Zur Jahrhundertwende

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Auf dem Weg zur Jahrtausendwende

Einführung der Demokratie

Wende 1989/90

Dogmatismus, Glauben an den Sozialismus und die eigene Unfehlbarkeit, dazu die kritiklose Übernahme sowjetischer Methoden machten es der Führung des Landes unmöglich, die wirtschaftlichen und anderen Probleme des Landes zu sehen. An deren Spitze stand eine Generation lang, von 1952 bis 1984, Jumschagin Tsedenbal, der 1991 im Moskauer Exil starb. Unter diesem »Breschnew der Mongolei« verloren die Menschen den Glauben an die Führung, da die Realität in krassem Gegensatz zu den offiziellen Sprüchen stand. Die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung des Landes stagnierte. 1984 wurde Tsedenbal abgelöst.

Hoffnungen erweckte erst wieder Gorbatschows Politik von »Glasnost« und »Perestrojka«. Doch zögerte die mongolische Führung, den sowjetischen Freunden auf dem neuen Wege zu folgen, da sie das weitergesteckte Ziel nicht erkannte.

Ende der achtziger Jahre formierten sich allmählich oppositionelle Bewegungen, in denen Vertreter der Intelligenz, Künstler und Kulturschaffende, Wissenschaftler und Studenten dominierten. Ihre Vorschläge und Ideen zur Neugestaltung fanden mehr und mehr Gehör, durch Protestdemonstrationen, Hungerstreiks, Flugblätter und Untergrundzeitungen. Unterstützung kam dabei auch vom Staatsoberhaupt Jambyn Batmunch (1926 geboren), dem »mongolischen Gorbatschow«. Vor allem junge Intellektuelle, die in Moskau, der DDR und anderen osteuropäischen Ländern ausgebildet worden waren, ertrotzten in einer starken Demokratiebewegung um den Jahreswechsel 1989/90 gewaltlos die »Wende«.

Das Jahr 1990 wurde zum Jahr des Umbruchs im gesellschaftlichen Leben. Versuche der MRVP und des Staates, die demokratische Bewegung zurückzudrängen, hatten keinen Erfolg. Im Frühjahr und Sommer 1990 entstanden mit den Demokraten, den Sozialdemokraten, den Grünen und anderen Gruppierungen neue Parteien, die in Konfrontation zur allein regierenden MRVP traten. In deren Führung begann sich Ratlosigkeit abzuzeichnen. Sie hatte den Losungen der Opposition wenig entgegenzusetzen, hier rangen unterschiedliche Meinungen miteinander. Einige wenige waren für eine Lösung mit Gewalt, andere, die Mehrheit, für Gespräche.

Am Runden Tisch mit Vertretern der Opposition gelang dann der Durchbruch: Aufgabe der Alleinherrschaft der MRVP, Beteiligung der Opposition an der Machtausübung. Ein neues Parteiengesetz garantierte die gleichberechtigte Teilnahme aller am nationalen Leben, die Pressefreiheit und die Vielfalt der Meinungen. Der Übergang von der Kommando- zur freien Marktwirtschaft wurde auf die Tagesordnung gesetzt. Die MRVP wechselte ihr gesamtes Führungspersonal aus.

Die Parlamentswahlen 1990, die erstmals tatsächlich frei waren, brachten zwar einen Sieg der MRVP (357 von 431 Sitzen). Sie zeigten jedoch gleichzeitig, dass die neuen Parteien und Bewegungen Fuß gefaßt hatten. Erstmals wurden danach Vertreter der Opposition an der Regierung beteiligt. Der Prozeß lief leichter ab als vielfach befürchtet oder in anderen sozialistischen Ländern vorexerziert.

Im Februar 1992 trat eine demokratische Verfassung in Kraft. Privateigentum wurde wieder in allen Bereichen der Wirtschaft zugelassen, und der Übergang zur Marktwirtschaft trieb erstaunliche Blüten. So erhielt jeder Mongole einen Coupon über 10.000 Tugrig (etwa einen halben Jahreslohn), der in einem großen Abschnitt über 7000 Tugrig und drei kleinere zu je 1000 Tugrig aufgeteilt war. Der große Abschnitt konnte zum Erwerb von Aktien der privatisierten Großbetriebe, die drei kleinen einzeln oder zusammen in Klein- oder Mittelbetriebe investiert werden.

Probleme der Umstellung

Natürlich ging die Umstellung nicht ohne Probleme, Rückschläge und auch schmerzhafte Erfahrungen ab. Da die Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe veraltet und heruntergewirtschaftet waren und zusätzliches Kapital fehlte, überlebten viele die Privatisierung nicht. Die bereits länger anhaltende Krise der Volkswirtschaft verschärfte sich weiter. 1991 sank die Industrieproduktion um 12 Prozent, 1992 dann nochmals um 16 Prozent.

Die traditionellen Beziehungen mit dem früheren RGW gingen hauptsächlich aufgrund der Situation in der ehemaligen Sowjetunion um fast zwei Drittel zurück. Die Mongolei verlor viele ihrer Absatz- und Bezugsquellen, was durch Zusammenarbeit mit westlichen Staaten bei weitem nicht kompensiert werden konnte. Für die Zahlungsbilanz entstanden bedeutende Belastungen; die Inflation schritt in schnellem Tempo voran.

Das Angebot an Konsumgütern, noch nie üppig, ging nahezu gegen Null. In einem Land, das früher in Mengen Fleisch und Lebendvieh exportierte und gleichzeitig die Versorgung der Bevölkerung sicherte, waren plötzlich Fleisch und Milch rationiert und nur auf dem freien Markt zu beträchtlich überhöhten Preisen zu erhalten.

Nicht erfüllt haben sich Hoffnungen vieler Menschen, dass der Übergang zur Marktwirtschaft eine schnelle Besserung der Situation bringen werde. Die eigenen Mittel reichen zur Lösung der anstehenden Aufgaben bei weitem nicht aus. Immer noch bleibt vor allem der mit der wirtschaftlichen Öffnung erhoffte Zustrom ausländischen Kapitals aus, da potentielle Investoren vor dem gewaltigen Kapitalbedarf und der schlechten Infrastruktur zurückschrecken. Ende 1992 wurde mit einer Reihe von entwickelten Ländern und internationalen Organisationen eine Finanzspritze in Höhe von insgesamt 200 Millionen US-Dollar vereinbart – ein Tropfen auf den heißen Stein.

Die anhaltend schwierige Situation führte zu einer Polarisierung der Kräfte. Vertreter konservativer Richtungen in MRVP und dem alten Verwaltungsapparat sahen eine Chance, verlorene Positionen zurückzugewinnen. Zugleich wuchs die Zahl jener, die sich für die Beschleunigung der begonnenen Umgestaltung einsetzten. Vieles wird davon abhängen, wie schnell und in welchem Umfang Mittel für die Überwindung der Krise mobilisiert werden. Eine Rückkehr zu den Verhältnissen vor 1989 erscheint jedoch in jedem Falle ausgeschlossen. Die Mehrheit des Volkes lehnt den Sozialismus heute als uneffektiv und nicht den mongolischen Traditionen entsprechend ab.

Chancen

Doch es gibt auch eine Reihe von Umständen, die sich bei der wirtschaftlichen Entwicklung als günstig erweisen können. Dazu gehört in erster Linie der große Reichtum an Bodenschätzen, von denen bisher nur wenige erschlossen sind. Dazu gehören Kohle, Kupfer und weitere Buntmetalle, Edelmetalle, Fluß- und Feldspat, Phosphate und Eisen. Durch eine britische Firma werden Ölvorkommen in der Gobi-Region erkundet. Quarz- und Siliziumvorkommen können für die Elektronindustrie genutzt werden. Allerdings verlangt die Erschließung dieser Reichtümer immense Mittel und ist nur mit Hilfe der entwickelten Staaten zu verwirklichen.

Ein Plus ist zweifellos auch der hohe Bildungsstand. Hunderte von Wissenschaftlern, Technikern, Ingenieuren, Geologen und qualifizierten Arbeitern wurden in der DDR ausgebildet.

Nicht zu unterschätzen ist der Viehreichtum des Landes. 25 Millionen Stück Vieh, wieder im Privatbesitz der Araten, bilden eine gute Grundlage, die Lebensmittelversorgung zu stabilisieren und den Ruf der Mongolei als Exporteur von Fleisch- und anderen Tierprodukten wiederherzustellen. Mongolische Experten halten es für möglich, den Tierbestand unter privatwirtschaftlichen Verhältnissen innerhalb weniger Jahre bedeutend zu steigern und so die Stagnation der letzten Jahrzehnte zu überwinden. Die Mongolei würde vom Importeur von Lebensmitteln, der sie heute ist, wieder zum Exporteur werden.