Machen wir ein Buch?

Reise, Sachbuch, Belletristik ...?
Alle interessanten Themen;
alles was bewegt.

Hier geht´s weiter!

Alldasein

Body: 

Nach-Advents-Türchen reloaded

Ecuadorianische Lebensart

Von Tieren, dem Dasein, Gastfreundschaft, Flora und Fauna

9

Käfer

Der Ecarabajo ist, misst man ihn an der Anzahl seiner Arten, der Weltmeister aller Tiere dieser Erde. 300.000 unvorstellbare, aber immerhin klassifizierte Arten sind es bisher, wahrscheinlich mehr als das Doppelte ist noch unbekannt. Dummerweise fällt der Käfer in Ecuador nur durch seine Totseierei auf. Immer liegt er auf der Straße und ist tot, egal ob im Wald oder in der Stadt, das Verhältnis liegt bei ungefähr sieben Toten zu einem Lebenden.

Menschen, die Freude daran haben, tote Tiere auf Stecknadeln zu pfählen und anzustarren, würden ihre Freude an so was haben. Man kann sie in aller Ruhe bestaunen und stellt fest: Sie sind alle sehr groß, riesig oder einfach unvorstellbar groß.

10

Ausdruckslosigkeit

Ein kulturelles Thema, das subtil immer in jeder Begegnung mit den Einheimischen dieses Kontinentes mitschwingt ist die nahezu entgegengesetzte Fähigkeit des künstlerischen Ausdruckes, des spielerischen Ausdruckes oder einfach des mimischen Ausdruckes. Das erste Mal ganz deutlich fiel mir das beim Quito-Stadtfest auf, als eine Gruppe Indigenas ihre Trachten und ihr Essen vorführte. Nun rannten diese 20 Frauen und Männer völlig ungeordnet und unstilistisch im Kreise herum, betrachtet von der fünffachen Menschenmenge, und trugen auf ihren Köpfen Schalen mit Obst und frisch gerösteten, durchaus noch als solche samt verkohlten Augen erkennbaren, Meerschweinchen. Paradox: Die Aufführungen der ersten Schulklasse weisen ein höheres Maß an Aufführungs-Arrangement auf.

Ähnliche Vorführungen findet man aus den verschiedensten Gründen in vielen anderen Gegenden, immer wieder könnte man auch einfach Herrn Hinz und Herrn Kunz von der Straße nehmen und sie kraftlos, saftlos, scheinbar ideenlos miteinander plaudern lassen, kein Tanzschritt ist abgestimmt, kein Dialog erlernt. Dennoch: Den Zuschauern gefällt das hier, sie lachen über die Witze und erfreuen sich an der ohrenbetäubenden Musik aus den Lautsprecherboxen. Was ist das, dass die Menschen hier Volleyball als Freizeitsport Nummer Eins nach Fußball wählen lässt und nicht einer auf der Straße nur ansatzweise einen gescheiten Bagger oder Pritschball hinkriegt? Ein jeder greift einfach nach dem Ball, und führt ihn völlig taktlos und Taktik los übers Netz.

Es ist dieses alte indianische Herz, was hier schlägt, das, was dich und sie sprachlos macht, was den Eroberern es so einfach gemacht hat, hier drüber herzufallen, eine völlig andere Wichtigkeit des Daseins, ein Tun ohne Spiegel, kein Reflektieren im Ego, ein freier Tanz aus der Mitte des Körpers …

11

Gastfreundschaft

Die Lagune Cotopachi ist ein beliebtes Touristenziel, bietet es dem Betrachter doch eine fünfstündige Wanderung in einem Naturschutzpark um eine schimmernde Lagune, aus der zwei Inseln majestätisch herausragen, ganz nebenbei wird dieser See umstrahlt vom Cotopachi, einem Gletschervulkan, mit viel Eis, Rauchaustritt und vielem weiteren pittoresken Eitelkeiten.

An unserem Besuchstag konnte man die Hand vor Augen nicht sehen, eine Nebelsuppe, zäh und matschig, versperrte uns die Sicht. Wir wussten, wir wanderten am Rand dieser Lagune entlang, aber weder Wasser, noch der Vulkan, noch diese berühmten Inseln waren zu sehen. Nach einer Stunde wurd´s zu langweilig, umgedreht, auf gemütlich gemacht, einfach ein bisschen den nahe liegenden Wald erkundet und im Museum vorbeigeschaut.

An den Hafen gesetzt, wo normalerweise die Schiffe zu den Inseln abfahren, und nix getan.

Plötzlich hebt der Geist seinen Schleier, und wir sehen erste konzentrische Wasserbewegungen, die Lagune ist zu sehen. Eine halbe Stunde pünktlich zum Sonnenhöchststand, die ganze Pracht vor Augen, samt den Zauberinseln, und zumindest der Ahnung vom Vulkan. Ein toller Anblick!

Doch auch der tollste Anblick reicht nach einer Weile, also nichts wie auf einen Pick-Up und heim. Dummerweise sind die ganzen Dinger grad nicht da und so fragen wir einfach ein paar Einheimische, ob sie uns mitnehmen. Stört dann auch nicht, dass das genau diejenigen waren, die wir eine halbe Stunde vorher noch als Proto-Prolls mit Videokamera und Goldkettchen abgetan hatten.

Gebongt, wir dürfen mit, und einfach hinten mit Opa und Enkeln auf den Pick-Up schwingen, Vater, Mutter und Oma steuern vorne die Kiste.

Nach 20 Minuten Pause: Wir werden in eine Steinfabrik, wo der Vater arbeitet eingeführt, erkennen den Unterschied zwischen Marmor und Normal-Stein und sehen wie so ein Mords-Schneide-Gerät von Maschine arbeitet und was für´n Krach das macht.

Weiter, es nieselt wieder, wir werden neben informativen Gesprächen unter die Decken geladen und kuscheln uns nach 35 Minuten zu sechst aneinander wie man das in deutschen Familien unter den engsten Verwandten nach einem Leben nicht macht.

20 Minuten später: Anhalten, Holzgeschäfte anschauen (im Übrigen äußert langweilig, aber für ne Fahrt umsonst wird gelächelt).

So, jetzt müssten wir dann aber bald wieder zu unserem Hostel, warum fahren wir denn in eine andere Richtung? Fisch essen, habt ihr Lust, äh, können natürlich nicht abschlagen und bekommen eine Stunde später den dicksten Dreikilo-Buntbarsch (Tilapia, Ziegenbarsch, Ecuadors zweiter Export-Schlager neben Bananen) in saftig, knuspriger Panade serviert, den man sich denken kann. Keine Chance zu bezahlen, keine Chance nicht alles mitzumachen, dieses Fischfressfest mit Händen, Füßen, Reis, Bohnen und Salat (Da trinken wir auch artig dieses eklige Fanta-Naranja auf).

Ein herrliches Abenteuer. Nach dem Essen die nächste Pause, an einem See: Aussicht und Enten genießen. Wieder 20 Minuten später noch ein Halt. Vom Tuna-Kaktus holt uns der Vater drei Insekten, zerreibt sie vor unseren Augen und zeigt uns wie früher rote Farbstoffe gewonnen wurden!

Letztlich sind wir anstatt 30 Minuten, 6 Stunden gemeinsam unterwegs, lernen uns kennen, und wissen nun, wie ein Ecuadorianer einen Gast zu behandeln pflegt.

12

Der tanzende Frosch

Unsere freundliche Big-Franchise-Apotheke mit dem Frosch als Zeichen “Sano Sano” feiert irgendwas und lässt nen riesigen Stoff-Rana durch die Straße hüpfen. Das Faszinierende, das so unglaublich gut zum Apotheken-Flair passt, ist die fette Musik, die uns unsere freundlich Apotheke serviert- Hardcore-Vibes von Dune! Monster-Techno, und der grüne Frosch wackelt süß …

Geschmack, Ausdruck, as usual …

13

Drei herrenlose Schafe

Es ist mittlerweile auch gar nicht mehr verwunderlich, dass über eine Strecke von einem Kilometer drei Schafe einfach so herrenlos durch die Dorfstraßen von Canar laufen. Wie die Drei von der Tankstelle plaudern und tratschen sie und laufen immer wieder gackernd von mir weg, wenn ich ihnen mein frisch gepflücktes Gras anbieten will. Dann biegen sie irgendwann ab und sind verschwunden.

14

Vilcabamba

Vilcabamba ist Backpacker-Heaven, klassischer Aussteiger-Ort, ein auf 1500-Meter-höhe liegendes Subtropen-Paradies im Süden Ecuadors, das berühmt ist für seine langlebigen Menschen ist. Angeblich leben hier prozentual betrachtet die meisten 100jährigen Menschen der Welt, das Klima ist einfach zu gut!

Zu gut sind auch die ersten Mangobäume, die ich bestaunen darf, an denen die dicken Früchtchen wie an Schnüren herunterhängen, die wie aus reiner Kunstfreude der Natur bemalten Bambushölzer, der Fußballplatz, der neben den Bananenstauden auftaucht und auf dem jeder mal spielen sollte. Die zwei Schäferhund-Brüder, die uns bis zur Straße verfolgen und ganz traurig gucken, als wir ihnen sagen, sie müssten wieder umdrehen, die Zauberer, oder besser Touristen-Zauberer, die mit der Kaktus-Droge San-Pedro hier allnächtige Rituale für 50 Dollar abhalten. Die originalen Eier-Tortilla mit Zwiebeln, Speck und Kartoffeln, die bunten Schmetterlinge und diese riesengroßen Falter, die die Leute mit den Stecknadeln und den Brettern bestimmt noch toller finden als die Käfer, weil sie gerne fast 20 cm breit sind – all das findest du in Vilcabamba und ein herrliches Hostel mit einem Avocadobaum in der Mitte, an dem die schweren Bollermänner grün-reif herunterhängen.
Und dann dieser schöne Baum da, mal beriechen, beschnuffeln, er hat wie so viele Pflanzen hier Früchte, näher untersuchen, was sagt die alte Indianerin, eine Frucht ist tödlich, das Anfassen alleine ist giftig, Natur, Natur und dein Instinkt vom Paradies …

15

Nimm mich Berg!

Von Vilcabamba nach Macara, Grenzort nach Peru, eine Fahrt, die normalerweise viereinhalb Stunden dauert, wird auf sieben Stunden ausgeweitet. Grund: vier Reparatur-Pausen in Öllachen, ein Busfahrer am Schwitzen, am Keuchen, behelfsmäßiger Austausch einer Öl-Stange durch ein Tuch an einer Tankstelle, immer wieder Gestank, und ein abgewürgter Bus. Erstaunlich: Keiner der Passagiere erlaubt es sich eine, nur irgendeine Bemerkung zu machen, dass hier zweieinhalb Stunden wegen Busalter und Fahrstil draufgehen.

Wenn der Bus dann doch fährt, Zeit die Anden zu bestaunen. Diese vor 70 Millionen Jahren aufgefalteten Steinriesen, als zwei Kontinentalplatten Bumms machten und diese vielschichtigen, ineinander gestückelten gesetzten, kleinen Toblerone-Berge, mal größer, mal kleiner, erschuf. Überall Abhänge, Aufstiege, Spitzen, die ins unendliche Blau ragen, manche grün mit ein paar Kühen als Farbtupfer, andere von Strauch und Baum übersät, andere wieder kahl und steppenartig, manche einfach nur sandig.

Diese Berge, diese Vielfalt, das ganze Auf-und-Ab-Geschwappe auf 2000 bis 4000 Meter-Höhe ist omnipräsent und macht dir bewusst, wer hier die Hosen anhat, wessen Energie die Stimmungen, die Meinungen, die Wirkungen erzeugt. Die Anden, die Panamerika, die Traumstraße und die Bergkraft ist hier, sie regiert, sie kürt den Himmel, und die Busse werden geschlaucht, die Menschen zu Winzlingen degradiert, sie sind die strahlenden Häupter über, unter und neben unseren Köpfen!

16

Rodeo-Pissing

Im selben Bus auf Toilette gegangen, hinten, hinter der Grauplastiktuer. Andenstraßen sind wackelig, sind kurvig, sind schlaglochig.

Wer schon einmal einen Bullenritt à la Rodeosport, gerne auch im Fernsehen auf einer Attrappe, gesehen hat, weiß, was hier mit dem Begriff Rodeo-Pissing gemeint ist.

17

Kapok-Riesen

In der Ebene von Macara, abgesunken auf 500 Meter, tauchen Tropen-Zustände auf, zermürbende Trockenheit, auslaugende Hitze, und dennoch saftige Bäume und reicher Fruchtbestand. Unsere neuen Freunde: Die über und über gestreuten Kapok-Bäume, Riesen aus einer anderen Zeit, mit ihren bretterähnlichen Baumwurzeln, weil sie sich nicht in der Erde, sondern durch Statik stützen müssen, dann dieser flauschige, bauchige Stamm. Ein Panoptikum der Baumstammfreude, breit wie 800 Jahre alte Eichen, verzweigt wie 1000jährige Linden, die Rinde glänzt wie bei mächtigen Buchen. Ein Baumgeschenk!

18

Macara und weg

Zum Abschluss von Ecuador das Wildwest-Städtchen Macara samt Hängematten vor den Geschäften, in denen sich die Besitzer in der langen Zeit der Kundenflaute aalen, schmierigen Grenzgänger-Kriminellen und einem Hostel, das auch mal allen schmierigen Ansprüchen genügt. Kakerlaken, abgerissene Klodeckel, kein Wasser aus den Hähnen wenn man´s abends zum Zähneputzen braucht, sondern das stattdessen nachts um drei Uhr angeht und wie Regen gießt. Schauderhaft, schauderhaft und trotzdem zauberhaft.

Danke, Ecuador, fürs Erleben!