Geburt

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Ein mongolisches Leben

Ausreise aus dem Totenreich

Schwere Geburt

Obwohl die Mongolen Kinder sehr gern haben, wird der Zeitpunkt einer Geburt nicht mit Freuden erwartet. Eine schwangere Frau verrichtet alle häuslichen Arbeiten buchstäblich bis zur letzten Minute. Die Eheleute unterhalten sich so gut wie nie über das zu erwartende Kind. Wenn sie es doch tun, dann meist besorgt und ängstlich, denn die Sterblichkeitsrate von Mutter und Kind betrug noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts bis zu fünfzig Prozent.

Fehlgeburten und Kindersterblichkeit führten dazu, dass immer mehr Lamas, Schamanen und Astrologen zu Rate gezogen wurden. Ärzte wurden abgelehnt, da sie keine Verbindung zur anderen Welt herstellen konnten. Waren schon mehrere Kinder in einer Familie gestorben, so versuchte man, die bösen Geister zu täuschen, indem man die Einrichtung in der Jurte umstellte.

Bei der Geburt eines Kindes sind nur Frauen anwesend, darunter eine erfahrene Geburtshelferin, die selbst mehrere Kinder zur Welt gebracht hat. Die Geburt findet in der Jurte der Frau statt, erst in jüngster Zeit in Entbindungsstationen. Die Frau gebiert wie in den meisten asiatischen Ländern in der Hocke. Sie hockt sich im Küchenteil der Jurte nieder und ergreift einen Gegenstand als Halt. Ist das Baby zur Welt gekommen, wird es in ein Stück Stoff oder in ein Lammfell gewickelt und zur Mutter drei Tage lang ins Bett gelegt.

Mit einem besonderen Messer wird die Nabelschnur durchtrennt. Dieses Messer, in einem Kästchen aufbewahrt, dient keinem anderen Zweck. Die Plazenta wird in ein Tuch gewickelt und an einem einsamen Ort oder, wenn schon mehrere Kinder in der Familie gestorben sind, in der Jurte vergraben. Nur eine Frau, die sich keine weiteren Kinder mehr wünscht, wirft sie den Hunden zum Fraß vor.

Aufnahme In Die Familie

Nach der Geburt gilt die Frau als unrein. Sie darf nicht kochen, keine Opfer darbringen und sich nicht einmal dem Familienaltar nähern. Am dritten Tag nach der Entbindung steht die Frau auf, reinigte sich mit Räucherwerk und bringt dem Herdgott ein Butteropfer. Dann wird das Neugeborene gewaschen und damit feierlich in die Familie aufgenommen.

Zu diesem Anlaß wird ein Schaf geschlachtet und eine Brühe gekocht, die immer ein Bein des Schafes enthält. Während die Mutter vom Fleisch ißt, wird das Kind von der Geburtshelferin mit der in Wasser verdünnten Brühe gewaschen, danach gewickelt und dem Vater gegeben, der einen Segen über das Kind spricht und es zum ersten Mal in die Wiege legt. Vorher wird die Wiege mit Milch besprengt, was Glück und Segen bringen soll. Die mongolische Wiege läßt sich leicht schaukeln: man kann sie am Bett der Eltern aufhängen oder sie bei einem Ritt zu Pferde mitnehmen.

An der anschließenden Feier können Freunde und Verwandte teilnehmen. Sie bringen Geschenke, Essen und Trinken mit. Die Geburtshelferin, die jetzt praktisch zur Familie gehört, wird reich beschenkt. Nun bekommt das Kind seinen Namen. Nur die kräftigsten Neugeborenen können in dem rauhen Klima überleben, viele sterben an den Folgen von Unterernährung. Die Eltern sind sehr froh, wenn der erste Geburtstag des Kindes gefeiert werden kann. Es bleibt der einzige Geburtstag, den die Mongolen feierten. Für alle anderen wird am Neujahrstag ein Jahr zum Lebensalter dazugerechnet.

Kindheit

Bis zum Alter von drei Jahren wurde das Kind noch nicht voll akzeptiert, da man es als ein Wesen zwischen zwei Welten ansah, das, aus dem Jenseits gekommen, schnell wieder dorthin zurückkehren könnte. Auch die Eltern feierten erst richtig, wenn das Kind drei Jahre alt war. Nun konnte es sprechen und schrie nicht mehr herum – grundlos, wie man meinte. Wenn das Kind in die menschliche Gemeinschaft aufgenommen war, wurden ihm zum ersten Mal die Haare geschnitten. Dieses Ereignis wurde meistens öffentlich gefeiert, und jeder Anwesende durfte eine Strähne abschneiden. Das abgeschnittene Haar wurde sorgfältig aufbewahrt und galt als magisches Zeichen.

Auch heute noch ist das zeremonielle Haareschneiden Voraussetzung dafür, dass das Kind reiten lernen darf. Wenn die Kleinen reiten können, bekommen sie einen Kindersattel geschenkt – ein Ereignis, an das sich jeder Mongole zurückerinnert.