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Quito

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Höhentrainig

Sklaventriangel

Beobachtungen ganz in der Nähe der Mitte der Welt (el midad del mundo), ungefähr eine Autostunde entfernt.

Dem Äquator so nahe ist der Mensch der Sonne mehr als anderswo ausgesetzt, die Höhe von knapp 3000 Metern tut ihr übriges. Täglich kämpft die gelbe Göttin gegen unzählige Wolken, die jeden Tag ein Wechselbad der Temperaturen und meteorologischen Statements erzeugen. Kommt die Sonne am blauen Himmel durch, brennen die Strahlen wie kleine Feuerschwerter auf der Haut, trotz und vor allem ohne Sonnenschutz (bitte nehmen Sie zumindest am Anfang den höchsten Faktor, den Sie kriegen können) wird der Europäer rot, bewegt er sich dabei erkundend durchs Städele wird er zudem mächtig müde und kaputti.

Der geringere Sauerstoffpartialdruck sorgt obendrein für stockendes Keuchen, die geringere Sättigung an Sauerstoff verlangt eine schnellere Atmung und kann erst nach einigen Wochen so ausgeglichen werden, dass man sich nach einem kleinen Anstieg nicht mehr ausgelaugt fühlt. Ganz anpassen kann sich der Mensch an die Höhe aber nicht. Humanökologisch kann Homo Sapiens selbst im höchsten Norden an Kälte, sowie in entsprechenden Regionen an Hitze adaptieren, Höhe hingegen ist nur begrenzt assimilierbar. Biologisch äußert sich das darin, dass in Städten wie Quito oder La Paz kleinere, weniger resistente Menschen leben, die Säuglingssterberate und die Lebenserwartung, unabhängig! von der ökonomischen Situation des Landes, sind vergleichbar schlechter als irgendwo anders auf der Welt.

Für späte November-Tage herrscht hier dennoch kein Grund zur Trauer, ganz im Gegenteil, es ist selten, und dann auch nur nachts unter 10 Grad, und tagsüber, obsiegt der gelbe Feuerball, fühlt es sich bisweilen an wie 35 Grad. Auf Happy Sunshine Days kann man sich hier aber nicht verlassen, und man sollte bei jedem Außer-Haus-Flug ein paar weitere Zwiebelschichten mitnehmen, denn kommen die Wolken, kommt die Frische.

Die Augen der Menschen sind abgrundtief dunkel, kleine Sterne leuchten wie funkelnde Diamanten im Zentrum. Blauaugen gibt es nicht, nicht ein einziges Paar, dafür aber eine deutlich wahrnehmbare Varietät der hiesigen Population. Neben ursprünglich amerikanischen Völkern, den Indios (über 50 Prozent in Ecuador), gibt es die Mischlinge oder Mestizen (entstanden aus Mischbeischlafungen von Einwanderern und Ureinwohnern) und einem nicht zu unterschätzenden Anteil von Schwarzen, oder ganz korrekt: Farbigen (wobei diese unsinnige Loyalität hier, wo alles farbig ist, seine ganze Absurdität offenbart). Es ist nicht weiter verwunderlich, und muss auch nicht explizit erwähnt werden, dass die Mestizen in allen ökonomischen und politischen Bereichen den Hauptteil der Macht innehaben, Bettelnde, Kranke, Arme (und davon gibt es hier in einer Stadt mehr als in ganz Mitteleuropa zusammen) sind hauptsächlich Indios. Schwarze können sich wie überall nur in besonderen Kulturbereichen prädestinieren (die ecuadorianische Fußballnationalmannschaft, die gestern zur großen Tristesse des Volkes 1:5 gegen Paraguay verlor, besteht zu 90 % aus Schwarzen).

So weit weg von zu Hause, darf man sich dann endlich mal die Frage stellen, warum und wie die verschiedenen Menschentypen, die alle das gleiche Herz tragen, sich hier und dort vermischen, und schnell wird einem klar, dass Schwarze überall in der Welt deswegen eingebürgert sind, weil sie dort als Sklaven eingeführt worden sind. Auch wenn das historisch klar ist, ist es, wird es einem bewusst, doch erschreckend.

Dazu eines von unzähligen Beispielen. Als man im 17. Jahrhundert auch in Brasilien Gold entdeckte, sorgten die weißen Kolonialherren dafür, dass ein regelrechter Schwarm von Sklaven aus Westafrika in die entsprechenden Minen an der Ostküste Brasiliens transportiert wurden. Dort kamen Millionen in den Minen um, eine entsprechende Durchschnittslebensdauer dort wurde mit vier Jahren kalkuliert. Das Einzige, was man ihnen zubilligte war eine Taufe vor Betreten des Landes, verbot ihnen aber in den Kirchen, sich auf die jeweiligen Bänke zu setzen, geschweige denn in Altarnähe zu kommen.

Durch die Entdeckung der neuen Welt setzte das so genannte Sklaventriangel ein, das von 1500 bis 1880 (oder bis wann wirklich?) Millionen Menschen aus Afrika in die fruchtbaren Zonen Lateinamerikas schaffte, um sie dort, weil besser ausbeutbar und körperlich kräftiger als die Indios, auf Plantagen arbeiten ließ. Zucker, Kaffe, Kakao und andere neu entdeckte Reichtümer sorgten dafür, dass ganze Regionen (die Karibikinseln sind lebendes Beispiel) der Monokultur zum Raubbau fielen.

Wer heute in Ecuador Kaffee oder Kakao kauft, wird schlechtere Ware bekommen als in Mailand oder Brüssel. Das liegt an einem Logistik-Netz, das nach wie vor von Europäern beherrscht wird, das zwar keine Sklaven, aber immerhin Hungerlöhner engagiert, die diese Waren produzieren. Das ganze Zeug wird nach Europa geschifft, und der Abfall gelangt von dort dann wieder hierhin.

Diese extreme ökonomische Abhängigkeit ist überall in der Stadt spürbar. Stundenlöhne liegen bei circa ein bis zwei Dollar, also 70 Eurocent! Ein Besuch beim Friseur kostet ein Dollar, in der Bäckerei kann man sich die Tüte mit 40 Cent richtig Vollladen, ein Mittagessen gibt´s für unter ein Euro. Viele fliegende Händler verkaufen scheinbar unnötiges Zeug wie Wäscheklammern, Räucherstäbchen, Bonbons und andren Kram für wenige Cent auf der Straße. Diejenigen, die sich, aus was für Gründen auch immer, auf der Karriere- und Geldleiter nach oben geschafft haben, ziehen in "echte" Häuser und leben in Vierteln, die von einer 24-Stunden-Seguriad (Nachbarschafts-Wachen) abgesichert werden. Die Häuser dort weisen zum Teil obskure Begrenzungen auf. Alle Zäune oder Gitter sind an ihrem oberen Ende mit aus Metall gegossenen Nägeln oder Spitzen versehen, im Mittelalter hätte man gesagt, wer hier näher kommt, wird gepfählt. Besonders symbadisch ist die Idee, in den noch frischen Putz einer hochgezogene Mauer Glasscherben-Reste, die wir sonst nur von Dorfdisko-Pöbeleien kennen, einzuzementieren, so dass den interessierten Einbrecher eine Scherben-Reihe erwartet, die schon gedanklich Aua verursacht.

Wer Erich Fromm kennt und sein großartiges buch "Haben oder Sein" gelesen hat, muss hier dennoch oder gerade deshalb ganz andere Maßstäbe ansetzen. Denn das Haben bedingt das Sein und philosophische Pseudo-Gutherzigkeiten interessieren im Kampf ums Dasein nicht; können sie auch nicht, wenn der Neunjährige die Schuhe putzt und die Lehrerin die zwei Dollar, die sie sich von dir geliehen hat, erst am Ende der Woche zurückzahlen kann, weil es dann Lohn gibt.

Echte Menschen

Die Schuhe übrigens müssen besonders blank sein, wenn der Besuch der Kirche ansteht. Das einzige Gold, was die Weißen den Indios gelassen haben, steckt in den unzähligen Kirchen dieser Metropole, eine bezaubernder, schöner, bunter, aufregender und vielfältiger als die andre. Für die Menschen hier ist die Religion unentbehrlich und wichtigster Bestandteil des sozialen Lebens. Mit 15 Mann auf dem gebraucht gekauften amerikanischen Pick-Up wird vorgefahren, eingetreten, die Kinder dürfen schreien, spielen, malen, die Musik kommt nicht von der Orgel und dem tonsierten Eunuchen, sondern schwungvoll von der selbst gespielten Gitarre oder vom CD-Spieler, im innigsten Gebet, klingelt das Handy, das nicht aus Scham abgestellt wird, sondern neben murmelnden Ritualsformen, bearbeitet wird. Die SMS im Ave Maria!

Ein jeder kommt und geht, wann er will, ein kunterbuntes Durcheinander, herrlich, wenn da nicht die Anbetung es Leidens wäre ...

Was auch immer sie tun, sie tun es hier ganz, mit einer Selbstvergessenheit, die an Magie grenzt, die Diamantenaugen, egal ob beim Bodenputzen, Maisschälen, Verkehrregeln, Häuserbewachen, Tanzen, Fußballspielen oder Scherbeneinzementieren, ist kraftvoll, lebendig und voller Daseinsenergie. Staunend kann man sich an diesen Augen, die sich ganz und gar der Tat hingeben, ergötzen, das schüchterne Lächeln, das nebenbei erhascht wird, als Geschenk würdigen.

Komisch, dass so angeblich hoch angesehen Persönlichkeiten wie Voltaire ("dumme und faule Indianer"), Bacon, Monetsqieu, Bodin ("degradierte Menschen") und Hegel ("die körperliche und geistige Impotenz Amerikas ist Europa unterlegen") dieser magischen Kraft des Daseins die Adjudanz verweigerten, und dass, obwohl doch Papst Paul III. 1537 offiziell bestätigte, dass "die Indianer wirkliche Menschen sind".

Ja wirklich?

Neben mir schaffen es zwei junge Mädchen tatsächlich gleichzeitig das Internet, ihre Handys, eine Zeitschrift und sich selbst per Konservation zu bedienen, und ich bin hoch erfreut über die Auswirkungen der Globalisierung. Wir sind alle gleich:-)

Herzlichkeiten und fliegende Besos :-)