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8 Nach-Advents-Türchen

Erklärversuche zu Ecuador

Von Busfahrten, Orchideen, Büsten und allerlei anderem

Peru heißt willkommen, Ecuador sagt Adios, es war so viel, drum gibt´s diesmal einen ausführlichen Bericht, verpackt in 18 Nach-Advents-Törchen.
Schokoladiges Entpacken wünscht ...

Ecuador Adios!

1

Die Busse!

Haltestellen sind die Straßenecken, schreiend wird miteinander kommuniziert, wo es hingeht, während der Fahrt wird auf- oder abgesprungen. Anfangs zerquetschen einen die Türen, später ist man einer der zahlreichen Jongleure der Fahrt. Preis, egal ob 200 Meter oder 20 Kilometer durch Quito: 17 Eurocent.

2

Orchideen-Tempel

Ecuador ist das Zuhause von über 1000 Orchideen-Arten, fast 100 davon gibt es im botanischen Garten der Hauptstadt Ecuadors zu bestaunen. Alle möglichen Formen, Farben und Vielfältigkeiten gibt es zum Gaffen, und es wird schnell klar, warum Orchideen so ein beliebtes Sammlerobjekt sind, warum sie den Blick des Betrachters einfangen und verzaubern.

Besonders schön ist es, wenn man die Orchis in freier Wildbahn antrifft. In Mindo, für die Fachfreaks, unter anderem folgende: Brassia Caudata, Stranophea (ein gelb schwebendes Luftkissen, herrlich!), Ordentoglossum hallii (gelb-rot gepunktet und weit ausladend) – Wer die nächste Orchidee sieht, bitte selbstvergessen hineinstarren und ganz ohne Zauberei die Zeit anhalten können!

3

Öl statt Bäume

Ende der 60er Jahre entdeckte man im ecuadorianischen Dschungel Erdöl, und holzte bolzte Millionen Hektar Regenwald ab, um ans schwarze Gold zu gelangen. Die Folgen sind denen vieler Nachbarländer nicht unähnlich: Der wirtschaftliche Profit ging dank ausländischer Anleihen verloren, trotz dieses unschätzbaren Verkaufswertes, der ökologische Reichtum ging ganz nebenbei ebenso flöten. Einmal gerodeter Regenwald braucht fast 50 Jahre, um sich zu regenerieren, und schafft es dennoch nie, die Vielfalt und Lebendigkeit des primären Bodens zu erreichen. Na, da schau doch mal einer an, was die Europäer mit ihren schnell nachwachsenden Vegetationen für´n Glück haben …

4

Wahlpflicht

Alle Ecuadorianer über 18 Jahren müssen wählen gehen. Es ist oberste Bürgerpflicht und wird bei Missahndung bestraft. Die Einzigen, die es sich aussuchen dürfen wollen, ob sie wählen oder nicht, sind, ganz ähnlich wie in Europa, die Analphabeten.

5

Der erste Blaue

Damals, ganz, ganz früher, kam der erste Weiße und brachte die Coca Cola, den Tod und den Niedergang der eigenen Kultur. 1866 kam dann der erste Blaue. Ein minzig duftender, blau scheinender und mittlerweile dominierender Pflanzenfreund – der Eukalyptus-Baum!

Exploiting Europa gerade eben Australien eingenommen, den schnell wachsenden Eukalyptus entdeckt, und überall da auf der Welt eingeführt, wo er schnell für billiges Holz und Papier verwendet werden kann. Es ist die hier dominierende, wiewohl völlig fremde Baumart, auch wenn man es bei dieser Pracht gar nicht wahrhaben will, aber er steht nur hierum, damit wir alle was zu lesen haben. Ein Eukalyptus braucht, um die gleiche Menge Holz zu liefern wie Europas Schnellwachser, die Fichte, ein Zehntel der Zeit. Laut Forstamt Hoffmann in Freiburg, schafft der Eukalyptus hier in den Tropen in sieben Jahren das, was die Fichte in 70 Jahren im Schwarzwald hinkriegt.

Negativ: Zerstörung der Tropenvielfalt und Ausmergelung des Bodens, positiv: herrlich blaue Wälder, die duften, und in denen man sich schönstens verlieren kann …

6

Büsten

Warum stehen hier eigentlich überall diese schrecklichen Büsten von Ex-Politikern und Generälen herum? In Bronze, in Blei, in Eisen, in Stahl, und immer männlich drein blickend, gewichtig und irgendwelche Waffen am Start.

In jedem Park findest du so nen Kerl, der meistens viele umlegte, um irgendwann selber drauf zu gehen, wie der berühmte Elroy Alfaro, liberaler Präsident der vorletzten Jahrhundertwende, der in den 20er Jahren mit seiner ganzen Regierungsmannschaft von seinem eigenen Volk gelyncht wurde!!

Ebenso spannend: Präsident Ibara, der es von 1934 bis 1972, also in 38 Jahren, siebenmal schaffte Präsident zu werden, meistens putschend und brutal, auf eben solche Art und Weise wieder abgesetzt wurde, nur um sich ein paar Jahre später wieder reinzuschießen. Offiziell sind die Macht und die Diktatur des Militärs erst seit 1979 beendet. Wenn ich die Feuergewehre vorm Burger King sehe, zweifel ich daran…

Übrigens: Nicht nur sehen die Büsten dämlich aus, das Wort an sich ist dämlich. Man sollte mal beim Duden nachfragen, ob man es nicht mit Unkraut auf der Liste der kritischen Wörter tauschen könnte …

7

Der Meter

1735 schickte die Grande Nation eine Expedition zum Äquator, um den offiziellen Erdumfang zu ermessen. Ziel: Das heutige Ecuador. Grund: Der am leichtesten (bis heute) zugängliche Teil des Äquators der Welt. In allen anderen Gegenden regiert entweder die Tiefsee, der Dschungel oder das Dickicht. Ergebnis: Die Erde misst 40.000 Kilometer, wenn man einmal das Band um sie herum läge. Resultat: Der vierzig Millionste Teil dessen wird die neue heilsbringende Messeinheit (was den Angelsachsen bis heute aber zuwider ist) und heißt ab Mitte des 18. Jahrhunderts Meter (ergo Kilometer, Zentimeter, etc.)!

So war das also …, Übrigens haben sich die französischen Wissenschaftler geirrt. Die Erde misst etwas mehr als 40.000 Kilometer und der exakte Mittelpunkt des Äquators ist 20 Kilometer weiter südlich, als der berühmte Mitad del Mundo Touristenmagnet nördlich von Quito, zu dem aber dennoch weiterhin alle mit ihren Kameras fahren, um ein Bein nach links und eins nach rechts zu stellen …

8

Die Schneiderei

Da geht mir doch in Ecuador die Hos kaputt, ein Loch ist drin, sie muss gestichelt werden. Direkt um die Ecke ist eine Schneiderei, nichts wie hinein. Ein alter Schreibtisch, ein alter Kleiderschrank, Wollgarn, ein Schaufenster mit ein paar Modellanzügen plus Kriegs-Flugzeugen, mit denen ich als Kind gerne gespielt hab (Begründung der Schneiderin, warum fünf Plastik-Kriegs-Flugzeuge auf dem Boden des Schaufensters stehen: Schmuck!!!!), als Prunkstück eine Singer-Tret-Nähmaschine, vielleicht fast 80 Jahre alt, für die ein Sammler ein mittleres Vermögen locker machen würde, und noch antiquierter, mit einem gusseisernen Sockel, die wohl ersten Modelle elektrisch betriebener Bügeleisen überhaupt, von Pfaff, geschätztes Baujahr 1909. Dazu zwei DDR-Nähmaschinen aus den 60ern, mit denen in 20 Minuten versierter Arbeit, die Hose akkurat in Ordnung gebracht wird: Kostenpunkt für Stoff und Arbeit: 70 Eurocents!

Da ich von den Pfaff-Bügeleisen und der alten Singer-Nähmaschine so begeistert war, habe ich mich ein bisschen in der Geschichte der Näherei umgesehen. Das Handwerk gibt´s seit dem 12. Jahrhundert, war bei Adelsdamen höchst angesehen, und verlor seinen speziellen Ruf erst mit der Einführung der Maschinenproduktion vor 180 Jahren. Ein guter Schneider schaffte damals 30 Stiche pro Minute! Die ersten Nähmaschinen gab´s 1817, die ersten Bügeleisen in den 80er Jahren desselben Jahrhunderts, Singer und Pfaff sind zwei alte renommierte Firmen auf diesen Gebieten.

In Deutschland wird heute übrigens keine einzige Nähmaschine mehr produziert, billiger geht das im Ausland, zudem sind alle alten Firmenanteile von Amerikanern und Japanern in Zeiten multinationaler Jointventures und Shareholdings aufgekauft. Es gibt Traditionalisten, die sind traurig darüber, freuen sich aber über antike Bügeleisen-Sammlungen, vielleicht auch dein neues Hobby!