Naadam-Fest

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Ein ganzes Land im Taumel der »Wettspiele für Männer«

Drei Wochen Anreise für drei Tage Spass

Zum mongolischen Naadam-Nationalfest, das in der zweiten Juliwoche in Ulaan Baatar stattfindet, kommen seit hunderten von Jahren Mongolen aus allen Teilen des Landes zusammen. Auch in den Provinzhautstädten und bei anderen Festen wie dem Owoo-Opfer für lokale Schutzgottheiten werden Naadamfeste veranstaltet. Früher wurden diese Feste im Sommer zu verschiedenen Anlässen gefeiert.

Im 13. Jh. ist Naadam (von »naadakh« = spielen, Spaß haben) zum erstenmal schriftlich belegt. Auf dem Fest zeigen Männer aus den entferntesten Provinzen in drei Disziplinen, welche Fähigkeiten und Kunststücke fürs tägliche Überleben in der Steppe notwendig sind (oder jedenfalls einmal waren).

Naadam, das Fest der »Drei Wettspiele der Männer«, hat etwa den gleichen Stellenwert wie das Tennis-Finale in Wimbledon oder die Schlußetappe der Tour de France. Jahr für Jahr gibt es »Fans«, die mehrere Wochen auf dem Rücken ihrer Pferde unterwegs sind, um sich »Erijn gurwan naadam« nicht entgehen zu lassen.

Bogenschiessen

Beim Naadam-Fest gehört Bogenschießen (»Sur Charvach«) zu den herausragendsten Ereignissen. In alten Zeiten konnten mongolische Scharfschützen die Köpfe von Murmeltieren aus 100 Meter Entfernung treffen. Beim Naadam-Fest von 1919 sollen von 122 Teilnehmern 120 alle Ziele getroffen haben.

Beim Bogenschießen geht es sehr formell zu. Der erste Schuß darf nur von einem Mann abgegeben werden, der im Jahr des Tigers geboren wurde. Die im Jahr der Ratte Geborenen sammeln die abgeschossenen Pfeile ein, einer aus dem Jahr des Affen notiert die Treffer, einer aus dem Jahr des Drachens stimmt bei jedem Treffer einen Lobgesang an. Das Ziel besteht aus 360 kleinen Lederringen, die an einer 40-50 cm hohen und 4 m langen Mauer befestigt sind. Die männlichen Schützen schießen aus einer Entfernung von 75 m, Frauen aus 60 m. Die Schützen dürfen 40 (Frauen 20) Pfeile auf das Ziel schießen und müssen dabei mindestens 15 (Frauen 13) Punkte erreichen.

Der Bogen hat keinen Sucher. Er besteht aus Weidenzweigen, seine Federn stammen von dem mächtigen Greifvogel. Die Pfeile haben stumpfe achteckige Knochenspitzen. Die äußerst starke Saite wird aus den Sehnen eines drei Jahre alten Bullen hergestellt.

Wettkämpfer tragen einen besonderen Schutz um Brust und Zeigefinger der rechten Hand. Ihr linker Ärmel ist mit weichen Binden umwickelt. Bogenschieß-Wettkämpfe werden begleitet von einem »Uchai«, einem Chorgesang, der an ein langgezogenes Volkslied erinnert. Nach altem Brauch gruppieren sich auf jeder Seite des Ziels mehrere Männer zum »Uchai«, um die Teilnehmer anzufeuern.

Ihren besonderen Spaß haben Zuschauer, wenn vom Pferd aus mit dem Bogen geschossen wird. In Höchstgeschwindigkeit reiten die Schützen, im Steigbügel stehend, scheinbar am Ziel vorbei und schießen dann fast im rechten Winkel auf die Lederscheibe.

Pferderennen

Mongolen eroberten fast ganz Asien auf dem Rücken der Pferde, und auch heute noch scheint ein Reiter fast mit seinem Tier verwachsen zu sein. Vor langer Zeit wurde ein System der Auswahl und des Trainings der Pferde und für die Abhaltung von Wettkämpfen eingeführt.

Während des Naadam-Festes und zu Neujahr (Tsagaan Sar), das die Kommunisten verboten hatten und das im Februar 1995 seine Wiederauferstehung feierte, finden die wichtigsten Rennen statt. Es darf mit oder ohne Sattel geritten werden. Bei Temperaturen von minus 20 Grad fetzen Jungen und Mädchen im Alter zwischen vier und zehn Jahren beim wohl wildesten und härtesten Rennen der Welt 20 Kilometer über die knochenharte Steppe. Das halten nur erfahrene Pferde aus, und so war etwa der Sieger von 1995, der fünfjährige Ganbold, jünger als sein Pferd.

Der Ursprung dieser Feste war, dass Männer ihre Kunst des Pferdeeinreitens vorführten. Bei späteren Rennen wollte man durch leichtere Reiter die eigenen Siegeschance erhöhen. So wurden die Reiter immer jünger, und inzwischen zeigen nur noch Kinder beim Nadaam ihre Reitkünste. Schon unter Dschingis Khan wurden die Kleinen, noch bevor sie gehen konnten, mit zwei Jahren auf die Pferde gebunden, um reiten zu lernen. Heute sind mongolische Kinder die geschicktesten und leichtesten Jockeys der Welt.

Pferderennen in der Mongolei, einem Land mit etwa 2,2 Millionen Pferden (mehr Pferde gibt es nur in China, Brasilien, Mexiko, den USA, Argentinien und Rußland), gibt es zu jeder Gelegenheit und an vielen Orten. Die Pferde sind in der Regel zweijährig oder älter. Entsprechend ihrem Alter beträgt die Rennstrecke 5 bis 30 km. Über 100 Reiter erscheinen beim Nadaam in sechs Altersgruppen zum gemeinsamen Start. Es gibt keine besonders eingerichteten Rennstrecken, die Pferde rasen durch die Steppe und springen über natürliche Hindernisse.

Zuerst gehen die Teilnehmer zur Ziellinie und dann zur Startlinie, wo das Signal zum Beginn des Rennens gegeben wird. Vor dem Start singen alle Reiter gemeinsam ein altes Lied, die »Ghingo«, die der Anfeuerung dient. Danach beginnt die wilde Jagd. Die ersten fünf Pferde werden auf die Hauptbühne geführt und »Airags Fünf« genannt. Der Sieger wird nach altem Brauch mit einer Schale Stutenmilch belohnt. Bevor er trinkt, muß er einige Tropfen davon auf Kopf und Kuppe seines Pferdes gießen, gemäß einem alten Opferritual. Der Staatspräsident persönlich überreicht dem kleinen Sieger beim Naadam-Fest eine Goldmedaille und der Familie des Siegers ein zweijähriges Pferd.

Trinkopfer und die Verherrlichung des Pferdes in Oden und Liedern sind die höchsten Ehren für Züchter und Reiter. Außerdem erhalten siegreiche Pferde ebenso wie die besten Ringer und Bogenschützen poetische Namen.

Pferdezüchter beobachten ihre Pferde bereits bei ihrer Geburt nach ihrer Fähigkeit, später an Rennen teilnehmen zu können. Rennpferde werden zwei oder drei Wochen lang mit einer besonderen Nahrung trainiert.

Urga-Artisten

Früher waren beim Naadam die Vorführungen von Kunststücken der mongolischen Kavallerie sehr beliebt. Aus vollem Galopp ergriffen die Reiter vom Boden kleine Stöcke, Flaggen oder Taschentücher und dirigierten ihre Pferde über Hindernisse. Aber auch Lassowerfer genießen Hochachtung. Sie werden danach beurteilt, wie gut sie ein vorher bezeichnetes ungezähmtes Pferd aus einer Herde heraus einfangen. Das mongolische Lasso, die Urga, ist eine lange Stange, die in einer beweglichen Schlinge endet. Aus hoher Geschwindigkeit heraus wirft der Reiter die Schlinge um den Hals des wilden Pferdes und bringt dann beide Pferde in kürzester Zeit zum Stehen.

Ringkampf

Genau 512 Ringkämpfer, die sich in Vorentscheidungen in allen Städten und Provinzen qualifiziert haben, nehmen am Naadam teil. Der mongolische Ringkampf, der neun Runden umfaßt, hat sein eigenes uraltes Ritual und unterscheidet sich wesentlich vom internationalen Wettkampfsport. Es gibt keine Gewichtsklassen und kein Zeitlimit, die Arena hat keine bestimmte Größe. Es können gleichzeitig mehrere Ringkämpfe stattfinden, die bis zu 15 Stunden dauern.

Der Ringer trägt verzierte Stiefel (»Gutuls«) mit nach oben gerichteten Fußspitzen, um nicht die Erde mit spitzem Schuhwerk zu verletzen. Die kurze Hose (»Shuudag«) ist aus strapazierbarer Seide. Eine kurze Seidenweste oder Jacke (»Zodog«) läßt die Brust frei und liegt am Rücken fest an. Nach einer alten Sage trugen die Ringer früher langärmelige Jacken aus grobem Tuch, wie noch heute die Judokämpfer. Bei einem Endkampf entpuppte sich dann aber zum Schrecken der Männerwelt der »Sieger« als Frau. Seitdem treten alle Ringer mit freier Brust an, damit solch ein für die Männer peinliches Ergebnis nicht mehr eintreten kann.

Vor Beginn des Kampfes führen die Teilnehmer einen Tanz auf, der an den Flug eines Adlers erinnert. Der Adler (»Nachin«) ist das Symbol für Kraft und Unbesiegbarkeit. Nun versucht der Ringkämpfer die Zuschauer von seinen Qualitäten zu überzeugen, stellt sich in besondere Posen und gibt Kostproben seines Könnens. Ein Gehilfe preist laut dessen Stärke und Vortrefflichkeit, und der Ringer beginnt schließlich die Bewegungen eines Löwen nachzuahmen. Der Tanz zeigt zu einem den Körperbau des Kämpfers und dient zum anderen dem Aufwärmen und Heißmachen.

Danach ist erlaubt was gefällt. Es gibt viele Tricks, Griffe und Würfe, die neben Kraft ein großes Maß an Technik und Körperbeherrschung verlangen. Der Gegner kann über Hüfte, Schulter oder Rücken geworfen werden. Während des Kampfes hat jeder Ringer einen Sekundanten, der seinen Schützling berät und zu Beginn der dritten, fünften und siebten Runde dessen Titel verkündet. Berührt ein Kämpfer mit Knie, Hals oder Armen den Boden, so hat er verloren. Der Sieger vollführt nun wieder einen Adlertanz.

Nach alter Tradition vergibt die Kommission, welche die nationalen Ringkämpfe veranstaltet, Titel an die Teilnehmer. Ein Ringer, der aus der fünften Runde als Sieger hervorgegangen ist, erhält den Titel »Nachin« (Adler), nach der sechsten und siebten Runde den Titel »Zaan« (Elefant) und nach der neunten Runde den Titel »Arslan« (Löwe). Wer bei zwei oder drei Wettkämpfen gesiegt hat, wird als »Riese« ausgezeichnet und darf durch seinen Umhang Zuschauern und Gegnern zeigen, dass er unbesiegbar ist. Die Unterlegenen scheiden zwar aus, werden aber je nach der Zahl ihrer Siege dennoch mit altehrwürdigen Titeln geehrt. Zur Zeit gibt es in der Mongolei über 200 Ringer, die derartige Titel tragen, darunter zehn »Riesen«, 34 »Löwen«, 56 »Elefanten« und über 100 »Adler«.