Sitten & Bräuche

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Tradition und Moderne

Reichtum an Geschichten und Sagen

Einen Wesenszug der Mongolen lernte die entsetzte Welt lange vor allen anderen kennen: ihre grausame, vor nichts zurückschreckende Kriegführung. Der Mongoleireisende Hermann Consten beschreibt noch 1919 ein Treffen beim »Herrscher« der Westmongolei, Dambidschantsan. Dabei mußten sämtliche ihm benachbarten Fürsten sein Raritätenkabinett betrachten: abgeschnittene Ohren und ausgestochene Augen ungehorsamer Vasallen, ja selbst die bei lebendigem Leibe abgezogene Haut eines kasachischen Fürsten.

Nomadentum

Verglichen mit anderen Nomadenvölkern besitzen und pflegen die Mongolen ein großes Erbe aus Geschichte und Sage, das sich bis heute in den Sitten und Bräuchen spiegelt, obwohl mit der Modernisierung der Viehzucht das Nomadentum seine Bedeutung allmählich einbüßt. Die Beschreibung eines Chronisten des 14. Jh. trifft heute genauso zu wie damals: »Ihr Gesicht ist breit, die Nase plattgedrückt, die Augen geschlitzt, sie haben ein sonnenverbranntes Gesicht, einen massigen Körper und Säbelbeine.« Das ständige Reiten macht viele Mongolen zu Fuß etwas unbeholfen und schwer.

Ein anderer Chronist befand: »Sie sind ursprünglich, heiter, freundlich, gastfreundlich und sehr treu, zugleich aber unwissend und abergläubisch. Stolz, manchmal bis zum Hochmut, kennen sie keinerlei Kastengeist und heiraten, ohne auf Abstammung und Adel zu achten.«

Als Hirtennomaden führen die Mongolen ein ständiges Wanderleben. Im jahreszeitlichen Rhythmus verlegen sie ihre Lagerplätze, so wie ihre Herden Nahrung finden. Das erfordert Beweglichkeit für Hab und Gut.

Im Winter hausten sie bevorzugt im Norden, wo es Wasser gab, oder im Süden, der Wärme wegen. Im Sommer zogen sie in ihre angestammten Weidegebiete im kühleren Hochland. Die Weidegebiete waren ihnen durch stets wiederkehrenden Zuzug vertraut. Bevor sie weiterzogen, rissen sie die kleineren Zelte ab und luden die größeren im ganzen auf Ochsenkarren. Manche dieser Wagen, sechs Meter breit und mit übermannshohen Rädern, wurden von zwei Reihen zu je elf Zugtieren befördert. Am Ziel setzte man das Zelt ab und richtete sich sofort häuslich ein. Die rechte Hälfte diente als Raum für die Frauen und den Küchenbereich, während die Männer in der linken Hälfte Besucher empfingen. Vor der Feuerstelle inmitten des Zelts erhob sich der Rauch und stieg durch die Dachöffnung nach draußen. Das Leben war karg, häufig fehlte es am Notwendigsten. Kein Wunder also, wenn auch mal begehrliche Blicke die Reichtümer der Nachbarn trafen.

Neue Einflüsse

Die ersten Veränderungen setzten im 18. Jh. ein, als sich neben dem fest verankerten Lamaismus immer mehr chinesische Einflüsse durchsetzten. Die Einwanderung chinesischer Bauern half mit, den Ackerbau zu verbreiten. Im Sozialismus wurde dann die Viehwirtschaft kollektiviert und machte viele Hirten seßhaft.

An die Stelle von Jurten traten allmählich Häuser aus Stein und Holz. Es entstanden Verwaltungsbauten, wirtschaftliche und kulturelle Einrichtungen, Kliniken, Einkaufsmöglichkeiten, Gaststätten, Postämter, Schulen, Kindergärten und Klubhäuser. Diese Zivilisationserscheinungen übten natürlich auf die Nomaden ihre Reize aus, haben aber den Wandertrieb noch nicht ganz verdrängen können.

Gastfreundschaft

Die allumfassende Gastfreundschaft ist dem Mongolen, wie allen Nomadenvölkern, heilig. Besondres in den langen harten Wintern konnte, wer Gastfreundschaft übte, gewiß sein, selbst auch Speise und Obdach zu finden.

M. Taube berichtet:

»In der Jurte hört man am Pferdegetrappel meist schon von weitem, dass sich jemand dem Ail nähert. Meist geht der Hausherr selbst dem Ankömmling einige Schritte entgegen, stützt ihn beim Absteigen und geleitet ihn zum Eingang, während eines der größeren Kinder sich um das Pferd des Gastes kümmert. Vor der Tür legt der Ankömmling Peitsche und gegebenfalls Waffen ab. Ist der Milchtee fertig, wird die erste Schale an den Hausherrn gereicht, der nicht trinkt, ehe er mit den Fingern ein paar Tropfen gegen die Rauchöffnung und die Erde oder auch gegen den Altar gespritzt hat. Dann gibt er sie dem Gast, der auf die gleiche Weise sein Opfer darbringt. Je nachdem, wieviel Zeit der Ankömmling hat, wird er auch mit Fleisch bewirtet, und nicht selten wird ihm zu Ehren ein Schaf geschlachtet«.

Ob noch Nomaden oder schon seßhaft: Mongolen sind auch heute wahrscheinlich das gastfreundlichste Volk der Welt. Diese Freundlichkeit sollte erwidert werden. Gern gesehene Gastgeschenke sind Zigaretten, Wodka oder Kerzen. Ein Geldgeschenk dagegen gilt als unhöflich.

Für die schönen Stunden kann man sich mit einer kleinen Aufmerksamkeit, etwa Süßigkeiten oder einem Souvenir aus der Heimat bedanken. Postkarten der Heimatstadt sind heißbegehrt. Das Gastgeschenk wird jedoch nicht schon zur Begrüßung überreicht, sondern beim Abschied.

Feste

Feste wurden sehr ausgelassen gefeiert, wie schon der Franziskanermönch Rubruk berichtet. Zur Unterhaltung aller finden zunächst Wettkämpfe im Ringen, Bogenschießen und Reiten statt. Dann geht man zum geselligen Teil über: »Feiern sie ein großes Fest, so klatschen alle in die Hände und tanzen auch nach der Musik der Zither. Hat der Besucher getrunken, so ruft der Diener »Hai!«, und der Zitherspieler verstummt. Dann trinken alle in der Runde, Männer und Frauen, und manchmal zechen sie um die Wette, dass es nimmer schön ist, ohne Maß und Ziel. Wollen sie jemanden zum Trinken ermuntern, so fassen sie ihn bei den Ohren und ziehen fest daran, um ihm die Kehle zu weiten und klatschen und tanzen vor ihm.«