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Anden

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Mit dem Zug von Riobamba durch die Zeit

König Touri in seinem Element

Des Teufels Nase

Riobamba, ziemlich mittig in Ecuador, wirbt und lockt zahlreiche Schaulustige damit, aus ihrem Stadtzentrum die schwierigste Eisenbahn der Welt auslaufen zu lassen. Vorbei an Andenhügeln, durch abgrundtiefe Schluchten, sitzend oder stehend auf dem Zugdach ...

Hört sich ja an wie damals im wilden Westen, also nichts wie zwei Tickets kaufen, egal jetzt, dass der Bus für die gleiche Strecke drei Stunden schneller und das Zehnfache billiger ist.

Morgens um sieben Uhr die erste Enttäuschung, die man sich aber auch hätte denken können: Ein ganzer Zug, drei Waggons, voller Touristen und ausländischer Reisender, die auf der ganzen Fahrt nichts besseres zu tun haben, als ein Foto nach dem anderen zu schießen, einen Kamerafilm nach dem anderen vollaufen zu lassen und die ganze Zeit im Mittelpunkt zu stehen. Vollauf erfüllt werden die Erwartungen hingegen in Sachen Zugkomfort, Ruckelwackel-Bewegungen und Anachronismus inside the bahn. Hätte Onkel Hitler schon mit fahren können, es wackelt, schaukelt, zerrissene Sitze, offene Türen, es schiebt sich so richtig altehrwürdig mit 60 oder 70 Km / h durch die Andenhöhen.

Einer der drei Waggons hat seit Neustem ein Oben-Mit-Abteil, so ähnlich wie die roten Busse in London, zum Bestaunen und zum Erleben der Landschaft. Schade. Also das, was vor wenigen Jahren noch wild und westlich war, ist heute organisiert.

Die drei Waggon-Besetzungen teilen sich das Oberdeck, alle Bahnhof lang wird gewechselt. Doch auch aus dem Fenster, oder noch besser, am Ende der einzelnen Waggons, wo sich trefflich stehen, aus der Bahn lehnen und Sträucher streicheln und den Fahrtwind einatmen lässt, kann man die Szenerie beobachten, die Energie spüren.

Dennoch: Besonders in dem Moment wo auch wir den Gipfel, das Over-the-top-Deck erklimmen, fühlt man sich schließlich wie Prinz Poldi beim Kölner Karneval: De Zoch kuett, und die blonden Touris werfen von oben Kamelle, an die überall an der Strecke winkenden Kinder. Diese tun das aber nicht, um was Süßes zu erheischen, sondern einfach aus purer Freude, Vater Feuerross live zu sehen. Dreimal wöchentlich kommt das Eisenschlachtross vorbei, und es muss jedes Mal die helle Freude sein. Wieviele offene Augen und Münder uns angelächelt, angestaunt haben, unzählbar ... Da macht es fast nichts, dass man sich als reicher Europa-Prinz auf dem Wagen manchmal unheimlich blöd und unheimlich weit weg vorkommt.

Neben den unzähligen, zerklüfteten Andenhängen und Gebirgsformationen, den Mais- und Zuckerfeldern, den Gemüsebeeten und den zerfallen Steinhäuschen, den Bretterbuden und den Schlammegen bleibt eines im Herzen hängen: Ich denke an den Mann in Chachimbiro auf dem Feld hinterm Ochsen! Diese 400 Jahre alten Rückblicke, die hier nicht enden wollen! Egal durch welche verlassenen Gegend wir auch fahren, immer wieder, alle hundert Meter, ein Acker, darauf ein Feldarbeiter, oder eine Arbeiterin, mit einfacher Spitzhacke, in alter, traditionelle Indianermontur, sein kleines Feld bearbeitend, den Zug hörend, innehaltend, aufblickend, den Schweiß von der Stirn wischend, sich an der Hacke festhaltend, vielleicht greislich winkend, vielleicht aber auch einfach nur staunend. Immer wieder diese Bilder der Bauern, die von ganz woanders kommen, dazu die spielenden, überrascht-erregeten Kinder, die endlosen Tiere, die Schweine, die Kühe, die Pferde, die Esel, die Hühner und natürlich die Hunde. Was hier gebraucht wird: ein kleines Parzellchen Land ohne Strom und heißes Wasser, eine Kuh, einen Hund und drei Hühner, sechs Kinder, schwangere Frauen, mit Ponchos, Wollumhängen, staunend, winkend, weit, weit, so weit weg, 400, 500, 1000 Jahre alt, und ich weiß, wenn diese Bilder nicht aufhören, dass wird das "Land" und das "Feld" bei der Rückkehr nach Europa schwer auszuhalten sein. Einen Schock, und einen schmerzhaften, werde ich ja schon bekommen, wenn ich einen Kinderwagen oder einen Leinenhund sehen werde.

Zum Ende der Strecke hin breitet sich die Landschaft majestätisch aus, 3000er Berge, grün, mit Eukalyptus, Kiefern, Zypressen und Melissen, roter Sandstein lugt hervor, wie immer die zahlreichen Wolkenformationen, der Zug nun wirklich, wie versprochen, durch enge Schluchten, am tiefen Abhang entlang, keine 50 Zentimeter entfernt, vom Oberdeck grandios.
Durch den Zielbahnhof wird durchgefahren, um in Serpentinen zur Nase des Teufels zu fahren, einem besonders teuflisch aussehenden Berg tief unten in einem malerischen Tal, an dem alle brav ausstiegen und ihre Fotos machen, obwohl sich dieser Berg in nichts von den anderen unterschied.

Kurz vor Ende dann noch das obligatorische Entgleisen, dauert ne halbe Stunde und wieder unzählige Fotos, bis die 10 Eisenbahner mit Hilfe von Steinen das Tonnending wieder in die Spur kriegen. Die letzten Serpentinen sind richtig schön kurios, das sind nämlich keine Kurven, das heißt der Zug muss immer bis ans Ende der Serpetine in engen Winkel reinfahren, dann wird ne Weiche umgelegt, und schiebt die Lok zurück, obwohl eigentlich vorwärts fahrend, den Rest der Bahn vor sich her. So geht das dann ein paar Mal und wir sind wieder oben und die Fahrt ist vorbei.

Was bleibt ist dieses heilige Gefühl der Zeitlosigkeit, diese totale Entfremdung, dazu ein unglaublich leckerer heißer Milch-Mais-Reis-Saft an einem der Haltstellen und der Gedanke an die Kritik des Reisens, ein von Enzensberger verfasstes Essay, der die ausbeuterische Handhabe vom "Tourist" als solchem entlarvt und ihre Fotografiererei als einen Teil der Wahrnehmung beschreibt, der Ohren, Herzen und Nasen verschließt und schließlich nur noch durch das Objektiv wahrnehmen kann.

Klick, Klick ...