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Dorfbesichtigung

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Busfahrt zum Lago San Pablo

Straße der Tiere

Samstagnachmittag, fahren wir doch mal von Ottavalo (100km nördlich von Quito) mit dem Bus zum Lago San Pablo, um einen kleinen gemütlichen Samstagnachmittagsspaziergang rund um den See zu machen. Ist ja nur zwei Kilometer von Ottavalo entfernt, also rein in den Bus und nach 45 Minuten und zwei Kilometern ankommen.

Wo sind wir? In San Pablo, dem kleinen Ort abseits des Sees, der durch Straßen und Häuser besticht, die einen 200 Jahre in der Zeit zurück versetzen. Sand- und Stein-Wege, zerfallene Häuser, eingeschlagene Türen, kleine Tante-Emma-Läden, spielende Kinder auf der Straße, unzählige, heimatlose Hunde.

Wir wandern ein bisschen durch die Straßen und stellen fest, dass keines der Häuser zu Ende gebaut worden ist, die Stahl-Bewehrungs-Stäbe ragen wie Haarbüschel aus jedem der angefangenen Mauerpfeiler heraus. Egal ob ein- oder zweigeschossig, es gibt immer noch eine weitere Etage, die nicht zu Ende gebaut wurde, sei es aus Geld- oder sei es aus Materialmangel. Außenwandputz, Türen, Fenster kommen aus einer anderen Welt, sind dreckig, kaputt, zerstört, nur: Es stört hier keinen, die Kinder spielen, die Frauen lächeln uns an, und jeder grüßt zurück mit Buenas Tardes und Como estas.

Jetzt aber mal runter zum See, da wird doch bestimmt ein schöner Rundweg um das drei mal drei Kilometer große Oval sein, ahh, hier geht’s rein, da treibt grad ein Bauer seine Kühe zum Ufer, folgen wir dem einfach, das scheint der Weg zu sein.

Am Ufer erwartet uns eine Art Sonnentempel, auch noch im Rohbau begriffen, der wird in ein paar Jahren bestimmt mal der Festplatz dieses Dorfes. Da sitzen Menschen, bearbeiten und verlegen die Steine, dazwischen mümmeln mir nichts dir nichts die Kühe des Bauern, mehrere Schafe und streunende Hunde. Was soll das sein? Eine Badeanlage für Tiere? Jedenfalls liegen die menschlichen Tiere auf dem Rasen und die tierischen Tiere wuseln ohne Leinen um sie herum, die Kühe waten ins seichte Wasser, nehmen gute Schlücke und haben Spaß im Morast. Ein Weg, ein Rundweg, ist hier nichts zu sehen, Schilf begrenzt das Ufer zu beiden Seiten, wir müssen wieder umkehren und den Weg durchs Dorf nehmen.

Was wir erst jetzt wahrnehmen erinnert mich an meine Tante, die schon ganz früh in den Siebzigern den damaligen Luxusartikel Videorekorder besaß. Nicht, dass das unsere Kinderherzen höher hat schlagen lassen, nein, als Krönung gab es "Das Dschungelbuch" und bei jedem Besuch drei Durchläufe dieses Zeichentrick-Ewigkeits-Monumentes. Baghira habe ich abgöttisch geliebt und, na klar, der Tiger war mir unheimlich, eher am Rande nahm ich die geschmeidigen jungen Damen wahr, die Sanskrit flötend im Fluss ihre Wäsche wuschen. Reine Phantasie, Zeichentrickillusionen, in echt, in deutschen Dörfern wird nicht eine Socke gewaschen.

Und da, am Rande des Schilfes, im Randgewässer des Lago Pablo, stehen sie, pfeifend, lachend, tratschend und schlagen ihre Wäsche auf Steine, schrubben und zwirbeln, und binden sie zu großen Bündeln zusammen, um die Einzelteile später an irgendwelchen Leinen aufzuhängen. Anachronismus, der sich weich und strahlend anfühlt, Mowgli für einen Tag sein.

Samtweich zurück zur Dorfstraße, auf dieser entlang, die sich langsam in eine Vor-Dorf-Straße ausweitet, weniger Häuser, diese aber kontinuierlich zerfallen und halbfertig, mehr Mais- und Zucker-Felder, kleine Parzellen einzelner Familien, Gemüse, ab und an Bananen und, besonders auffällig, dominierend: Tiere.

Was sich nun entwickelt, ist die Straße der Tiere, die selbst Mowgli nicht mehr begreifen kann. Schweine, Hühner, Esel, Pferde, Kühe, Hunde, Truthähne und Schafe leben, grasen, schlafen an und auf dieser Straße. Also, da ein Häuschen, dahinter das Feld, davor, direkt neben uns liegen drei Kühe, muhen nicht, ruhen einfach, zehn Meter drei Schafe, sofort anfassen, dran riechen, Mensch, sind die weich, weich, weich. Schon wieder kreuzt ein Hahn, zig Küken folgen, wem gehören all diese Tiere, warum grasen sie den Straßenrand leer und nicht irgendeine Weide? Sie sind einfach da und werden genutzt, und zwar frei und ohne Zäune, gut, manche sind angebunden, und Pferde stehen auf dem Feld hinter der Straße, aber alle anderen lassen sich anglotzen, anfühlen, anschmecken ...

Das Schönste: Ein Riesenschwein, ein wirkliches Riesenschwein, in das das fünfjährige Mädchen, dass mit dem kleinen Ferkel seelenruhig im Arm neben dem Allesfresser sitzt, sechsmal reinpasst. Un puerco muy grande, sag ich zu der Indio-Frau mit Kopftuch, sie freut sich über die staunenden Gringos und fragt wo wir denn herkommen.

Milchiger Samstagnachmittag

Samstagnachmittag, Tiere, auf der Straße, Teil des dörflichen Lebens, Teil einer ganzen Kultur. Es gibt hier keinen Menschen, egal ob reich oder arm, ob Kind oder Greis, der irgendeine Berührungsangst vor allen Arten von Haustieren hätte. Jeder Sechsjährige weiß, wie man den Hahn hochzuheben hat, wie man ihn zu töten hat, wie man ihm die Meinung sagt, wie man die Kühe treibt, wie man ihnen, wenn es sein muss, und das muss manchmal sein, aus dem Bus heraus einen kurzen Fußtritt gibt, damit sie die Straße freimachen.

Wir setzen uns, schauen auf den am Abhang liegenden See, wissen, dass es dort keinen Weg gibt, sondern nur diesen einen, hier oben, mit all den frei lebenden Tieren, dazu bestimmt, dem Mensch zu dienen. Nur Katzen fehlen hier, die Einheimischen sagen, sie bringen Kinderkrankheiten und werden, bevor sie sich ausbreiten können, eliminiert.

Wir wandern weiter, lächeln, grüßen, staunen, ein Bus fährt vorbei, wir nehmen den nächsten, brauchen dafür keine Haltestelle, die gibt es nicht, nur den Arm, und die richtige Antwort auf das Geschrei aus dem Bus.

Wir sitzen rum, gleich kommt der Bus, die Sonne flirtet wie so oft mit den Wolkenbergen, es milcht vom Himmel, es grunzt, es kräht, es bellt um uns rum. Es ist Samstagnachmittag, und Ecuador ist ein christliches Land, und trotz aller Unterscheide ist die Energie der Woche genau so wie in Europa: geschäftige Wochentage, ein toter Sonntag, und dieser milchige, indifferente Samstag. Ein Auto fährt vorbei, ich denk an Rio Reiser und das Ton-Steine-Scherben-Lied "Samstagnachmittag", dass diese Stimmung so unnachahmlich mit seinen Off-Beat und Minimalismus-Elegien beschreibt. Der Bus kommt, wir fahren den Rest der Straße um den See, werden noch einmal beschenkt, am anderen Ende, mit Wäscherinnen im Wasser, lachend, Hemden schlagend, Schweine schlachtend, Kühe anstoßend.
Wir bezahlen unsere 25 Cent Busgebühr, die obligatorische Rambazamba-Musik setzt ein, ich drifte ab ...

Gruppe: Ton Steine Scherben

Titel: Samstagnachmittag

Die Sonne scheint mir ins Gesicht

und niemand steht mir mehr im Licht.

Samstag Nachmittag.

Ich bin noch nicht voll, aber mein Glas ist leer,

und ich hol´ mir ´n neues, und ich träum vom Meer.

Samstag Nachmittag.

Der Sommerwind streicht mir um die Nase,

ich seh das Paradies in ´ner Blumenvase.

Samstag Nachmittag.

Zigaretten verglüh´n vor´m Flimmerkasten,

irgendjemand spielt Klavier auf den Radiotasten.

Samstag Nachmittag.

Mama backt Kuchen, Papa kippt ´n Bier,

und ich sitz auf der Straße und hab die Welt vor mir.

Samstag Nachmittag.

Ein Bullenauto fährt langsam vorbei

und wartet auf ´ne Schlägerei.

Samstag Nachmittag.

Irgendeiner ruft "Hallo" und fragt nach der Zeit,

ich sag "Bleib ruhig, ´s is´ bald soweit."

Samstag Nachmittag.

Und er lacht und geht weiter der Sonne entgegen

und die Sonne lacht auch, frag mich nicht, weswegen.