus der Ferne besser verstehen, warum viele Fremde so ein erschwertes Bild von Deutschland haben ...

Wenn wir gute Sicht haben, also genau so oft wie Pharao im Monat Gassi geht, dann sehen wir tief unten im Süden den Cotopaxi, das ist der höchste aktive Vulkan der Welt bei fast 6000 Metern. Auch im Westen und Norden sind die schneebedeckten Könige zu sehen. Stellt man sich auf Quitos Hausberg, kann man bei guten Wetter 40 Vulkane sehen, einen Anblick den es sonst nirgendwo auf der Welt gibt - eine Einladung für alle Vulkanisten und Geologen.

Pharao war noch nie auf einem Vulkan, er ist selbst einer. Ein Kraftpaket, das dennoch so heftigst geknuddelt werden darf, dass, würde man dies mit seinem Liebsten oder Liebsten machen, es zu unangenehmen Folgen führen würde. Bei Hunden darf man das: So richtig reingreifen und durch schmarotzen - fantastisch!

Wenn wir beide nach oben blicken, dann wissen wir, wo die wirkliche Kraft herkommt. Logo, Pharao läßt sich überhaupt nicht auf meine schwermütige Religions-Destruktionen ein. Wie alle Caninen blickt er hoch und weiß, wie ich, jetzt am Mittag kurz nach Neumond, dass wir uns einige Grad nach Westen von der Sonne bewegen müssen und schon blicken wir ins Antlitz des Trabanten, auch am Tage ist dies möglich.
Heute versperrt das übliche Wolkenmeer, das über uns regiert, zumindest mir die Sicht. Pharao nicht.
Pharao ist ein Kind des Drachen und sieht den Mond nicht physisch, nicht chemisch und schon gar nicht biologisch. Er sieht ihn einfach.