Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Mindo

Body: 

Mindo es Lindo

Tienes miedo Spinnentier?

Fährt man mit dem Bus zweieinhalb Stunden nach Norden, dabei 2200 Meter in die Tiefe, erreicht man Mindo, den beliebten, auch für Einheimische, muy tranquilo Touristenort im mittleren Regenwald, warm und feucht, verschlafen und paradiesisch. Um als tiefer Regenwald durchzugehen, liegt der Ort auf knapp 500 Metern noch etwas zu hoch, zudem fehlen ihm die Ostwinde sowie die wasserfeuchten Flussbecken, dennoch erreichen wir hier biotopisch gesehen, ganz neue, in Quito nicht zu entdeckende Diversitäten.

Zum einen wäre da, rein humandiversitativ, die Ruhe des 600-Einwohner-Örtchens - keine Spur von Touristen-Robbing oder gefährlicher Viertel. Wenn man über die einzige Hauptstraße im Schlamm schlendert, die von Restaurants, Hostels und Mini-Läden gesäumt ist, fühlt man sich an eine Mischung aus Dodge City und südostasiatischer Naturschönheit plus entsprechender Gast-Angebote erinnert. Es schlendert sich im T-Shirt, es musiziert aus den Salsa-Boxen, es schmecket das große Cerveza für 70 Cent.

Um auf die ewige Hitliste der zu besuchenden Orte zu gelangen, fehlt leider der stetige Sonnenschein. Lindo wird bedeckt von einer ewigen Suppe aus Wolken, in knapp 300 Nächten des Jahres ist von den Sternen nichts zu sehen, selbst der Vollmond konnte sich an diesem Wochenende nicht gegen die weißen Traumfetzen durchsetzen. Tagsüber, vor allen Dingen morgens, kommt ab und zu die Sonne durch, doch nachmittags kann dann zu allem Überfluss auch noch der Regen kommen, und dann liegt man in seiner Hängematte bei regnerischen 23 Grad und lernt spanische Vokabeln wie lindo (schön!) und freut sich über den dennoch zutreffenden Reim: Mindo es lindo.

Besonders die Tiere hatten es uns angetan und wollten uns mit ihrer Andersartigkeit im schönen Mindo verführen. Kaum zwei Stunden da, in den ersten Stunden der Dunkelheit, hockt, wartet und fängt uns dasjenige Tier, was wir erwartet hatten, in dieser Größe und direkt zu Beginn des Aufenthaltes, aber dennoch überraschend: Die schwarze, in Europa niemals in diesem Umfang, in dieser Behaarung und in ihrer Eindringlichkeit zu findende Arrana - eine Spinne also.

Puuh, tiene miedo (hast du Angst?) fragt Leo, unser freundlicher Hotel-Manager (lebt in einer der Holzkabinen, in denen auch die Gäste schlafen, mit seiner Frau und seinen 2 Kindern, macht Frühstück und abends Bar für alle, kümmert sich um alles, holt Gäste vom Busbahnhof ab, regelt die Finanzen für den großen Big Boss, der irgendwo in Quito sitzt, arbeitet 350 Tage im Jahr, und die 15 Tage Urlaub verbringt er bei seiner Familie 800 km weiter weg an der Küste - Leo hat noch nie ein anderes Land besucht, seinen Frieden gefunden und strahlt naturverbundene, echte Lebensfreude aus!) - tiene miedo? Ich streichel die Dinger, lacht Leo, und ich streichel erst mal meine Hypophyse samt Thalamus und sonstige Nerv-Emotions-Verschaltungsstätten des Inneren.

Einer genaueren Untersuchung kann sich aber trotz Hormon-Ausschüttung die schwarze Freundin nicht entziehen, Spinnen, vor allen Dingen in dieser Größe, haben nun mal die Eigenschaft, sämtliches Bewusstsein wie Fernseher magisch auf sich zu ziehen. Gerade der visuelle Aspekt der Betrachtung bekommt eine dermaßen überragende Bedeutung, dass man versucht ist, um sich selbst und die Welt besser zu verstehen, andere Sinne einzuschalten, um sich von dieser diebischen Bewusstseinskraft zu befreien - doch man höre (!) und staune - auch die Ohren scheinen mir durch nicht zu erklärende Schallwellen-Manipulationen wie verstopft, man kann die Anwesenheit des Spinnentieres förmlich in die Muscheln als Suppenbrei fließen spüren, dann aber, konzentriere ich mich aufs Riechen, aufs Schmecken, aufs Fühlen, nimmt die Kraft ab, und dort sitzt einfach ein großes, schwarzes, für Menschen faszinierendes, weil völlig unmenschliches Geschöpf und lauert nur auf den einen Moment des Wegschauens, und schon ist sie weg ...

Geschenkt, bewegend, aufregend und doch gab´s noch viel mehr, und um einiges menschlicher, sprich süß-schnuffiger.

Artenvielfalt im Dschungel

Da waren am nächsten Morgen zunächst einmal die drei weißen Hasen, die unser Cabana(die Schlafhütten)-Gelände behüpften. Wer mir sagen kann, welcher Sinn in der Fluglotsen-Ohrenstellung liegt, also ein Ohr aufrecht, das andere schräg nach unten abgeknickt, darf und soll sich mümmelnd melden, ansonsten waren die drei Weißen Knuddeldinger zum selbigen, wären sie nur nicht so scheu gewesen.

Dann die ersten Vögel: Ja meissa, was ist das denn für ein knallgelbes Knallgelb auf dem Rücken dieses drosselgroßen Fliegers? Das leuchtet ja stärker als die Deutsche Post und ist um so viel beweglicher und federleichter - Herrlich! Und da hinten, schon wieder so ein sirr-sirr-sirrender Kolibri mit Flügelschlägen, von deren Frequenz ein Presslufthammer nur träumen darf.

Und weiter gehen, ab in den Dschungel, zu der einzigen, und dennoch oft angelaufenen Touristenattraktionen, mehreren Wasserfällen, die mittlerweile als öffentliches Schwimmbad samt Rutsche umgebaut wurden, und damit ihren Charme, zumindest für uns, verloren haben. Da die meisten den fünf Kilometer langen Feldweg per Auto und Jeep zurück legen (gerne auch wieder im 15er Pack auf dem Pick-Up) haben wir auf unserer Wanderung alle Zeit der Welt zum Staunen und Schauen, Horchen und Herzen - und dann, nach einer Stunde, das Geschenk, aus dem Dickicht, sich kurz auf die Straße wagend, schnüffelnd, von der Nase an ein Schwein erinnernd, seine Bewegungen tapsig, 30 cm lang, und unzweifelhaft als Gürteltier auszumachen. Wie wunderbar!

In Afrika, sagt der Naturführer, kriegt jeder Touri seinen Löwen und seinen Elefant, weil die Savannen und Steppen überschaubar, die Tiere kartographiert sind, in Südamerika ist das, ob Krokodil oder Anakonda, Glücks- (oder Pechs-)Sache, nichts kann vorhergesagt werden, nichts ist abrufbar - um so schöner dieses kleine Beuteltier, eine endemische Tierpopulation, die nur in Südamerika heimisch ist, und höchstens durch Zoo-Einfuhr-Schiffe woanders angesiedelt wurden.

Südamerika war rein erdgeschichtlich, bis vor zwei oder drei Millionen Jahren eine Konnexion an den nordamerikanischen Kontinent stattfand, eine 70 Millionen Jahre isolierte Insel, die genau deshalb, im Zeitalter des aufstrebenden Säugetiers, eine ganze Anzahl von einzigartigen Tieren hervorgebracht hat, die sonst nirgendwo auf der Welt zu Hause sind. 85 % der südamerikanischen Vögel sind allein hier heimisch, 82 % der Säuger ebenso.

Das Gürteltier, das watschelnd an unserem Straßenrand für herzliche Begeisterung sorgte, ist auf jeden Fall ein echter Homie! Die Dinger können an bestimmten Orten bis zu 50 KG schwer werden, insgesamt gibt es in Südamerika neun Gattungen mit 20 Arten. Sie schützen sich vor ihren Feinden, in dem sie sich blitzschnell im Boden eingraben, und gefährden sich dagegen selbst, weil sie so große Sonnenfans sind, und in dem sie sich vor Feinden ungeschützt (dazu gehört auch der Mensch, der es als Delikatesse verzehren mag) bei Sonneneinstrahlung auf den Rücken legen und fröhlich furzend den Pelz (Sorry, den Panzer) bescheinen lassen.

Eines der faszinierendsten Dinger ist zweifellos das Neunbinden-Gürteltier, das ausschließlich, man kann es sich kaum vorstellen, eineiige Vierlinge zur Welt bringt; da hängen an der Plazenta also jedes Mal vier Männchen oder vier Weibchen, und warten in diesem embryonalen Zustand auf das notwendige Getragen-Werden (die Hauptqualität des Beuteltiers) und die nährstoffreichen Zitzen – Schlabber, Schlabber ...

Will noch nicht aufhören, gibt noch mehr, abends beim Fruchtsalat, ein Schmetterling der Nacht oder gutdeutsch ein Nachtfalter, so groß wie ein Kolibri, ein Körper, der so manchen Ureinwohner eiweißreich satt gemacht haben wird, ein irres Ding - daneben das Blatt, das an der Fensterscheibe klebt, hee Moment mal, das ist gar kein Blatt, das ist auch das ein Nachtfalter, Danke Natur, für deinen Reichtum an Tarnung, und bevor wir uns versehen bricht die Nacht an, der Morgen graut, und neben dem Teich mit dem Riesenfisch und den umher hüpfenden weißen Hasen, zwei Wuselwaschbären (?) die eifrig an einem Loch graben, sich wie nervöse Mafiosi aufgeregt umschauen, flitzend zum Wasser, wieder zurück, bauend, wuselnd, was ist das??

--- Es ist das Wasserschwein, das größte Nagetier der Welt, hat überhaupt nix mit dem Schwein gemeinsam (ihr Darwins, ihr Linnes, wer hat euch erlaubt diese Namen zu erfinden?? Rosskastanie!, brr, da schüttelt´s mich!), eher vom Verhalten an das Flusspferd erinnernd, lebend und Schutz suchend im Wasser, grabend, buddelnd und mampfsuchend an Land. Unsere Betrachtungsobjekte sahen aus wie große Ratten oder Biber ohne Schwanz, zottelig nass und wuselig. Mit gut 60 cm Länge trafen wir wohl halb so große wie möglich gewesen wären, 1,20 Länge und 70 Kilogramm sind des Wasserschweins (Achtung Latein-Fach-Ausdrücke-Freaks: Capybara) Maximum!

Puhh, und dann wieder die Hasen, mit der Fluglotsen-Stellung - Warum denn bitte?

Danke ihr Tiere, ich bin selbst eines, mit Haaren in der Nase und Plattnägeln am Fuß, und Gedanken, die nicht die meinen sind ...

Wusel, Wusel ...